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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Walpurgisnacht.

welche so durchaus bemüht ist, alle in ihrer Seele lebenden Vorstellungen und
Stimmungen frei walten zu lassen, daß darüber nicht bloß die landläufigen, sondern
auch einige besser begründete Kunstfvrderungeu in Gefahr kommen, Poeten, die
sich aus ihrem Shakespeare die Ueberzeugung herauslasen, daß er'in seinen roman¬
tischen Lustspielen nicht lediglich eine modische Zensoren glücklich ausgefüllt, sondern
aus tiefern Gründen diese Form gegenüber der in seiner Zeit nicht nur schon
üblichen, sondern in großem Ansehen stehenden Form des bürgerlichen Lustspiels
bevorzugt habe, und die nun keck und frisch auf dem Pfade weiterzukommeu
suchen, den ihnen der Meister andeutet. Der Pfad ist unzweifelhaft seitdem
ein wenig gestrüppverwachsen, scheint auch etwas holpriger geworden. Denn der
neueste Dichter, den wir auf ihm wandeln sehen: F. Siegfried*) mit dem Lust¬
spiele "Walpurgisnacht" geht und führt uns keineswegs mit so leichten, sichern
Schritten durch sein Phantasiegcbiet wie der große Dichter des "Sommernachts-
tranms." Und da zunächst nur mäßige Aussicht vorhanden ist, daß dies "Lust¬
spiel" die Bühne beschreite, da "romantische" Buchdramen allenfalls (auch das
selten!) besprochen, aber gewiß nicht gelesen werden, so kann es freilich leicht
geschehen, daß diese "Walpurgisnacht" für eine jener bloßen Shakcspearenach-
ahmungen Passirt, an denen unsre Literatur seit den Tagen der Romantik reich,
überreich gewesen ist. Wunderlicherweise fällt es uns nicht leicht, Nachklang
und Nachahmung zu unterscheide". Bald halten wir den erstern für die letztere,
bald umgekehrt. Und doch ist es ein unendlicher Unterschied, ob das Meister¬
werk eines großen Dichters einen verwandten Klang in der Seele des Talents
weckt und wir im übrigen selbständiger Erfindung, eignen Menschenbildungen
gegenüberstehen, oder ob der dürftige Nachahmer Situationen und Gestalten
ängstlich und ärmlich nachstammelt. In der "Walpurgisnacht" haben wir den
ersten Fall vor uns, die Handlung und Gestaltenzeichnung verleugnet selbst eine
gewisse Kühnheit nicht, und jener eigenthümliche productive Zug, welcher einem
scheinbar ganz ungünstigen und unfruchtbaren Stoffe Leben abgewinnt, ist in
F- Siegfried lebendig.

Ort der Handlung: Upsala und ein Hofgut der Königin Christine, Odins¬
holm. Zeit: zweites Drittel des 17. Jahrhunderts, das heißt, wenn wir im
Ernst die Christine dieses Lustspiels für die vom Throne gestiegne, schon in Rom
lebende und nur noch zeitweise ins Land ihrer Väter zurückkehrende Königin
nehmen. Sonst, da brave deutsche phantastische Studenten in Upsala, die gern
Schauspielern, daneben sogar ein paar Irrwische in dem Stücke auftreten, könnten
^ir auch die Zeit "die poetische" nennen. An die wunderliche Situation
aber, in welcher man sich die Exkönigin leicht vorstellen kann, knüpft die Er¬
müdung des Dichters an. Christine ist heimgekommen, um die wenigen Ge¬
reuen zu sehen, die ihr geblieben sind; wie ihr Kammerherr Cedernkrauz



^Walpurgisnacht. Ein Lustspiel von F. Siegfried. Leipzig, Fr. Wilh. Grwww, 1881.
Walpurgisnacht.

welche so durchaus bemüht ist, alle in ihrer Seele lebenden Vorstellungen und
Stimmungen frei walten zu lassen, daß darüber nicht bloß die landläufigen, sondern
auch einige besser begründete Kunstfvrderungeu in Gefahr kommen, Poeten, die
sich aus ihrem Shakespeare die Ueberzeugung herauslasen, daß er'in seinen roman¬
tischen Lustspielen nicht lediglich eine modische Zensoren glücklich ausgefüllt, sondern
aus tiefern Gründen diese Form gegenüber der in seiner Zeit nicht nur schon
üblichen, sondern in großem Ansehen stehenden Form des bürgerlichen Lustspiels
bevorzugt habe, und die nun keck und frisch auf dem Pfade weiterzukommeu
suchen, den ihnen der Meister andeutet. Der Pfad ist unzweifelhaft seitdem
ein wenig gestrüppverwachsen, scheint auch etwas holpriger geworden. Denn der
neueste Dichter, den wir auf ihm wandeln sehen: F. Siegfried*) mit dem Lust¬
spiele „Walpurgisnacht" geht und führt uns keineswegs mit so leichten, sichern
Schritten durch sein Phantasiegcbiet wie der große Dichter des „Sommernachts-
tranms." Und da zunächst nur mäßige Aussicht vorhanden ist, daß dies „Lust¬
spiel" die Bühne beschreite, da „romantische" Buchdramen allenfalls (auch das
selten!) besprochen, aber gewiß nicht gelesen werden, so kann es freilich leicht
geschehen, daß diese „Walpurgisnacht" für eine jener bloßen Shakcspearenach-
ahmungen Passirt, an denen unsre Literatur seit den Tagen der Romantik reich,
überreich gewesen ist. Wunderlicherweise fällt es uns nicht leicht, Nachklang
und Nachahmung zu unterscheide». Bald halten wir den erstern für die letztere,
bald umgekehrt. Und doch ist es ein unendlicher Unterschied, ob das Meister¬
werk eines großen Dichters einen verwandten Klang in der Seele des Talents
weckt und wir im übrigen selbständiger Erfindung, eignen Menschenbildungen
gegenüberstehen, oder ob der dürftige Nachahmer Situationen und Gestalten
ängstlich und ärmlich nachstammelt. In der „Walpurgisnacht" haben wir den
ersten Fall vor uns, die Handlung und Gestaltenzeichnung verleugnet selbst eine
gewisse Kühnheit nicht, und jener eigenthümliche productive Zug, welcher einem
scheinbar ganz ungünstigen und unfruchtbaren Stoffe Leben abgewinnt, ist in
F- Siegfried lebendig.

