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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthums,

Die englische Regierung verfuhr darnach. Die Experimente, die sie machte, hatten
keinen Vorgang in der Geschichte der Menschheit, und geraume Zeit schien es,
als ob die ebenerwähnte Prophezeiung sich nicht erfüllen würde. Vor 1846 hatten
alle großen Staatsmänner und alle großen Nationen nach andern Grundsätzen als
den Cobdcnschen gehandelt und immer mit großem Erfolge. So in England
Cromwell, Walpole und Lord Chatham, in Frankreich Colbert und Napoleon, in
Deutschland die Schöpfer des Zollvereins. Nach 1346 zeigte sich lange Jahre
auf dem Continent nichts von Neigung, das englische Beispiel nachzuahmen.
Wo man seine Einrichtung änderte, gingen die Aenderungen nach der entgegen¬
gesetzten Seite hin. Hannover trat, ohne gezwungen zu sein, dein Zollverein bei.
Die Schweiz erhöhte ihre Einfuhrzölle. Frankreich setzte dem Schutzzöllner Colbert
in Rheims, seiner Vaterstadt, dankbar ein Denkmal. Frankreich und Belgien, nicht
zufrieden mit Schutzzöllen, begannen Prämien ans die Ausfuhr zu vertheilen.
Die Vereinigten Staaten wählten einen Protectionistcu zum Präsidenten und er¬
setzten ihren freihändlerischen Vertreter in London durch einen Schutzzöllner. Ru߬
land verblieb bei seiner protectionistischen Politik. Erst spät schien es, als ob die
Franzosen zu der freihändlerischen Doctrin bekehrt wären. 1359 kam es zu einem
Vertrage mit England, der diesen Grundsätzen huldigte. Aber die Opposition da¬
gegen war von Anfang an stark, sie wuchs fortwährend, und wenn der Vertrag
jetzt erneuert werden soll, so ist, wie oben gesagt, darauf uicht zu hoffen. Eng¬
land wird ans viel weniger günstige Bedingungen eingehen müssen, oder gar keinen
Bertrag mit Frankreich haben. Deutschtand ndoptirte, vou deu Aposteln des eng¬
lischen Interesses aufs rührigste und kräftigste bearbeitet, unter der Delbrückschen
Aera gleichfalls bis zu einem gewissen Maße freihändlerische Grundsätze, aber
auch hier ist man dank der Umsicht und der Energie unsers Reichskanzlers von
diesem Irrwege zurückgekommen, und so wird bald von freiwilliger Nachahmung
des englischen Beispiels nirgends etwas mehr zu spüren sein.

"Niemals wird England zu einer Protectionistischen Politik zu¬
rückkehren," sagten uus die Propheten von Manchester einst und sagen sie hin
und wieder noch heute. Eine kühne Weissagung, zumal jetzt, wo Deutschland, Ru߬
land, Holland, Amerika zu einer solchen Politik zurückgekehrt sind, und Frankreich
im Begriffe ist, desgleichen zu thun. Man schließt hier voreilig, weil gewisse
große Politische Maßregeln wie die Emancipation der Katholiken und die Parla¬
mentsreform entschieden unwiderruflich seien, so müsse auch eine große commer-
cielle Maßregel wie die Einführung des Freihandels in England unwiderruflich sein.

"Hierbei sind," sagt der Verfasser der Loxuisms ok?rostiÄgg, "wichtige Unter-
scheidungspunkte übersehen. Bei der ersten jener großen politischen Veränderungen
folgten wir nnr der ganzen civilisirten Menschheit. Fast alle Regierungen, gleich¬
viel ob liberal oder despotisch, vollzöge" als eiuen Act öffentlicher Gerechtigkeit
die Aufrichtung der Gleichheit aller Religionen und Bekenntnisse vor dem Gesetze.
Bei der zweiten brachte" wir uur die Konstitution zu ihrer ursprünglichen Theorie


