Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Walpurgisnacht.

Ä Mssikurs as 1'g.<Z3äemis krWyg.i8g des Chevalier Rutlidge. Voltaire wurde
immer gereizter. "Madame Montague -- heißt es in einem 1778 an die Aka¬
demie gerichteten Schreiben -- zieht Shakespeare den Autoren der IxniFÄiio,
der ^draus, des Vol^suotö und des Ölung, vor. Ich erröthe, diese Namen
zusammen zu nennen!"

Voltaire hatte Frankreich mit dem Genius Shakespeares bekannt gemacht,
er hatte seinen Tragödien etwas von dessen Geiste einzuhauchen und der Bühne
ein größeres Leben, eine gewisse Freiheit der Bewegung, ein lebendigeres Interesse
zu geben gesucht, er hatte sich empfänglich für die durch die sentimentalen morali-
sirenden Schriftsteller angestrebten Neuerungen gezeigt und endete damit, für die
alte starre Regelmäßigkeit des akademisch classischen Dramas, für den noch in
der Scholastik wurzelnden Conventionalismus desselben in den Kampf zu treten.

Dieser Kampf dauerte auch nach seinem Tode noch fort. Die Revolution
unterbrach ihn zwar, aber die Republik und das Kaiserreich erklärten sich schlie߬
lich für das classische Drama. Die conventionelle Tragödie wurde auch uoch
zur officiellen gemacht. Der Shakespearische Einfluß fand sich zeitweilig fast nur
auf die volksthümlichen Dichter, an deren Spitze Mercier stand, und auf die
kleinen Theater verwiesen, welche durch die Theaterfreiheit ins Leben gerufen
worden waren. Allein er ging nicht verloren. Die Früchte desselben reiften
in der weiteren Entwicklung des französischen Dramas heran.




Walpurgisnacht.

ite
m in der Literatur der Gegenwart, wo die Autoren gesuchter
einander zum Erschrecken ähnlich sehen und selbst die wirklich noch
vorhcmdue Phantasie (wenn sie nicht künstlich in allerhand fremde,
wissenschaftlich eben erst erschlossne Regionen hinübergeführt wird)
nur zwei oder drei Hauptstraßen zu kennen scheint, tauchen von
Zeit zu Zeit doch noch Erscheinungen auf, die nach Seitenpfadcu suchen, welche
für sie selbst lustig zu gehen sind und auch für die Mitwaudelndcn sich recht
anmuthig anlassen würden, wenn sich nur Mitwandelndc fänden. Es giebt wirklich
unter uns noch Poeten vom Schlage derer, welche dereinst mit Eduard Mörike
in Tübingen beisammensaßen und zum Erweis für die souveräne Macht der
Poesie sich ein Land und Volk Orplid mit Göttern und Helden träumend er¬
schufen, echte Schwabenpoeten von jenem liebenswürdigen Trotz oder jener sorg¬
losen Unbekümmertheit, welche nach dem landläufig "Wirksamen" so gar nicht fragt,


Walpurgisnacht.

Ä Mssikurs as 1'g.<Z3äemis krWyg.i8g des Chevalier Rutlidge. Voltaire wurde
immer gereizter. „Madame Montague — heißt es in einem 1778 an die Aka¬
demie gerichteten Schreiben — zieht Shakespeare den Autoren der IxniFÄiio,
der ^draus, des Vol^suotö und des Ölung, vor. Ich erröthe, diese Namen
zusammen zu nennen!"

Voltaire hatte Frankreich mit dem Genius Shakespeares bekannt gemacht,
er hatte seinen Tragödien etwas von dessen Geiste einzuhauchen und der Bühne
ein größeres Leben, eine gewisse Freiheit der Bewegung, ein lebendigeres Interesse
zu geben gesucht, er hatte sich empfänglich für die durch die sentimentalen morali-
sirenden Schriftsteller angestrebten Neuerungen gezeigt und endete damit, für die
alte starre Regelmäßigkeit des akademisch classischen Dramas, für den noch in
der Scholastik wurzelnden Conventionalismus desselben in den Kampf zu treten.

