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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Düsseldorfer Schule.

kam, dort aber auf eigne Hand studirte, ohne sich an ein Vorbild anzuschließen.
Seine Vortrags- und Auffassungsweise weicht daher auch von der in Düsseldorf
noch heute herrschenden Strömung wesentlich ab. Er ist ein ausgesprochener
Realist, den man am passendsten mit dem Franzosen Daubigny vergleichen kann.
Dem Ton und der Stimmung opfert er Form und Zeichnung. Oft ist die
Stärke der Empfindung groß genug, um gewisse Flüchtigkeiten und Rohheiten
der malerischen Behandlung niederzuhalten. Wenn der Spiritus aber einmal
ausbleibt, guckt das Gespenst der Formlosigkeit und der öden Langeweile aus
jedem Pinselstriche hervor. Dies geschah besonders oft gegen die Mitte der
siebziger Jahre, als der Bilderexport nach Amerika und England, zum Ruin
manches vielversprechenden Talentes, gar zu flott ging. Da gerieth auch Muuthe
in eine summarische, decorative Mache hinein, die er nicht wieder losgeworden
ist. Seine Stärke liegt in der Winterlandschaft bei Thauwetter. Wenn der
Schnee sich bereits gelockert hat, wenn das Erdreich aufgethaut ist und die
schwarzbraune Kruste die blendende Decke schmutzig färbt, dann ergreift Munthe
den Moment, um die Virtuosität seines Pinsels in der möglichst charakteristischen
Wiedergabe dieses wenig tröstlichen Bildes zu zeigen. Ein ödes Feld, höchstens
mit ein paar verkrüppelten Bäumen, die wie hilfeflehend ihre nackten Aeste zu
dem dunkelgrauen Himmel, der selber trostlos ist, emporstrecken, ein Schwarm
von Krähen, eine Landstraße, auf der man die mit Wasser gefüllten Spuren
von Wagenrädern oder von Menschen und Thieren sieht -- das sind die Ele¬
mente, aus denen sich eine Munthesche Winterlandschaft zusammensetzt. Um die
Melancholie oder richtiger die Verdrießlichkeit des Eindrucks noch zu erhöhen,
blinkt bisweilen im Hintergründe ein fahlgelber Lichtstreifen als Reflex der unter-
gehenden Sonne durch die Wolkenwand und spiegelt sich in den Pfützen des
Weges. Heutzutage, wo der Grundsatz gilt, daß alles, was ist, auch gemalt
werden muß, erregt der Cultus einer solchen Specialität kein großes Befremden
mehr. Innerhalb der Düsseldorfer Schule aber bilden Realisten dieses Schlages
immerhin noch eine vereinzelte Erscheinung.

Wenn mau von den Malern spricht, welche ihre schönsten Inspirationen
aus der norwegischen Gebirgsnatnr geschöpft haben, muß August Wilhelm Leu
unter den ersten genannt werden. Geboren am 24. Mürz 1818 in Münster,
ging er 1840 nach Düsseldorf, wo er vier Jahre lang unter Schirmers Leitung
studirte. 1843 machte er seiue erste Reise nach Norwegen, dessen mächtige Ein¬
drücke seine Phantasie so erfüllten, daß er bis in die ersten fünfziger Jahre
hinein fast ausschließlich norwegische Gebirgslandschaften mit Wasserfällen, düstern
Tannenwäldern und tief einschneidenden Fjords malte. 1847 kehrte er nach
Norwegen zurück, um sich neue Anregungen zu holen. Seine elegante Technik,
sein leuchtendes Colorit, welches von einer selbstgefälligen Schönfärberei nicht
immer freizusprechen ist, schließen sich eng an Schirmer an, dem Leu jedoch
an Großartigkeit der Auffassung überlegen ist. Auf seinen Landschaften ruht


Die Düsseldorfer Schule.

kam, dort aber auf eigne Hand studirte, ohne sich an ein Vorbild anzuschließen.
Seine Vortrags- und Auffassungsweise weicht daher auch von der in Düsseldorf
noch heute herrschenden Strömung wesentlich ab. Er ist ein ausgesprochener
Realist, den man am passendsten mit dem Franzosen Daubigny vergleichen kann.
Dem Ton und der Stimmung opfert er Form und Zeichnung. Oft ist die
Stärke der Empfindung groß genug, um gewisse Flüchtigkeiten und Rohheiten
der malerischen Behandlung niederzuhalten. Wenn der Spiritus aber einmal
ausbleibt, guckt das Gespenst der Formlosigkeit und der öden Langeweile aus
jedem Pinselstriche hervor. Dies geschah besonders oft gegen die Mitte der
siebziger Jahre, als der Bilderexport nach Amerika und England, zum Ruin
manches vielversprechenden Talentes, gar zu flott ging. Da gerieth auch Muuthe
in eine summarische, decorative Mache hinein, die er nicht wieder losgeworden
ist. Seine Stärke liegt in der Winterlandschaft bei Thauwetter. Wenn der
Schnee sich bereits gelockert hat, wenn das Erdreich aufgethaut ist und die
schwarzbraune Kruste die blendende Decke schmutzig färbt, dann ergreift Munthe
den Moment, um die Virtuosität seines Pinsels in der möglichst charakteristischen
Wiedergabe dieses wenig tröstlichen Bildes zu zeigen. Ein ödes Feld, höchstens
mit ein paar verkrüppelten Bäumen, die wie hilfeflehend ihre nackten Aeste zu
dem dunkelgrauen Himmel, der selber trostlos ist, emporstrecken, ein Schwarm
von Krähen, eine Landstraße, auf der man die mit Wasser gefüllten Spuren
von Wagenrädern oder von Menschen und Thieren sieht — das sind die Ele¬
mente, aus denen sich eine Munthesche Winterlandschaft zusammensetzt. Um die
Melancholie oder richtiger die Verdrießlichkeit des Eindrucks noch zu erhöhen,
blinkt bisweilen im Hintergründe ein fahlgelber Lichtstreifen als Reflex der unter-
gehenden Sonne durch die Wolkenwand und spiegelt sich in den Pfützen des
Weges. Heutzutage, wo der Grundsatz gilt, daß alles, was ist, auch gemalt
werden muß, erregt der Cultus einer solchen Specialität kein großes Befremden
mehr. Innerhalb der Düsseldorfer Schule aber bilden Realisten dieses Schlages
immerhin noch eine vereinzelte Erscheinung.

