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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Verdienst gewürdigte Rede des Herrn v. Bennigsen am 19, Juni. Dem Parla¬
mentarismus bangt um seine Privilegien, und er wird auch richtig so weit
kommen, wie die um ihre Privilegien sich schlagenden Brüsseler Bürger im
"Egmont." Wozu eine eigne Versammlung zur Erörterung der volkswirth-
schaftlichen Zustände? "Hier im Reichstag sind alle Interessen, die man in
dem Volkswirthschaftsrath zusammenberufen will, auch vertreten," sagte der
Führer der Nationalliberalen, Das mag augenblicklich der Fall sein, wiewohl
wir Zweifel hegen. So oft z. B. Bedürfnisse des Gewerbcstcmdes zur Sprache
kommen, ergreift der Abgeordnete Löwe von Berlin das Wort mit dem ganzen
Aplomb des Fachmanns. Was er fabricirt, wissen wir nicht, aber Fabrikant
ist er augenscheinlich, und zwar einer von den vielen, die in der Großindustrie ihr
Capital und ihre kaufmännische Erfahrung und Routine verwerthen, von dem
nicht fabrikmäßig arbeitenden Gewerbe aber sehr wenig verstehen -- das geht
aus allen seinen Reden hervor. Vor nicht langer Zeit versicherte er, das deutsche
Handwerk bedürfe gar keiner Reformen, es leide nur augenblicklich nnter der all¬
gemeinen Geschäftsstockung. Vor deren Eintreten war mithin alles in bester
Ordnung. So kann nur der Geschäftsmann sprechen, welcher wähnt, wenn die
Leute verdienen, was sie brauchen oder mehr als das, so bleibe ihnen nichts zu
wünschen. Daß gerade die Zeit des höchsten Verdienstes, die Schwindelperivde
vor 1873, dem Handwerkerstande die schwersten Wunden geschlagen, die solide
Arbeit, das Gefühl für Ehre und Würde der ehrlichen Arbeit aufs tiefste ge¬
schädigt hat, davon ahnt er entweder nichts oder er legt keinen Werth darauf.
Und wir wüßten nicht, daß ihm von wirklich fachmännischer Seite die gebührende
Zurechtweisung zu Theil geworden wäre.

Nehmen wir indessen die Behauptung Beunigscns als begründet an, so
wird doch zugegeben werden müssen, daß bei allgemeinen Wahlen dieses Re¬
sultat lediglich ein Werk des Zufalls ist. Wie selten wird ein Candidat als
Repräsentant seines Berufes aufgestellt, wieviel seltener dringt ein solcher durch!
Die Stärke und Rührigkeit der politischen Partei giebt den Ausschlag, und inner¬
halb der Partei die Beredtsamkeit und Schlagfertigkeit. Die größte Gesinnungs¬
tüchtigkeit und die sicherste Handhabung der Schlagworte verschafft das Mandat.
Von Landrathskammcrn sprach man vor Zeiten in Preußen; liegt nicht eine
Advocatenkammcr, eine Amtsrichterkammer oder schlechthin eine Richterkammer,
in welcher nur Eugens Staatsweisheit in verschiedener Verdünnung anzu¬
treffen wäre, im Bereiche des Möglichen? Je cousequenter sich der landläu¬
fige Parlamentarismus ausbildet, um so ausschließlicher werden die Politiker
von Profession und die Alleswisser in den parlamentarischen Versammlungen
dominiren, und um so einflußreicher und gefährlicher müssen die Bamberger,
Löwe und Konsorten werden, welche wenigstens von gewissen Geschäften etwas
verstehen. Woher soll auch der Kaufmann, der Fabrikant, der Handwerker, der
kleine Grundbesitzer, alle die, welche ihrem Geschäft oder ihrer Wirthschaft per-


Grenzbotcn III. 1881. 5(i

Verdienst gewürdigte Rede des Herrn v. Bennigsen am 19, Juni. Dem Parla¬
mentarismus bangt um seine Privilegien, und er wird auch richtig so weit
kommen, wie die um ihre Privilegien sich schlagenden Brüsseler Bürger im
„Egmont." Wozu eine eigne Versammlung zur Erörterung der volkswirth-
schaftlichen Zustände? „Hier im Reichstag sind alle Interessen, die man in
dem Volkswirthschaftsrath zusammenberufen will, auch vertreten," sagte der
Führer der Nationalliberalen, Das mag augenblicklich der Fall sein, wiewohl
wir Zweifel hegen. So oft z. B. Bedürfnisse des Gewerbcstcmdes zur Sprache
kommen, ergreift der Abgeordnete Löwe von Berlin das Wort mit dem ganzen
Aplomb des Fachmanns. Was er fabricirt, wissen wir nicht, aber Fabrikant
ist er augenscheinlich, und zwar einer von den vielen, die in der Großindustrie ihr
Capital und ihre kaufmännische Erfahrung und Routine verwerthen, von dem
nicht fabrikmäßig arbeitenden Gewerbe aber sehr wenig verstehen — das geht
aus allen seinen Reden hervor. Vor nicht langer Zeit versicherte er, das deutsche
Handwerk bedürfe gar keiner Reformen, es leide nur augenblicklich nnter der all¬
gemeinen Geschäftsstockung. Vor deren Eintreten war mithin alles in bester
Ordnung. So kann nur der Geschäftsmann sprechen, welcher wähnt, wenn die
Leute verdienen, was sie brauchen oder mehr als das, so bleibe ihnen nichts zu
wünschen. Daß gerade die Zeit des höchsten Verdienstes, die Schwindelperivde
vor 1873, dem Handwerkerstande die schwersten Wunden geschlagen, die solide
Arbeit, das Gefühl für Ehre und Würde der ehrlichen Arbeit aufs tiefste ge¬
schädigt hat, davon ahnt er entweder nichts oder er legt keinen Werth darauf.
Und wir wüßten nicht, daß ihm von wirklich fachmännischer Seite die gebührende
Zurechtweisung zu Theil geworden wäre.

Nehmen wir indessen die Behauptung Beunigscns als begründet an, so
wird doch zugegeben werden müssen, daß bei allgemeinen Wahlen dieses Re¬
sultat lediglich ein Werk des Zufalls ist. Wie selten wird ein Candidat als
Repräsentant seines Berufes aufgestellt, wieviel seltener dringt ein solcher durch!
Die Stärke und Rührigkeit der politischen Partei giebt den Ausschlag, und inner¬
halb der Partei die Beredtsamkeit und Schlagfertigkeit. Die größte Gesinnungs¬
tüchtigkeit und die sicherste Handhabung der Schlagworte verschafft das Mandat.
Von Landrathskammcrn sprach man vor Zeiten in Preußen; liegt nicht eine
Advocatenkammcr, eine Amtsrichterkammer oder schlechthin eine Richterkammer,
in welcher nur Eugens Staatsweisheit in verschiedener Verdünnung anzu¬
treffen wäre, im Bereiche des Möglichen? Je cousequenter sich der landläu¬
fige Parlamentarismus ausbildet, um so ausschließlicher werden die Politiker
von Profession und die Alleswisser in den parlamentarischen Versammlungen
dominiren, und um so einflußreicher und gefährlicher müssen die Bamberger,
Löwe und Konsorten werden, welche wenigstens von gewissen Geschäften etwas
verstehen. Woher soll auch der Kaufmann, der Fabrikant, der Handwerker, der
kleine Grundbesitzer, alle die, welche ihrem Geschäft oder ihrer Wirthschaft per-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/449>, abgerufen am 01.09.2024.