Ort der Handlung: Upsala und ein Hofgut der Königin Christine, Odins¬
holm. Zeit: zweites Drittel des 17. Jahrhunderts, das heißt, wenn wir im
Ernst die Christine dieses Lustspiels für die vom Throne gestiegne, schon in Rom
lebende und nur noch zeitweise ins Land ihrer Väter zurückkehrende Königin
nehmen. Sonst, da brave deutsche phantastische Studenten in Upsala, die gern
Schauspielern, daneben sogar ein paar Irrwische in dem Stücke auftreten, könnten
^ir auch die Zeit „die poetische" nennen. An die wunderliche Situation
aber, in welcher man sich die Exkönigin leicht vorstellen kann, knüpft die Er¬
müdung des Dichters an. Christine ist heimgekommen, um die wenigen Ge¬
reuen zu sehen, die ihr geblieben sind; wie ihr Kammerherr Cedernkrauz



^Walpurgisnacht. Ein Lustspiel von F. Siegfried. Leipzig, Fr. Wilh. Grwww, 1881.
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[0347] Walpurgisnacht. welche so durchaus bemüht ist, alle in ihrer Seele lebenden Vorstellungen und Stimmungen frei walten zu lassen, daß darüber nicht bloß die landläufigen, sondern auch einige besser begründete Kunstfvrderungeu in Gefahr kommen, Poeten, die sich aus ihrem Shakespeare die Ueberzeugung herauslasen, daß er'in seinen roman¬ tischen Lustspielen nicht lediglich eine modische Zensoren glücklich ausgefüllt, sondern aus tiefern Gründen diese Form gegenüber der in seiner Zeit nicht nur schon üblichen, sondern in großem Ansehen stehenden Form des bürgerlichen Lustspiels bevorzugt habe, und die nun keck und frisch auf dem Pfade weiterzukommeu suchen, den ihnen der Meister andeutet. Der Pfad ist unzweifelhaft seitdem ein wenig gestrüppverwachsen, scheint auch etwas holpriger geworden. Denn der neueste Dichter, den wir auf ihm wandeln sehen: F. Siegfried*) mit dem Lust¬ spiele „Walpurgisnacht" geht und führt uns keineswegs mit so leichten, sichern Schritten durch sein Phantasiegcbiet wie der große Dichter des „Sommernachts- tranms." Und da zunächst nur mäßige Aussicht vorhanden ist, daß dies „Lust¬ spiel" die Bühne beschreite, da „romantische" Buchdramen allenfalls (auch das selten!) besprochen, aber gewiß nicht gelesen werden, so kann es freilich leicht geschehen, daß diese „Walpurgisnacht" für eine jener bloßen Shakcspearenach- ahmungen Passirt, an denen unsre Literatur seit den Tagen der Romantik reich, überreich gewesen ist. Wunderlicherweise fällt es uns nicht leicht, Nachklang und Nachahmung zu unterscheide». Bald halten wir den erstern für die letztere, bald umgekehrt. Und doch ist es ein unendlicher Unterschied, ob das Meister¬ werk eines großen Dichters einen verwandten Klang in der Seele des Talents weckt und wir im übrigen selbständiger Erfindung, eignen Menschenbildungen gegenüberstehen, oder ob der dürftige Nachahmer Situationen und Gestalten ängstlich und ärmlich nachstammelt. In der „Walpurgisnacht" haben wir den ersten Fall vor uns, die Handlung und Gestaltenzeichnung verleugnet selbst eine gewisse Kühnheit nicht, und jener eigenthümliche productive Zug, welcher einem scheinbar ganz ungünstigen und unfruchtbaren Stoffe Leben abgewinnt, ist in F- Siegfried lebendig. Ort der Handlung: Upsala und ein Hofgut der Königin Christine, Odins¬ holm. Zeit: zweites Drittel des 17. Jahrhunderts, das heißt, wenn wir im Ernst die Christine dieses Lustspiels für die vom Throne gestiegne, schon in Rom lebende und nur noch zeitweise ins Land ihrer Väter zurückkehrende Königin nehmen. Sonst, da brave deutsche phantastische Studenten in Upsala, die gern Schauspielern, daneben sogar ein paar Irrwische in dem Stücke auftreten, könnten ^ir auch die Zeit „die poetische" nennen. An die wunderliche Situation aber, in welcher man sich die Exkönigin leicht vorstellen kann, knüpft die Er¬ müdung des Dichters an. Christine ist heimgekommen, um die wenigen Ge¬ reuen zu sehen, die ihr geblieben sind; wie ihr Kammerherr Cedernkrauz ^Walpurgisnacht. Ein Lustspiel von F. Siegfried. Leipzig, Fr. Wilh. Grwww, 1881.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/347>, abgerufen am 01.09.2024.