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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthums.

die Mühe geben wollen, den Wirkungen der Einrichtung nachzuspüren, finden
darin den wohlfeilste" Weg, in einer Zeit großer Gefahr und Schwierigkeit die
augenscheinliche Ueberfülle der Bevölkerung zu unterstützen. Hier sehen wir endlich
wieder die Vortheile der unmittelbare" Nachbarschaft und des Jneinandergrcifens
von landwirtschaftlicher und industrieller Thätigkeit mit größter Deutlichkeit
hervortreten. Die geschützte und infolge dessen von Gesundheit strotzende In¬
dustrie hat auch das Land befruchtet. Dasselbe, von Natur meist wenig frucht¬
barer Sand, ist auf künstlichen? Wege zu einem sehr fruchtbaren Boden um¬
gewandelt worden, der eine stärkere Bevölkerung als irgend ein andrer ernährt.

Versetzen wir uns endlich über das Atlantische Meer und betrachten wir
die frühere und die gegenwärtige Wirthschaftspolitik der Vereinigten Staaten.
Einige Jahre nach dem letzten Kriege mit England versuchte mau es hier mit
niedrigen Einfuhrzöllen. Sie bewirkten den Ruin der Fabrikthätigkeit, und man
führte infolge dessen Zölle ein, die eingestandenermaßen auf Schutz der In¬
dustrie berechnet waren. Die englischen Freihändler weissagten Unheil, aber das
Ergebniß war Gedeihen und die Entwickelung einer gewaltigen Eisen-, Baum¬
wollen- und Wollenindustrie. Manufaeturzweige, die bei freier Waareneinfuhr
von England niemals zu sprossen begonnen hätten, bedrohten England jetzt mit
Concurrenz. Schutzzölle! war jetzt der instinctive Ruf der Bevölkerung, namentlich
im Norden, und die Regierung neigte sich denselben mehr und mehr zu. Die
Zölle wurden erheblich erhöht und zwar ausgesprochnermaßen zum Schutze der
heimischen Arbeit. Es entstanden amerikanische Baumwollenfabriken und fingen
an, die Baumwolle der Sklavenstaaten an Ort und Stelle vor den Fabrikanten
von Manchester wegzulaufen. Schon erschienen amerikanische Banmwollenwnaren
concurrirend auf englischen Märkten, und noch immer verlangte eine mächtige
Partei im Norden Erhöhung der Zölle auf fremde Waaren. Selbst Staats¬
männer aus dem Süden waren Schutzzöllner, so z. B. Henry Clah, der den
Freihandel fiir eine "verderbliche Illusion" erklärte. Ein andrer amerikanischer
Staatsmann ersten Ranges, Daniel Webster, einst ein Freihändler, war jetzt
gleicher Meinung. Der Präsident Taylor bekannte sich zum Schutzzoll und sein
Nachfolger Fillmore ebenfalls. Boston, das "amerikanische Athen", die ge¬
bildetste und vornehmste Stadt Amerikas, war durchaus von schutzzöllncrischcn
Ideen und Tendenzen beherrscht." Noch einmal wurden später die Zölle, die das
Land von England emancipiren sollten, herabgesetzt. Dann kam der große
Bürgerkrieg, der nach einer Seite hin ein Kampf zwischen Schutzzoll und Frei¬
handel war, und die Noth zwang zu Zöllen, die in ihrer Höhe Prohibitivzöllen
gleichkamen. Dieselbe" blieben im wesentlichen, die amerikanische Industrie aber
hat seitdem nichts weniger als gesiecht. Sie hätte nach der Theorie der Frei¬
händler an diesen ungeheure" Zöllen sterben müssen, sie ist aber zu einer Riesin
erwachsen, die sich allen Ernstes anschickt, den Kampf mit allen andern In¬
dustrien aufzunehmen, und bereits überraschende Siege zu verzeichne" hat. Und


