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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

schon immer mit Mißtrauen und einem schlimmen Vorgefühl ins Auge gefaßt,
von der Bühne zu treiben.

Die dem Stücke vorausgeschickte Abhandlung Lur 1s, ers-Mis enthält in
ihrem dritten Abschnitte wieder einmal eine Beziehung auf Shakespeare. Er
behauptet darin den alten Standpunkt, indem er bestimmte Einzelheiten rühmend
hervorhebt, aber das Ganze verurtheilt. "Man muß gestehen -- heißt es --,
daß von den Schönheiten, die inmitten dieser fürchterlichen Ausschweifungen auf¬
blitzen, der Schatten von Hamlets Vater zu den bedeutendsten Bühnenwirkungen
zählt. Er übt auf die Engländer den gewaltigsten Eindruck aus und zwar gerade
auf die Unterrichteten von ihnen, die am empfindlichsten sür die Unregelmäßig¬
keiten des Dramas sind." Es ist wohl kaum anzunehmen, daß diese Stelle mit
Beziehung auf La Place geschrieben ist. Wäre es aber der Fall, so würde
darin halb eine Zustimmung, halb ein Protest zu erkennen sein. So wie La
Place hatte bis dahin noch niemand über Shakespeare zu den Fran¬
zosen gesprochen.

Im Jahre 1747 erschien die Tragödie ?rupe>i8 II. des Präsidenten Hsnault,
welcher in der Vorrede erklärt, die historischen Dramen Shakespeares dabei zum
Vorbilde genommen zu haben. Voltaire zog sich dagegen jetzt sichtbar von ihm
zurück. In den Vorreden zu seinem Orests, zu seiner Koins Wuvs" huldigt
er wieder ausschließlich den akademischen Anschauungen. Wenn er Shakespeare
beiläufig erwähnt, so geschieht es nur, ihn herabzusetzen. Möglich, daß dies mit
seinem Verhältnisse zur Akademie zusammenhängt, deren Mitglied er endlich nach
längern vergeblichen Anstrengungen 1746 geworden war. 1760 erschien, zuerst
unter falschem Namen, die in Prosa geschriebene Tragödie 8vorg,w von ihm,
die er für eine Uebersetzung aus dem Englischen ausgab, der 'lanorsäs, in dem
sich zum erstenmale wieder ein frischer Geist und ein romantisch zu nennender
Zug regte, und I'MoWAss, in der er ein ähnliches Sujet, wie Lessing in "Miß
Sara Sampson" behandelt und die als ein Versuch im Drams ssrikux zu be¬
trachten ist. In jedem dieser drei Dramen entfernt sich Voltaire zwar in einem
bestimmten Sinne und Umfange vom alten akademischen Drama, ohne sich aber
Shakespeare hierdurch besonders zu nähern. Ja ein kleines, um ein Jahr später
unter dem Namen von Jerome Carrs erschienenes, von ihm herrührendes
Schriftchen: Du ttMtrs WAls-is (auch ^.xxsl MX r^lions genannt) ist geradezu
auf die Herabsetzung Shakespeares zu Gunsten des französischen und seines eignen
Dramas gerichtet.

Pope hatte Shakespeare den Vorrang vor Corneille, Johnsen Otway den
vor Racine zugesprochen. Voltaire nahm dies zur Veranlassung, die Acten
dieser Sentenz, wie er sich ausdrückt, "aufs Bureau zu legen" und "seine Leser
von Petersburg bis Neapel" zur Entscheidung über dieselben aufzufordern.
Hamlet, als das berühmteste der Shakespearischen Stücke, gelangt zuerst an die
Reihe. Der Inhalt wird in jener perfiden Weise erzählt, mit welcher man


Shakespeare in Frankreich.

schon immer mit Mißtrauen und einem schlimmen Vorgefühl ins Auge gefaßt,
von der Bühne zu treiben.

Die dem Stücke vorausgeschickte Abhandlung Lur 1s, ers-Mis enthält in
ihrem dritten Abschnitte wieder einmal eine Beziehung auf Shakespeare. Er
behauptet darin den alten Standpunkt, indem er bestimmte Einzelheiten rühmend
hervorhebt, aber das Ganze verurtheilt. „Man muß gestehen — heißt es —,
daß von den Schönheiten, die inmitten dieser fürchterlichen Ausschweifungen auf¬
blitzen, der Schatten von Hamlets Vater zu den bedeutendsten Bühnenwirkungen
zählt. Er übt auf die Engländer den gewaltigsten Eindruck aus und zwar gerade
auf die Unterrichteten von ihnen, die am empfindlichsten sür die Unregelmäßig¬
keiten des Dramas sind." Es ist wohl kaum anzunehmen, daß diese Stelle mit
Beziehung auf La Place geschrieben ist. Wäre es aber der Fall, so würde
darin halb eine Zustimmung, halb ein Protest zu erkennen sein. So wie La
Place hatte bis dahin noch niemand über Shakespeare zu den Fran¬
zosen gesprochen.

