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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Walpurgisnacht.

Aber Christine hat ihre dunkle Walpurgisnachthülle doch nicht früher abgeworfen,
als bis Karlson seine schöne Tochter mit Wolf von Rügen verlobt hat, sie er¬
greift ihre Würde nur, um Sternberg und Gräfin Agnes Western mit einander
zu verbinden und großmüthig ihr Odinsholm gegen Wolfs Erbgut ans Rügen
auszutauschen, damit der neue Bräutigam das schönste Mädchen Schwedens der
nordischen Heimat nicht zu entführen braucht. Die Königin hingegen wird
Wohl, wie in den ersten Scenen des Lustspiels angedeutet ist, mit ihrem wackern
Schwabenprofessor Freinsheim wieder in die Welt hinausziehen im Glücks¬
jubel am Schlüsse des Stückes gehen ihre Entschlüsse verloren, und nur in dein
letzten Auftreten der Irrwische, die sich auf der Scene tummeln, könnte man
einen Hinweis auf ihre fernern Abenteuer erblicken.

Von dem Reiz und Duft des eigenthümlichen kleinen Werkes kann diese Er¬
zählung freilich keine Vorstellung geben und höchstens ahnen lassen, welche reichen
Beziehungen und Einzelheiten sich in diesem phantastischen Rahmen zusammen¬
drängen. Die Stärke der "Walpurgisnacht" liegt in ihrer Charakteristik, in der
Poetischen Detaillirung, die in einzelnen Scenen eine Fülle schalkhaften Humors und
jener Lyrik aufweist, welche im kürzesten Ausdrucke die Stimmung des Sprechende"
wiedergiebt. Minder rühmenswerth ist die Motivirung und Führung der Hand¬
lung. Oder vielmehr: eine ganz gesund gedachte und nicht unmotivirte Handlung
leidet unter der Willkür, mit welcher der Dichter die wichtigsten Weiterführungcu
und Verknüpfungen in eine kurze Aeußerung legt, die selbst dem antheilnehmenden
Leser für den Augenblick in ihrer Bedeutung nicht aufgeht und die auf der
Bühne unbedingt zu Boden fallen müßte. F. Siegfried hat offenbar keine Ahnung
davon, wie sehr sich auf dem Theater auch der größte Dichter der plattesten
Deutlichkeit befleißigen muß, bevor er annehmen darf, daß das verehrliche Publicum
die Handlung nach ihrem Grundzug und ihrer Endabsicht begreift. Das graziöse
Spiel des Andenkens, des Errathenlassens, zu welchem der Verfasser Neigung
zeigt, darf allenfalls in Bezug auf Empfindungen der handelnden Personen geübt
werden, niemals aber in Bezug auf Momente der Handlung. Es würde sich
für eine Aufführung dieser Walpurgisnacht fast überall eine straffere Verknüpfung
der höchst lebendigen Scenen, eine deutlichere Erklärung gewisser Absichten der
einzelnen Figuren nothwendig machen, wenn anders eine Wirkung erzielt werden
sollte. In einigen Fällen, namentlich im vierten und fünften Act, kann durch die
Hand eines geschickten Regisseurs der überflüssige und, wie die Dinge auf unsrer
Bühne einmal liegen, störende Secnenwcchsel beseitigt und in der realen Erscheinung
ans ein paar große Gruppen zurückgeführt werden. Alles in allein ist das Lustspiel,
so wie es vorliegt, nicht in Scene zu setzen. Aber es würde keine unüberwind¬
lichen Schwierigkeiten bereiten, die nöthigen Aenderungen, hier Kürzungen, dort
Zusätze, vorzunehmen, ohne den poetischen Kern anzutasten. Und der scheint
beispielsweise für die Meiuinger oder, seit alle Welt meiningcrn will, auch für
andre Bühnen sehr vielversprechend. Zu lebendigen Charakteren buntbewegte


Walpurgisnacht.

Aber Christine hat ihre dunkle Walpurgisnachthülle doch nicht früher abgeworfen,
als bis Karlson seine schöne Tochter mit Wolf von Rügen verlobt hat, sie er¬
greift ihre Würde nur, um Sternberg und Gräfin Agnes Western mit einander
zu verbinden und großmüthig ihr Odinsholm gegen Wolfs Erbgut ans Rügen
auszutauschen, damit der neue Bräutigam das schönste Mädchen Schwedens der
nordischen Heimat nicht zu entführen braucht. Die Königin hingegen wird
Wohl, wie in den ersten Scenen des Lustspiels angedeutet ist, mit ihrem wackern
Schwabenprofessor Freinsheim wieder in die Welt hinausziehen im Glücks¬
jubel am Schlüsse des Stückes gehen ihre Entschlüsse verloren, und nur in dein
letzten Auftreten der Irrwische, die sich auf der Scene tummeln, könnte man
einen Hinweis auf ihre fernern Abenteuer erblicken.