Zur Charakteristik des Manchesterthums.

die Mühe geben wollen, den Wirkungen der Einrichtung nachzuspüren, finden
darin den wohlfeilste» Weg, in einer Zeit großer Gefahr und Schwierigkeit die
augenscheinliche Ueberfülle der Bevölkerung zu unterstützen. Hier sehen wir endlich
wieder die Vortheile der unmittelbare» Nachbarschaft und des Jneinandergrcifens
von landwirtschaftlicher und industrieller Thätigkeit mit größter Deutlichkeit
hervortreten. Die geschützte und infolge dessen von Gesundheit strotzende In¬
dustrie hat auch das Land befruchtet. Dasselbe, von Natur meist wenig frucht¬
barer Sand, ist auf künstlichen? Wege zu einem sehr fruchtbaren Boden um¬
gewandelt worden, der eine stärkere Bevölkerung als irgend ein andrer ernährt.

Versetzen wir uns endlich über das Atlantische Meer und betrachten wir
die frühere und die gegenwärtige Wirthschaftspolitik der Vereinigten Staaten.
Einige Jahre nach dem letzten Kriege mit England versuchte mau es hier mit
niedrigen Einfuhrzöllen. Sie bewirkten den Ruin der Fabrikthätigkeit, und man
führte infolge dessen Zölle ein, die eingestandenermaßen auf Schutz der In¬
dustrie berechnet waren. Die englischen Freihändler weissagten Unheil, aber das
Ergebniß war Gedeihen und die Entwickelung einer gewaltigen Eisen-, Baum¬
wollen- und Wollenindustrie. Manufaeturzweige, die bei freier Waareneinfuhr
von England niemals zu sprossen begonnen hätten, bedrohten England jetzt mit
Concurrenz. Schutzzölle! war jetzt der instinctive Ruf der Bevölkerung, namentlich
im Norden, und die Regierung neigte sich denselben mehr und mehr zu. Die
Zölle wurden erheblich erhöht und zwar ausgesprochnermaßen zum Schutze der
heimischen Arbeit. Es entstanden amerikanische Baumwollenfabriken und fingen
an, die Baumwolle der Sklavenstaaten an Ort und Stelle vor den Fabrikanten
von Manchester wegzulaufen. Schon erschienen amerikanische Banmwollenwnaren
concurrirend auf englischen Märkten, und noch immer verlangte eine mächtige
Partei im Norden Erhöhung der Zölle auf fremde Waaren. Selbst Staats¬
männer aus dem Süden waren Schutzzöllner, so z. B. Henry Clah, der den
Freihandel fiir eine «verderbliche Illusion» erklärte. Ein andrer amerikanischer
Staatsmann ersten Ranges, Daniel Webster, einst ein Freihändler, war jetzt
gleicher Meinung. Der Präsident Taylor bekannte sich zum Schutzzoll und sein
Nachfolger Fillmore ebenfalls. Boston, das «amerikanische Athen», die ge¬
bildetste und vornehmste Stadt Amerikas, war durchaus von schutzzöllncrischcn
Ideen und Tendenzen beherrscht." Noch einmal wurden später die Zölle, die das
Land von England emancipiren sollten, herabgesetzt. Dann kam der große
Bürgerkrieg, der nach einer Seite hin ein Kampf zwischen Schutzzoll und Frei¬
handel war, und die Noth zwang zu Zöllen, die in ihrer Höhe Prohibitivzöllen
gleichkamen. Dieselbe» blieben im wesentlichen, die amerikanische Industrie aber
hat seitdem nichts weniger als gesiecht. Sie hätte nach der Theorie der Frei¬
händler an diesen ungeheure» Zöllen sterben müssen, sie ist aber zu einer Riesin
erwachsen, die sich allen Ernstes anschickt, den Kampf mit allen andern In¬
dustrien aufzunehmen, und bereits überraschende Siege zu verzeichne« hat. Und


