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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur.Lhcnnktcristik des Mmichesterthums.

der Gesittung in hundert und aber hundert Beziehungen eine unumgängliche
Nothwendigkeit ist, und daß es keine allgemeine Regel geben kann, welche be¬
stimmt, wo diese Einmischung stattzufinden habe und wo nicht, daß eine solche
vielmehr in jedem einzelnen Falle je nach den Umständen eintreten oder unter¬
bleiben muß.

Wir lassen die Allgemeinheiten und führen einige von den Fällen an, wo
die Regierung eingegriffen hat, in den meisten Fällen der Nothwendigkeit ge¬
horchend, in allen wohlthätig. Der Staat schließt Handels- und Schifffahrts¬
verträge mit fremden Mächten ab, er beschützt das Eigenthum und regelt dessen Über¬
tragung, er nimmt die Eheschließung und die dadurch erworbenen Rechte in die
Hand, er sorgt für den Unterricht der Jugend, er baut Straßen und Eisenbahnen
oder überwacht den Betrieb der letztern, er legt Telegraphenlinien an, befördert
mit seinen Posten den brieflichen Verkehr, läßt Brücken und Cancile herstellen
und in gutem Stande erhalten, errichtet Leuchtthürme, legt Hasen an und ver¬
waltet dieselben, er prägt Geld und verhindert Verletzung dieses Monopols, er
betreibt und regelt den Bergbau. Der Staat sorgt ferner für ein gleichförmiges
System der Maße und Gewichte und verbietet den Gebrauch andrer, er ertheilt
Patente und schützt das Autorenrecht, wodurch er die Anstrengung der Erfindungs¬
gabe mit einem Monopol für beschränkte Zeit belohnt. Indem er eine Behörde
einsetzt, vor der jede patentirte Entdeckung oder Erfindung zu specificiren und
zu erklären ist, verhütet er, daß das Geheimniß dem Publicum für alle Zeit
verborgen werde oder mit dem Entdecker aussterbe. Er expropriirt zu gemein¬
nützigen Zwecken, regulirt das Actienwcsen und trägt durch verschiedne Ma߬
regeln und Einrichtungen Sorge für die öffentliche Gesundheit. Er überwacht
die Apotheken, verhindert durch Quarantünegesetze die Einschleppung von Seuchen,
bewirkt Reinhaltung der Städte und fördert die Impfung. Er regulirt die
Preise der Droschken, sorgt für die Armen, für Unterbringung von Geistes¬
kranken, sür die Geburtshilfe, für redliche Bedienung der Auswanderer durch die
betreffenden Agenten, er nimmt sich des höhern Schulwesens, der Künste und
Wissenschaften an und gestattet, obwohl er im Princip alle Religionen und Be¬
kenntnisse duldet, die Ausübung keines Glaubens, der zu der guten Sitte im
Widerspruche steht.

In allen diesen Fällen mischt sich der Staat zu Gunsten des Publicums
im allgemeinen ein. Aber es giebt anch andre, wo er der Hilflosigkeit und Un-
erfahrenheit von Individuen oder einzelnen Bevölkerungsklassen Beistand und
Schutz gewährt. Es ist ein durchaus gesundes Princip, das von Alters her
Geltung gewonnen hat, daß, wo infolge der UnVollkommenheit menschlicher An¬
gelegenheiten die Parteien bei einem Vertrage oder Geschäfte nicht auf gleichem
Fuße stehen, sondern die eine der andern gegenüber die Macht zu unterdrücken
oder zu verführen hat, das Gesetz der schwächern Partei zu Hilfe kommen muß.
Der Staat Schutze infolge dessen Kinder und Unmündige, geistesschwache Per-


Zur.Lhcnnktcristik des Mmichesterthums.

der Gesittung in hundert und aber hundert Beziehungen eine unumgängliche
Nothwendigkeit ist, und daß es keine allgemeine Regel geben kann, welche be¬
stimmt, wo diese Einmischung stattzufinden habe und wo nicht, daß eine solche
vielmehr in jedem einzelnen Falle je nach den Umständen eintreten oder unter¬
bleiben muß.

Wir lassen die Allgemeinheiten und führen einige von den Fällen an, wo
die Regierung eingegriffen hat, in den meisten Fällen der Nothwendigkeit ge¬
horchend, in allen wohlthätig. Der Staat schließt Handels- und Schifffahrts¬
verträge mit fremden Mächten ab, er beschützt das Eigenthum und regelt dessen Über¬
tragung, er nimmt die Eheschließung und die dadurch erworbenen Rechte in die
Hand, er sorgt für den Unterricht der Jugend, er baut Straßen und Eisenbahnen
oder überwacht den Betrieb der letztern, er legt Telegraphenlinien an, befördert
mit seinen Posten den brieflichen Verkehr, läßt Brücken und Cancile herstellen
und in gutem Stande erhalten, errichtet Leuchtthürme, legt Hasen an und ver¬
waltet dieselben, er prägt Geld und verhindert Verletzung dieses Monopols, er
betreibt und regelt den Bergbau. Der Staat sorgt ferner für ein gleichförmiges
System der Maße und Gewichte und verbietet den Gebrauch andrer, er ertheilt
Patente und schützt das Autorenrecht, wodurch er die Anstrengung der Erfindungs¬
gabe mit einem Monopol für beschränkte Zeit belohnt. Indem er eine Behörde
einsetzt, vor der jede patentirte Entdeckung oder Erfindung zu specificiren und
zu erklären ist, verhütet er, daß das Geheimniß dem Publicum für alle Zeit
verborgen werde oder mit dem Entdecker aussterbe. Er expropriirt zu gemein¬
nützigen Zwecken, regulirt das Actienwcsen und trägt durch verschiedne Ma߬
regeln und Einrichtungen Sorge für die öffentliche Gesundheit. Er überwacht
die Apotheken, verhindert durch Quarantünegesetze die Einschleppung von Seuchen,
bewirkt Reinhaltung der Städte und fördert die Impfung. Er regulirt die
Preise der Droschken, sorgt für die Armen, für Unterbringung von Geistes¬
kranken, sür die Geburtshilfe, für redliche Bedienung der Auswanderer durch die
betreffenden Agenten, er nimmt sich des höhern Schulwesens, der Künste und
Wissenschaften an und gestattet, obwohl er im Princip alle Religionen und Be¬
kenntnisse duldet, die Ausübung keines Glaubens, der zu der guten Sitte im
Widerspruche steht.