Im Jahre 1747 erschien die Tragödie ?rupe>i8 II. des Präsidenten Hsnault,
welcher in der Vorrede erklärt, die historischen Dramen Shakespeares dabei zum
Vorbilde genommen zu haben. Voltaire zog sich dagegen jetzt sichtbar von ihm
zurück. In den Vorreden zu seinem Orests, zu seiner Koins Wuvs» huldigt
er wieder ausschließlich den akademischen Anschauungen. Wenn er Shakespeare
beiläufig erwähnt, so geschieht es nur, ihn herabzusetzen. Möglich, daß dies mit
seinem Verhältnisse zur Akademie zusammenhängt, deren Mitglied er endlich nach
längern vergeblichen Anstrengungen 1746 geworden war. 1760 erschien, zuerst
unter falschem Namen, die in Prosa geschriebene Tragödie 8vorg,w von ihm,
die er für eine Uebersetzung aus dem Englischen ausgab, der 'lanorsäs, in dem
sich zum erstenmale wieder ein frischer Geist und ein romantisch zu nennender
Zug regte, und I'MoWAss, in der er ein ähnliches Sujet, wie Lessing in „Miß
Sara Sampson" behandelt und die als ein Versuch im Drams ssrikux zu be¬
trachten ist. In jedem dieser drei Dramen entfernt sich Voltaire zwar in einem
bestimmten Sinne und Umfange vom alten akademischen Drama, ohne sich aber
Shakespeare hierdurch besonders zu nähern. Ja ein kleines, um ein Jahr später
unter dem Namen von Jerome Carrs erschienenes, von ihm herrührendes
Schriftchen: Du ttMtrs WAls-is (auch ^.xxsl MX r^lions genannt) ist geradezu
auf die Herabsetzung Shakespeares zu Gunsten des französischen und seines eignen
Dramas gerichtet.

Pope hatte Shakespeare den Vorrang vor Corneille, Johnsen Otway den
vor Racine zugesprochen. Voltaire nahm dies zur Veranlassung, die Acten
dieser Sentenz, wie er sich ausdrückt, „aufs Bureau zu legen" und „seine Leser
von Petersburg bis Neapel" zur Entscheidung über dieselben aufzufordern.
Hamlet, als das berühmteste der Shakespearischen Stücke, gelangt zuerst an die
Reihe. Der Inhalt wird in jener perfiden Weise erzählt, mit welcher man


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[0340] Shakespeare in Frankreich. schon immer mit Mißtrauen und einem schlimmen Vorgefühl ins Auge gefaßt, von der Bühne zu treiben. Die dem Stücke vorausgeschickte Abhandlung Lur 1s, ers-Mis enthält in ihrem dritten Abschnitte wieder einmal eine Beziehung auf Shakespeare. Er behauptet darin den alten Standpunkt, indem er bestimmte Einzelheiten rühmend hervorhebt, aber das Ganze verurtheilt. „Man muß gestehen — heißt es —, daß von den Schönheiten, die inmitten dieser fürchterlichen Ausschweifungen auf¬ blitzen, der Schatten von Hamlets Vater zu den bedeutendsten Bühnenwirkungen zählt. Er übt auf die Engländer den gewaltigsten Eindruck aus und zwar gerade auf die Unterrichteten von ihnen, die am empfindlichsten sür die Unregelmäßig¬ keiten des Dramas sind." Es ist wohl kaum anzunehmen, daß diese Stelle mit Beziehung auf La Place geschrieben ist. Wäre es aber der Fall, so würde darin halb eine Zustimmung, halb ein Protest zu erkennen sein. So wie La Place hatte bis dahin noch niemand über Shakespeare zu den Fran¬ zosen gesprochen. Im Jahre 1747 erschien die Tragödie ?rupe>i8 II. des Präsidenten Hsnault, welcher in der Vorrede erklärt, die historischen Dramen Shakespeares dabei zum Vorbilde genommen zu haben. Voltaire zog sich dagegen jetzt sichtbar von ihm zurück. In den Vorreden zu seinem Orests, zu seiner Koins Wuvs» huldigt er wieder ausschließlich den akademischen Anschauungen. Wenn er Shakespeare beiläufig erwähnt, so geschieht es nur, ihn herabzusetzen. Möglich, daß dies mit seinem Verhältnisse zur Akademie zusammenhängt, deren Mitglied er endlich nach längern vergeblichen Anstrengungen 1746 geworden war. 1760 erschien, zuerst unter falschem Namen, die in Prosa geschriebene Tragödie 8vorg,w von ihm, die er für eine Uebersetzung aus dem Englischen ausgab, der 'lanorsäs, in dem sich zum erstenmale wieder ein frischer Geist und ein romantisch zu nennender Zug regte, und I'MoWAss, in der er ein ähnliches Sujet, wie Lessing in „Miß Sara Sampson" behandelt und die als ein Versuch im Drams ssrikux zu be¬ trachten ist. In jedem dieser drei Dramen entfernt sich Voltaire zwar in einem bestimmten Sinne und Umfange vom alten akademischen Drama, ohne sich aber Shakespeare hierdurch besonders zu nähern. Ja ein kleines, um ein Jahr später unter dem Namen von Jerome Carrs erschienenes, von ihm herrührendes Schriftchen: Du ttMtrs WAls-is (auch ^.xxsl MX r^lions genannt) ist geradezu auf die Herabsetzung Shakespeares zu Gunsten des französischen und seines eignen Dramas gerichtet. Pope hatte Shakespeare den Vorrang vor Corneille, Johnsen Otway den vor Racine zugesprochen. Voltaire nahm dies zur Veranlassung, die Acten dieser Sentenz, wie er sich ausdrückt, „aufs Bureau zu legen" und „seine Leser von Petersburg bis Neapel" zur Entscheidung über dieselben aufzufordern. Hamlet, als das berühmteste der Shakespearischen Stücke, gelangt zuerst an die Reihe. Der Inhalt wird in jener perfiden Weise erzählt, mit welcher man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/340>, abgerufen am 01.09.2024.