Zur Charakteristik des Manchesterthums,

Die englische Regierung verfuhr darnach. Die Experimente, die sie machte, hatten
keinen Vorgang in der Geschichte der Menschheit, und geraume Zeit schien es,
als ob die ebenerwähnte Prophezeiung sich nicht erfüllen würde. Vor 1846 hatten
alle großen Staatsmänner und alle großen Nationen nach andern Grundsätzen als
den Cobdcnschen gehandelt und immer mit großem Erfolge. So in England
Cromwell, Walpole und Lord Chatham, in Frankreich Colbert und Napoleon, in
Deutschland die Schöpfer des Zollvereins. Nach 1346 zeigte sich lange Jahre
auf dem Continent nichts von Neigung, das englische Beispiel nachzuahmen.
Wo man seine Einrichtung änderte, gingen die Aenderungen nach der entgegen¬
gesetzten Seite hin. Hannover trat, ohne gezwungen zu sein, dein Zollverein bei.
Die Schweiz erhöhte ihre Einfuhrzölle. Frankreich setzte dem Schutzzöllner Colbert
in Rheims, seiner Vaterstadt, dankbar ein Denkmal. Frankreich und Belgien, nicht
zufrieden mit Schutzzöllen, begannen Prämien ans die Ausfuhr zu vertheilen.
Die Vereinigten Staaten wählten einen Protectionistcu zum Präsidenten und er¬
setzten ihren freihändlerischen Vertreter in London durch einen Schutzzöllner. Ru߬
land verblieb bei seiner protectionistischen Politik. Erst spät schien es, als ob die
Franzosen zu der freihändlerischen Doctrin bekehrt wären. 1359 kam es zu einem
Vertrage mit England, der diesen Grundsätzen huldigte. Aber die Opposition da¬
gegen war von Anfang an stark, sie wuchs fortwährend, und wenn der Vertrag
jetzt erneuert werden soll, so ist, wie oben gesagt, darauf uicht zu hoffen. Eng¬
land wird ans viel weniger günstige Bedingungen eingehen müssen, oder gar keinen
Bertrag mit Frankreich haben. Deutschtand ndoptirte, vou deu Aposteln des eng¬
lischen Interesses aufs rührigste und kräftigste bearbeitet, unter der Delbrückschen
Aera gleichfalls bis zu einem gewissen Maße freihändlerische Grundsätze, aber
auch hier ist man dank der Umsicht und der Energie unsers Reichskanzlers von
diesem Irrwege zurückgekommen, und so wird bald von freiwilliger Nachahmung
des englischen Beispiels nirgends etwas mehr zu spüren sein.

„Niemals wird England zu einer Protectionistischen Politik zu¬
rückkehren," sagten uus die Propheten von Manchester einst und sagen sie hin
und wieder noch heute. Eine kühne Weissagung, zumal jetzt, wo Deutschland, Ru߬
land, Holland, Amerika zu einer solchen Politik zurückgekehrt sind, und Frankreich
im Begriffe ist, desgleichen zu thun. Man schließt hier voreilig, weil gewisse
große Politische Maßregeln wie die Emancipation der Katholiken und die Parla¬
mentsreform entschieden unwiderruflich seien, so müsse auch eine große commer-
cielle Maßregel wie die Einführung des Freihandels in England unwiderruflich sein.

„Hierbei sind," sagt der Verfasser der Loxuisms ok?rostiÄgg, „wichtige Unter-
scheidungspunkte übersehen. Bei der ersten jener großen politischen Veränderungen
folgten wir nnr der ganzen civilisirten Menschheit. Fast alle Regierungen, gleich¬
viel ob liberal oder despotisch, vollzöge« als eiuen Act öffentlicher Gerechtigkeit
die Aufrichtung der Gleichheit aller Religionen und Bekenntnisse vor dem Gesetze.
Bei der zweiten brachte» wir uur die Konstitution zu ihrer ursprünglichen Theorie