Wenn mau von den Malern spricht, welche ihre schönsten Inspirationen
aus der norwegischen Gebirgsnatnr geschöpft haben, muß August Wilhelm Leu
unter den ersten genannt werden. Geboren am 24. Mürz 1818 in Münster,
ging er 1840 nach Düsseldorf, wo er vier Jahre lang unter Schirmers Leitung
studirte. 1843 machte er seiue erste Reise nach Norwegen, dessen mächtige Ein¬
drücke seine Phantasie so erfüllten, daß er bis in die ersten fünfziger Jahre
hinein fast ausschließlich norwegische Gebirgslandschaften mit Wasserfällen, düstern
Tannenwäldern und tief einschneidenden Fjords malte. 1847 kehrte er nach
Norwegen zurück, um sich neue Anregungen zu holen. Seine elegante Technik,
sein leuchtendes Colorit, welches von einer selbstgefälligen Schönfärberei nicht
immer freizusprechen ist, schließen sich eng an Schirmer an, dem Leu jedoch
an Großartigkeit der Auffassung überlegen ist. Auf seinen Landschaften ruht


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[0394] Die Düsseldorfer Schule. kam, dort aber auf eigne Hand studirte, ohne sich an ein Vorbild anzuschließen. Seine Vortrags- und Auffassungsweise weicht daher auch von der in Düsseldorf noch heute herrschenden Strömung wesentlich ab. Er ist ein ausgesprochener Realist, den man am passendsten mit dem Franzosen Daubigny vergleichen kann. Dem Ton und der Stimmung opfert er Form und Zeichnung. Oft ist die Stärke der Empfindung groß genug, um gewisse Flüchtigkeiten und Rohheiten der malerischen Behandlung niederzuhalten. Wenn der Spiritus aber einmal ausbleibt, guckt das Gespenst der Formlosigkeit und der öden Langeweile aus jedem Pinselstriche hervor. Dies geschah besonders oft gegen die Mitte der siebziger Jahre, als der Bilderexport nach Amerika und England, zum Ruin manches vielversprechenden Talentes, gar zu flott ging. Da gerieth auch Muuthe in eine summarische, decorative Mache hinein, die er nicht wieder losgeworden ist. Seine Stärke liegt in der Winterlandschaft bei Thauwetter. Wenn der Schnee sich bereits gelockert hat, wenn das Erdreich aufgethaut ist und die schwarzbraune Kruste die blendende Decke schmutzig färbt, dann ergreift Munthe den Moment, um die Virtuosität seines Pinsels in der möglichst charakteristischen Wiedergabe dieses wenig tröstlichen Bildes zu zeigen. Ein ödes Feld, höchstens mit ein paar verkrüppelten Bäumen, die wie hilfeflehend ihre nackten Aeste zu dem dunkelgrauen Himmel, der selber trostlos ist, emporstrecken, ein Schwarm von Krähen, eine Landstraße, auf der man die mit Wasser gefüllten Spuren von Wagenrädern oder von Menschen und Thieren sieht — das sind die Ele¬ mente, aus denen sich eine Munthesche Winterlandschaft zusammensetzt. Um die Melancholie oder richtiger die Verdrießlichkeit des Eindrucks noch zu erhöhen, blinkt bisweilen im Hintergründe ein fahlgelber Lichtstreifen als Reflex der unter- gehenden Sonne durch die Wolkenwand und spiegelt sich in den Pfützen des Weges. Heutzutage, wo der Grundsatz gilt, daß alles, was ist, auch gemalt werden muß, erregt der Cultus einer solchen Specialität kein großes Befremden mehr. Innerhalb der Düsseldorfer Schule aber bilden Realisten dieses Schlages immerhin noch eine vereinzelte Erscheinung. Wenn mau von den Malern spricht, welche ihre schönsten Inspirationen aus der norwegischen Gebirgsnatnr geschöpft haben, muß August Wilhelm Leu unter den ersten genannt werden. Geboren am 24. Mürz 1818 in Münster, ging er 1840 nach Düsseldorf, wo er vier Jahre lang unter Schirmers Leitung studirte. 1843 machte er seiue erste Reise nach Norwegen, dessen mächtige Ein¬ drücke seine Phantasie so erfüllten, daß er bis in die ersten fünfziger Jahre hinein fast ausschließlich norwegische Gebirgslandschaften mit Wasserfällen, düstern Tannenwäldern und tief einschneidenden Fjords malte. 1847 kehrte er nach Norwegen zurück, um sich neue Anregungen zu holen. Seine elegante Technik, sein leuchtendes Colorit, welches von einer selbstgefälligen Schönfärberei nicht immer freizusprechen ist, schließen sich eng an Schirmer an, dem Leu jedoch an Großartigkeit der Auffassung überlegen ist. Auf seinen Landschaften ruht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/394>, abgerufen am 01.09.2024.