Dieser Kampf dauerte auch nach seinem Tode noch fort. Die Revolution
unterbrach ihn zwar, aber die Republik und das Kaiserreich erklärten sich schlie߬
lich für das classische Drama. Die conventionelle Tragödie wurde auch uoch
zur officiellen gemacht. Der Shakespearische Einfluß fand sich zeitweilig fast nur
auf die volksthümlichen Dichter, an deren Spitze Mercier stand, und auf die
kleinen Theater verwiesen, welche durch die Theaterfreiheit ins Leben gerufen
worden waren. Allein er ging nicht verloren. Die Früchte desselben reiften
in der weiteren Entwicklung des französischen Dramas heran.




Walpurgisnacht.

ite
m in der Literatur der Gegenwart, wo die Autoren gesuchter
einander zum Erschrecken ähnlich sehen und selbst die wirklich noch
vorhcmdue Phantasie (wenn sie nicht künstlich in allerhand fremde,
wissenschaftlich eben erst erschlossne Regionen hinübergeführt wird)
nur zwei oder drei Hauptstraßen zu kennen scheint, tauchen von
Zeit zu Zeit doch noch Erscheinungen auf, die nach Seitenpfadcu suchen, welche
für sie selbst lustig zu gehen sind und auch für die Mitwaudelndcn sich recht
anmuthig anlassen würden, wenn sich nur Mitwandelndc fänden. Es giebt wirklich
unter uns noch Poeten vom Schlage derer, welche dereinst mit Eduard Mörike
in Tübingen beisammensaßen und zum Erweis für die souveräne Macht der
Poesie sich ein Land und Volk Orplid mit Göttern und Helden träumend er¬
schufen, echte Schwabenpoeten von jenem liebenswürdigen Trotz oder jener sorg¬
losen Unbekümmertheit, welche nach dem landläufig „Wirksamen" so gar nicht fragt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150496"/>
          <fw type="header" place="top"> Walpurgisnacht.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1090" prev="#ID_1089"> Ä Mssikurs as 1'g.&lt;Z3äemis krWyg.i8g des Chevalier Rutlidge. Voltaire wurde<lb/>
immer gereizter. &#x201E;Madame Montague &#x2014; heißt es in einem 1778 an die Aka¬<lb/>
demie gerichteten Schreiben &#x2014; zieht Shakespeare den Autoren der IxniFÄiio,<lb/>
der ^draus, des Vol^suotö und des Ölung, vor. Ich erröthe, diese Namen<lb/>
zusammen zu nennen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1091"> Voltaire hatte Frankreich mit dem Genius Shakespeares bekannt gemacht,<lb/>
er hatte seinen Tragödien etwas von dessen Geiste einzuhauchen und der Bühne<lb/>
ein größeres Leben, eine gewisse Freiheit der Bewegung, ein lebendigeres Interesse<lb/>
zu geben gesucht, er hatte sich empfänglich für die durch die sentimentalen morali-<lb/>
sirenden Schriftsteller angestrebten Neuerungen gezeigt und endete damit, für die<lb/>
alte starre Regelmäßigkeit des akademisch classischen Dramas, für den noch in<lb/>
der Scholastik wurzelnden Conventionalismus desselben in den Kampf zu treten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1092"> Dieser Kampf dauerte auch nach seinem Tode noch fort. Die Revolution<lb/>
unterbrach ihn zwar, aber die Republik und das Kaiserreich erklärten sich schlie߬<lb/>
lich für das classische Drama. Die conventionelle Tragödie wurde auch uoch<lb/>
zur officiellen gemacht. Der Shakespearische Einfluß fand sich zeitweilig fast nur<lb/>
auf die volksthümlichen Dichter, an deren Spitze Mercier stand, und auf die<lb/>
kleinen Theater verwiesen, welche durch die Theaterfreiheit ins Leben gerufen<lb/>
worden waren. Allein er ging nicht verloren. Die Früchte desselben reiften<lb/>
in der weiteren Entwicklung des französischen Dramas heran.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Walpurgisnacht.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1093" next="#ID_1094"> ite<lb/>
