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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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seiner fernen Henne die Kranken vom Tode gerettet würden. Alsbald sah man
ihn für einen Arzt und Priester, d, h. für eine geheiligte Person an. Der Häupt¬
ling begrüßte "den weisen Fremdling," "die große Mediein" voll Ehrfurcht, lud
ihn zu Gaste in sein Dorf und Zelt, führte ihm Kranke zu und gab Befehl,
daß jeder ihm beim Suchen der Pflanzen helfen solle. Der glückliche Einfall
war die Veranlassung, daß Hildebrandt große Ballen mit Pflanzen, Insekten,
Vögeln und anatomischen Präparaten, Skeletten:e, aufhäufte und in Sicherheit
wegtransportircn konnte.

Durch den Krieg des Königs Theodorus von Abessinien mit dem Khedive
von Acghpten waren die Wilden im Sonmllande in gefahrbringender Aufregung.
Das ganze Land war in lauter kleine Häuptlingsschaften oder Sultanate zer¬
splittert, und jeder dieser Dutzend-Sultane wollte beschenkt und zum Essen ge¬
laden sein, begnügte sich aber auch mit etwas Kautabak. Trotzdem drang Hilde¬
brandt bis in das Gebiet der Hahr-Gehn'djis (47-48° ö. v. Gr., 11" N. Br.)
vor, mußte aber zurück, nachdem er selbst in Kämpfe mit streifenden Horden ge¬
rathen. Die Unruhen in den Somnii- und Galaländern hatten auch den Sultan
vou Sansibar in Mitleidenschaft gezogen, weil eine Anzahl seiner Soldaten in
der Soncklistadt Marta ermordet worden war.

In Sansibar urtheilte man nach Hildebrandt wenig günstig über die Art,
wie Stanley unter Anwendung vou Pulver und Blei die wissenschaftliche Er¬
schließung Afrikas betrieben habe. Hildebrandt meinte, daß Stanley durch seiue
Maßnahmen jedem, der später die von ihm "geebnete" Straße wieder ziehen
möchte, den Weg gründlich versperrt habe. Denn die Blutrache sei so ziemlich
das einzige Gesetz, welches in Afrika heilig gehalten werde, und könne man dessen,
der sie heraufbeschworen, nicht habhaft werden, so seien alle seine Stmmnesgenosse"
-- in diesem Falle also alle weißen Männer -- ihr verfallen.

Hildebrandt hat niemals mit Gewalt sich seinen Weg zu bahnen versucht.
Vom Somalilande begab er sich in sein altes Standquartier Sansibar. Dort
nahm das Ordnen und Expediren der Soncklisammlung fast vier Wochen in An¬
spruch. Hierauf reiste er zur Comoreninsel "Johanna," wo er vier Monate fest¬
gehalten wurde, weil dort die Blattern ausgebrochen waren und infolge dessen
kein Dampfer landete. Dieser Umstand war leider die Veranlassung, daß der
werthvollste Theil seiner dortigen Ausbeute, über 70 Stämme Baumfarren und
Cycas, welche nun erst Ende November in Berlin eintrafen, durch die inzwischen
eingetretene Kälte zu Grunde gingen.

Sein nächstes Ziel war der schneebedeckte Kenia, neben dem Kilimandscharo
der höchste Berg der östlichen Gebirgskette Hochafrikas. Um in diese noch völlig
unbekannten Regionen vorzudringen, mußte er wieder die Gebiete der Galavölker
durchreisen. Bei reichlich zuströmenden Geldmitteln wurde eine neue Ausrüstung
hergestellt, neue Leute recrutirt -- "eine Kerntruppe wahrer Buschklepper von
echtem Schrot und Korn, deren jeder eine Othellolebensgeschichte erzählen könnte."


seiner fernen Henne die Kranken vom Tode gerettet würden. Alsbald sah man
ihn für einen Arzt und Priester, d, h. für eine geheiligte Person an. Der Häupt¬
ling begrüßte „den weisen Fremdling," „die große Mediein" voll Ehrfurcht, lud
ihn zu Gaste in sein Dorf und Zelt, führte ihm Kranke zu und gab Befehl,
daß jeder ihm beim Suchen der Pflanzen helfen solle. Der glückliche Einfall
war die Veranlassung, daß Hildebrandt große Ballen mit Pflanzen, Insekten,
Vögeln und anatomischen Präparaten, Skeletten:e, aufhäufte und in Sicherheit
wegtransportircn konnte.

Durch den Krieg des Königs Theodorus von Abessinien mit dem Khedive
von Acghpten waren die Wilden im Sonmllande in gefahrbringender Aufregung.
Das ganze Land war in lauter kleine Häuptlingsschaften oder Sultanate zer¬
splittert, und jeder dieser Dutzend-Sultane wollte beschenkt und zum Essen ge¬
laden sein, begnügte sich aber auch mit etwas Kautabak. Trotzdem drang Hilde¬
brandt bis in das Gebiet der Hahr-Gehn'djis (47-48° ö. v. Gr., 11« N. Br.)
vor, mußte aber zurück, nachdem er selbst in Kämpfe mit streifenden Horden ge¬
rathen. Die Unruhen in den Somnii- und Galaländern hatten auch den Sultan
vou Sansibar in Mitleidenschaft gezogen, weil eine Anzahl seiner Soldaten in
der Soncklistadt Marta ermordet worden war.

In Sansibar urtheilte man nach Hildebrandt wenig günstig über die Art,
wie Stanley unter Anwendung vou Pulver und Blei die wissenschaftliche Er¬
schließung Afrikas betrieben habe. Hildebrandt meinte, daß Stanley durch seiue
Maßnahmen jedem, der später die von ihm „geebnete" Straße wieder ziehen
möchte, den Weg gründlich versperrt habe. Denn die Blutrache sei so ziemlich
das einzige Gesetz, welches in Afrika heilig gehalten werde, und könne man dessen,
der sie heraufbeschworen, nicht habhaft werden, so seien alle seine Stmmnesgenosse»
— in diesem Falle also alle weißen Männer — ihr verfallen.

Hildebrandt hat niemals mit Gewalt sich seinen Weg zu bahnen versucht.
Vom Somalilande begab er sich in sein altes Standquartier Sansibar. Dort
nahm das Ordnen und Expediren der Soncklisammlung fast vier Wochen in An¬
spruch. Hierauf reiste er zur Comoreninsel „Johanna," wo er vier Monate fest¬
gehalten wurde, weil dort die Blattern ausgebrochen waren und infolge dessen
kein Dampfer landete. Dieser Umstand war leider die Veranlassung, daß der
werthvollste Theil seiner dortigen Ausbeute, über 70 Stämme Baumfarren und
Cycas, welche nun erst Ende November in Berlin eintrafen, durch die inzwischen
eingetretene Kälte zu Grunde gingen.

Sein nächstes Ziel war der schneebedeckte Kenia, neben dem Kilimandscharo
der höchste Berg der östlichen Gebirgskette Hochafrikas. Um in diese noch völlig
unbekannten Regionen vorzudringen, mußte er wieder die Gebiete der Galavölker
durchreisen. Bei reichlich zuströmenden Geldmitteln wurde eine neue Ausrüstung
hergestellt, neue Leute recrutirt — „eine Kerntruppe wahrer Buschklepper von
echtem Schrot und Korn, deren jeder eine Othellolebensgeschichte erzählen könnte."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/388>, abgerufen am 01.09.2024.