In allen diesen Fällen mischt sich der Staat zu Gunsten des Publicums
im allgemeinen ein. Aber es giebt anch andre, wo er der Hilflosigkeit und Un-
erfahrenheit von Individuen oder einzelnen Bevölkerungsklassen Beistand und
Schutz gewährt. Es ist ein durchaus gesundes Princip, das von Alters her
Geltung gewonnen hat, daß, wo infolge der UnVollkommenheit menschlicher An¬
gelegenheiten die Parteien bei einem Vertrage oder Geschäfte nicht auf gleichem
Fuße stehen, sondern die eine der andern gegenüber die Macht zu unterdrücken
oder zu verführen hat, das Gesetz der schwächern Partei zu Hilfe kommen muß.
Der Staat Schutze infolge dessen Kinder und Unmündige, geistesschwache Per-


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[0408] Zur.Lhcnnktcristik des Mmichesterthums. der Gesittung in hundert und aber hundert Beziehungen eine unumgängliche Nothwendigkeit ist, und daß es keine allgemeine Regel geben kann, welche be¬ stimmt, wo diese Einmischung stattzufinden habe und wo nicht, daß eine solche vielmehr in jedem einzelnen Falle je nach den Umständen eintreten oder unter¬ bleiben muß. Wir lassen die Allgemeinheiten und führen einige von den Fällen an, wo die Regierung eingegriffen hat, in den meisten Fällen der Nothwendigkeit ge¬ horchend, in allen wohlthätig. Der Staat schließt Handels- und Schifffahrts¬ verträge mit fremden Mächten ab, er beschützt das Eigenthum und regelt dessen Über¬ tragung, er nimmt die Eheschließung und die dadurch erworbenen Rechte in die Hand, er sorgt für den Unterricht der Jugend, er baut Straßen und Eisenbahnen oder überwacht den Betrieb der letztern, er legt Telegraphenlinien an, befördert mit seinen Posten den brieflichen Verkehr, läßt Brücken und Cancile herstellen und in gutem Stande erhalten, errichtet Leuchtthürme, legt Hasen an und ver¬ waltet dieselben, er prägt Geld und verhindert Verletzung dieses Monopols, er betreibt und regelt den Bergbau. Der Staat sorgt ferner für ein gleichförmiges System der Maße und Gewichte und verbietet den Gebrauch andrer, er ertheilt Patente und schützt das Autorenrecht, wodurch er die Anstrengung der Erfindungs¬ gabe mit einem Monopol für beschränkte Zeit belohnt. Indem er eine Behörde einsetzt, vor der jede patentirte Entdeckung oder Erfindung zu specificiren und zu erklären ist, verhütet er, daß das Geheimniß dem Publicum für alle Zeit verborgen werde oder mit dem Entdecker aussterbe. Er expropriirt zu gemein¬ nützigen Zwecken, regulirt das Actienwcsen und trägt durch verschiedne Ma߬ regeln und Einrichtungen Sorge für die öffentliche Gesundheit. Er überwacht die Apotheken, verhindert durch Quarantünegesetze die Einschleppung von Seuchen, bewirkt Reinhaltung der Städte und fördert die Impfung. Er regulirt die Preise der Droschken, sorgt für die Armen, für Unterbringung von Geistes¬ kranken, sür die Geburtshilfe, für redliche Bedienung der Auswanderer durch die betreffenden Agenten, er nimmt sich des höhern Schulwesens, der Künste und Wissenschaften an und gestattet, obwohl er im Princip alle Religionen und Be¬ kenntnisse duldet, die Ausübung keines Glaubens, der zu der guten Sitte im Widerspruche steht. In allen diesen Fällen mischt sich der Staat zu Gunsten des Publicums im allgemeinen ein. Aber es giebt anch andre, wo er der Hilflosigkeit und Un- erfahrenheit von Individuen oder einzelnen Bevölkerungsklassen Beistand und Schutz gewährt. Es ist ein durchaus gesundes Princip, das von Alters her Geltung gewonnen hat, daß, wo infolge der UnVollkommenheit menschlicher An¬ gelegenheiten die Parteien bei einem Vertrage oder Geschäfte nicht auf gleichem Fuße stehen, sondern die eine der andern gegenüber die Macht zu unterdrücken oder zu verführen hat, das Gesetz der schwächern Partei zu Hilfe kommen muß. Der Staat Schutze infolge dessen Kinder und Unmündige, geistesschwache Per-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/408>, abgerufen am 01.09.2024.