Von dem Reiz und Duft des eigenthümlichen kleinen Werkes kann diese Er¬
zählung freilich keine Vorstellung geben und höchstens ahnen lassen, welche reichen
Beziehungen und Einzelheiten sich in diesem phantastischen Rahmen zusammen¬
drängen. Die Stärke der „Walpurgisnacht" liegt in ihrer Charakteristik, in der
Poetischen Detaillirung, die in einzelnen Scenen eine Fülle schalkhaften Humors und
jener Lyrik aufweist, welche im kürzesten Ausdrucke die Stimmung des Sprechende»
wiedergiebt. Minder rühmenswerth ist die Motivirung und Führung der Hand¬
lung. Oder vielmehr: eine ganz gesund gedachte und nicht unmotivirte Handlung
leidet unter der Willkür, mit welcher der Dichter die wichtigsten Weiterführungcu
und Verknüpfungen in eine kurze Aeußerung legt, die selbst dem antheilnehmenden
Leser für den Augenblick in ihrer Bedeutung nicht aufgeht und die auf der
Bühne unbedingt zu Boden fallen müßte. F. Siegfried hat offenbar keine Ahnung
davon, wie sehr sich auf dem Theater auch der größte Dichter der plattesten
Deutlichkeit befleißigen muß, bevor er annehmen darf, daß das verehrliche Publicum
die Handlung nach ihrem Grundzug und ihrer Endabsicht begreift. Das graziöse
Spiel des Andenkens, des Errathenlassens, zu welchem der Verfasser Neigung
zeigt, darf allenfalls in Bezug auf Empfindungen der handelnden Personen geübt
werden, niemals aber in Bezug auf Momente der Handlung. Es würde sich
für eine Aufführung dieser Walpurgisnacht fast überall eine straffere Verknüpfung
der höchst lebendigen Scenen, eine deutlichere Erklärung gewisser Absichten der
einzelnen Figuren nothwendig machen, wenn anders eine Wirkung erzielt werden
sollte. In einigen Fällen, namentlich im vierten und fünften Act, kann durch die
Hand eines geschickten Regisseurs der überflüssige und, wie die Dinge auf unsrer
Bühne einmal liegen, störende Secnenwcchsel beseitigt und in der realen Erscheinung
ans ein paar große Gruppen zurückgeführt werden. Alles in allein ist das Lustspiel,
so wie es vorliegt, nicht in Scene zu setzen. Aber es würde keine unüberwind¬
lichen Schwierigkeiten bereiten, die nöthigen Aenderungen, hier Kürzungen, dort
Zusätze, vorzunehmen, ohne den poetischen Kern anzutasten. Und der scheint
beispielsweise für die Meiuinger oder, seit alle Welt meiningcrn will, auch für
andre Bühnen sehr vielversprechend. Zu lebendigen Charakteren buntbewegte


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[0349] Walpurgisnacht. Aber Christine hat ihre dunkle Walpurgisnachthülle doch nicht früher abgeworfen, als bis Karlson seine schöne Tochter mit Wolf von Rügen verlobt hat, sie er¬ greift ihre Würde nur, um Sternberg und Gräfin Agnes Western mit einander zu verbinden und großmüthig ihr Odinsholm gegen Wolfs Erbgut ans Rügen auszutauschen, damit der neue Bräutigam das schönste Mädchen Schwedens der nordischen Heimat nicht zu entführen braucht. Die Königin hingegen wird Wohl, wie in den ersten Scenen des Lustspiels angedeutet ist, mit ihrem wackern Schwabenprofessor Freinsheim wieder in die Welt hinausziehen im Glücks¬ jubel am Schlüsse des Stückes gehen ihre Entschlüsse verloren, und nur in dein letzten Auftreten der Irrwische, die sich auf der Scene tummeln, könnte man einen Hinweis auf ihre fernern Abenteuer erblicken. Von dem Reiz und Duft des eigenthümlichen kleinen Werkes kann diese Er¬ zählung freilich keine Vorstellung geben und höchstens ahnen lassen, welche reichen Beziehungen und Einzelheiten sich in diesem phantastischen Rahmen zusammen¬ drängen. Die Stärke der „Walpurgisnacht" liegt in ihrer Charakteristik, in der Poetischen Detaillirung, die in einzelnen Scenen eine Fülle schalkhaften Humors und jener Lyrik aufweist, welche im kürzesten Ausdrucke die Stimmung des Sprechende» wiedergiebt. Minder rühmenswerth ist die Motivirung und Führung der Hand¬ lung. Oder vielmehr: eine ganz gesund gedachte und nicht unmotivirte Handlung leidet unter der Willkür, mit welcher der Dichter die wichtigsten Weiterführungcu und Verknüpfungen in eine kurze Aeußerung legt, die selbst dem antheilnehmenden Leser für den Augenblick in ihrer Bedeutung nicht aufgeht und die auf der Bühne unbedingt zu Boden fallen müßte. F. Siegfried hat offenbar keine Ahnung davon, wie sehr sich auf dem Theater auch der größte Dichter der plattesten Deutlichkeit befleißigen muß, bevor er annehmen darf, daß das verehrliche Publicum die Handlung nach ihrem Grundzug und ihrer Endabsicht begreift. Das graziöse Spiel des Andenkens, des Errathenlassens, zu welchem der Verfasser Neigung zeigt, darf allenfalls in Bezug auf Empfindungen der handelnden Personen geübt werden, niemals aber in Bezug auf Momente der Handlung. Es würde sich für eine Aufführung dieser Walpurgisnacht fast überall eine straffere Verknüpfung der höchst lebendigen Scenen, eine deutlichere Erklärung gewisser Absichten der einzelnen Figuren nothwendig machen, wenn anders eine Wirkung erzielt werden sollte. In einigen Fällen, namentlich im vierten und fünften Act, kann durch die Hand eines geschickten Regisseurs der überflüssige und, wie die Dinge auf unsrer Bühne einmal liegen, störende Secnenwcchsel beseitigt und in der realen Erscheinung ans ein paar große Gruppen zurückgeführt werden. Alles in allein ist das Lustspiel, so wie es vorliegt, nicht in Scene zu setzen. Aber es würde keine unüberwind¬ lichen Schwierigkeiten bereiten, die nöthigen Aenderungen, hier Kürzungen, dort Zusätze, vorzunehmen, ohne den poetischen Kern anzutasten. Und der scheint beispielsweise für die Meiuinger oder, seit alle Welt meiningcrn will, auch für andre Bühnen sehr vielversprechend. Zu lebendigen Charakteren buntbewegte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/349>, abgerufen am 01.09.2024.