m in der Literatur der Gegenwart, wo die Autoren gesuchter<lb/>
einander zum Erschrecken ähnlich sehen und selbst die wirklich noch<lb/>
vorhcmdue Phantasie (wenn sie nicht künstlich in allerhand fremde,<lb/>
wissenschaftlich eben erst erschlossne Regionen hinübergeführt wird)<lb/>
nur zwei oder drei Hauptstraßen zu kennen scheint, tauchen von<lb/>
Zeit zu Zeit doch noch Erscheinungen auf, die nach Seitenpfadcu suchen, welche<lb/>
für sie selbst lustig zu gehen sind und auch für die Mitwaudelndcn sich recht<lb/>
anmuthig anlassen würden, wenn sich nur Mitwandelndc fänden. Es giebt wirklich<lb/>
unter uns noch Poeten vom Schlage derer, welche dereinst mit Eduard Mörike<lb/>
in Tübingen beisammensaßen und zum Erweis für die souveräne Macht der<lb/>
Poesie sich ein Land und Volk Orplid mit Göttern und Helden träumend er¬<lb/>
schufen, echte Schwabenpoeten von jenem liebenswürdigen Trotz oder jener sorg¬<lb/>
losen Unbekümmertheit, welche nach dem landläufig &#x201E;Wirksamen" so gar nicht fragt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0346] Walpurgisnacht. Ä Mssikurs as 1'g.<Z3äemis krWyg.i8g des Chevalier Rutlidge. Voltaire wurde immer gereizter. „Madame Montague — heißt es in einem 1778 an die Aka¬ demie gerichteten Schreiben — zieht Shakespeare den Autoren der IxniFÄiio, der ^draus, des Vol^suotö und des Ölung, vor. Ich erröthe, diese Namen zusammen zu nennen!" Voltaire hatte Frankreich mit dem Genius Shakespeares bekannt gemacht, er hatte seinen Tragödien etwas von dessen Geiste einzuhauchen und der Bühne ein größeres Leben, eine gewisse Freiheit der Bewegung, ein lebendigeres Interesse zu geben gesucht, er hatte sich empfänglich für die durch die sentimentalen morali- sirenden Schriftsteller angestrebten Neuerungen gezeigt und endete damit, für die alte starre Regelmäßigkeit des akademisch classischen Dramas, für den noch in der Scholastik wurzelnden Conventionalismus desselben in den Kampf zu treten. Dieser Kampf dauerte auch nach seinem Tode noch fort. Die Revolution unterbrach ihn zwar, aber die Republik und das Kaiserreich erklärten sich schlie߬ lich für das classische Drama. Die conventionelle Tragödie wurde auch uoch zur officiellen gemacht. Der Shakespearische Einfluß fand sich zeitweilig fast nur auf die volksthümlichen Dichter, an deren Spitze Mercier stand, und auf die kleinen Theater verwiesen, welche durch die Theaterfreiheit ins Leben gerufen worden waren. Allein er ging nicht verloren. Die Früchte desselben reiften in der weiteren Entwicklung des französischen Dramas heran. Walpurgisnacht. ite m in der Literatur der Gegenwart, wo die Autoren gesuchter einander zum Erschrecken ähnlich sehen und selbst die wirklich noch vorhcmdue Phantasie (wenn sie nicht künstlich in allerhand fremde, wissenschaftlich eben erst erschlossne Regionen hinübergeführt wird) nur zwei oder drei Hauptstraßen zu kennen scheint, tauchen von Zeit zu Zeit doch noch Erscheinungen auf, die nach Seitenpfadcu suchen, welche für sie selbst lustig zu gehen sind und auch für die Mitwaudelndcn sich recht anmuthig anlassen würden, wenn sich nur Mitwandelndc fänden. Es giebt wirklich unter uns noch Poeten vom Schlage derer, welche dereinst mit Eduard Mörike in Tübingen beisammensaßen und zum Erweis für die souveräne Macht der Poesie sich ein Land und Volk Orplid mit Göttern und Helden träumend er¬ schufen, echte Schwabenpoeten von jenem liebenswürdigen Trotz oder jener sorg¬ losen Unbekümmertheit, welche nach dem landläufig „Wirksamen" so gar nicht fragt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/346
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/346>, abgerufen am 01.09.2024.