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[0363] Zur Charakteristik des Manchesterthums. die Mühe geben wollen, den Wirkungen der Einrichtung nachzuspüren, finden darin den wohlfeilste» Weg, in einer Zeit großer Gefahr und Schwierigkeit die augenscheinliche Ueberfülle der Bevölkerung zu unterstützen. Hier sehen wir endlich wieder die Vortheile der unmittelbare» Nachbarschaft und des Jneinandergrcifens von landwirtschaftlicher und industrieller Thätigkeit mit größter Deutlichkeit hervortreten. Die geschützte und infolge dessen von Gesundheit strotzende In¬ dustrie hat auch das Land befruchtet. Dasselbe, von Natur meist wenig frucht¬ barer Sand, ist auf künstlichen? Wege zu einem sehr fruchtbaren Boden um¬ gewandelt worden, der eine stärkere Bevölkerung als irgend ein andrer ernährt. Versetzen wir uns endlich über das Atlantische Meer und betrachten wir die frühere und die gegenwärtige Wirthschaftspolitik der Vereinigten Staaten. Einige Jahre nach dem letzten Kriege mit England versuchte mau es hier mit niedrigen Einfuhrzöllen. Sie bewirkten den Ruin der Fabrikthätigkeit, und man führte infolge dessen Zölle ein, die eingestandenermaßen auf Schutz der In¬ dustrie berechnet waren. Die englischen Freihändler weissagten Unheil, aber das Ergebniß war Gedeihen und die Entwickelung einer gewaltigen Eisen-, Baum¬ wollen- und Wollenindustrie. Manufaeturzweige, die bei freier Waareneinfuhr von England niemals zu sprossen begonnen hätten, bedrohten England jetzt mit Concurrenz. Schutzzölle! war jetzt der instinctive Ruf der Bevölkerung, namentlich im Norden, und die Regierung neigte sich denselben mehr und mehr zu. Die Zölle wurden erheblich erhöht und zwar ausgesprochnermaßen zum Schutze der heimischen Arbeit. Es entstanden amerikanische Baumwollenfabriken und fingen an, die Baumwolle der Sklavenstaaten an Ort und Stelle vor den Fabrikanten von Manchester wegzulaufen. Schon erschienen amerikanische Banmwollenwnaren concurrirend auf englischen Märkten, und noch immer verlangte eine mächtige Partei im Norden Erhöhung der Zölle auf fremde Waaren. Selbst Staats¬ männer aus dem Süden waren Schutzzöllner, so z. B. Henry Clah, der den Freihandel fiir eine «verderbliche Illusion» erklärte. Ein andrer amerikanischer Staatsmann ersten Ranges, Daniel Webster, einst ein Freihändler, war jetzt gleicher Meinung. Der Präsident Taylor bekannte sich zum Schutzzoll und sein Nachfolger Fillmore ebenfalls. Boston, das «amerikanische Athen», die ge¬ bildetste und vornehmste Stadt Amerikas, war durchaus von schutzzöllncrischcn Ideen und Tendenzen beherrscht." Noch einmal wurden später die Zölle, die das Land von England emancipiren sollten, herabgesetzt. Dann kam der große Bürgerkrieg, der nach einer Seite hin ein Kampf zwischen Schutzzoll und Frei¬ handel war, und die Noth zwang zu Zöllen, die in ihrer Höhe Prohibitivzöllen gleichkamen. Dieselbe» blieben im wesentlichen, die amerikanische Industrie aber hat seitdem nichts weniger als gesiecht. Sie hätte nach der Theorie der Frei¬ händler an diesen ungeheure» Zöllen sterben müssen, sie ist aber zu einer Riesin erwachsen, die sich allen Ernstes anschickt, den Kampf mit allen andern In¬ dustrien aufzunehmen, und bereits überraschende Siege zu verzeichne« hat. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/363>, abgerufen am 26.11.2024.