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[0471] Zur Charakteristik des Manchesterthums, Die englische Regierung verfuhr darnach. Die Experimente, die sie machte, hatten keinen Vorgang in der Geschichte der Menschheit, und geraume Zeit schien es, als ob die ebenerwähnte Prophezeiung sich nicht erfüllen würde. Vor 1846 hatten alle großen Staatsmänner und alle großen Nationen nach andern Grundsätzen als den Cobdcnschen gehandelt und immer mit großem Erfolge. So in England Cromwell, Walpole und Lord Chatham, in Frankreich Colbert und Napoleon, in Deutschland die Schöpfer des Zollvereins. Nach 1346 zeigte sich lange Jahre auf dem Continent nichts von Neigung, das englische Beispiel nachzuahmen. Wo man seine Einrichtung änderte, gingen die Aenderungen nach der entgegen¬ gesetzten Seite hin. Hannover trat, ohne gezwungen zu sein, dein Zollverein bei. Die Schweiz erhöhte ihre Einfuhrzölle. Frankreich setzte dem Schutzzöllner Colbert in Rheims, seiner Vaterstadt, dankbar ein Denkmal. Frankreich und Belgien, nicht zufrieden mit Schutzzöllen, begannen Prämien ans die Ausfuhr zu vertheilen. Die Vereinigten Staaten wählten einen Protectionistcu zum Präsidenten und er¬ setzten ihren freihändlerischen Vertreter in London durch einen Schutzzöllner. Ru߬ land verblieb bei seiner protectionistischen Politik. Erst spät schien es, als ob die Franzosen zu der freihändlerischen Doctrin bekehrt wären. 1359 kam es zu einem Vertrage mit England, der diesen Grundsätzen huldigte. Aber die Opposition da¬ gegen war von Anfang an stark, sie wuchs fortwährend, und wenn der Vertrag jetzt erneuert werden soll, so ist, wie oben gesagt, darauf uicht zu hoffen. Eng¬ land wird ans viel weniger günstige Bedingungen eingehen müssen, oder gar keinen Bertrag mit Frankreich haben. Deutschtand ndoptirte, vou deu Aposteln des eng¬ lischen Interesses aufs rührigste und kräftigste bearbeitet, unter der Delbrückschen Aera gleichfalls bis zu einem gewissen Maße freihändlerische Grundsätze, aber auch hier ist man dank der Umsicht und der Energie unsers Reichskanzlers von diesem Irrwege zurückgekommen, und so wird bald von freiwilliger Nachahmung des englischen Beispiels nirgends etwas mehr zu spüren sein. „Niemals wird England zu einer Protectionistischen Politik zu¬ rückkehren," sagten uus die Propheten von Manchester einst und sagen sie hin und wieder noch heute. Eine kühne Weissagung, zumal jetzt, wo Deutschland, Ru߬ land, Holland, Amerika zu einer solchen Politik zurückgekehrt sind, und Frankreich im Begriffe ist, desgleichen zu thun. Man schließt hier voreilig, weil gewisse große Politische Maßregeln wie die Emancipation der Katholiken und die Parla¬ mentsreform entschieden unwiderruflich seien, so müsse auch eine große commer- cielle Maßregel wie die Einführung des Freihandels in England unwiderruflich sein. „Hierbei sind," sagt der Verfasser der Loxuisms ok?rostiÄgg, „wichtige Unter- scheidungspunkte übersehen. Bei der ersten jener großen politischen Veränderungen folgten wir nnr der ganzen civilisirten Menschheit. Fast alle Regierungen, gleich¬ viel ob liberal oder despotisch, vollzöge« als eiuen Act öffentlicher Gerechtigkeit die Aufrichtung der Gleichheit aller Religionen und Bekenntnisse vor dem Gesetze. Bei der zweiten brachte» wir uur die Konstitution zu ihrer ursprünglichen Theorie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/471>, abgerufen am 01.09.2024.