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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

knüpfte hierbei sogar an diesen und dessen Uebersetzung des Hamletschen Monologs
(in den I^ters8 "nglÄsss) an, welches zugleich das einzigemal ist, daß er auf
Shakespeare etwas näher zu sprechen kommt, wogegen er noch in demselben Jahr¬
gange Scenen aus George Barnwell und in den folgenden Jahren die ganze
Drydensche Tragödie "Antonius und Cleopatra" mittheilt, ohne dabei das Shnke-
spearische Stück auch nur zu erwähnen. Ebensowenig weisen die Lustspiele des
Destouches, obschon entschieden auf englischen, auf Shakespearischen Einfluß zurück
Man hat zwar in seinem visschicksur Aehnlichkeiten mit dem "Timon von Athen"
zu entdecken geglaubt. Sie sind aber zu unbedeutend, als daß Destouches das
Shakespearische Original gekannt zu haben brauchte. Selbst die Scenen, welche
er aus "einem in England seit lange mit Beifall gesehenem Stücke: ?Iro winpsst"
übersetzt hat, sind keineswegs, wie man immer wieder behauptet, direct dem Shake¬
spearischen Lustspiele, sondern nur einer ganz freien Bearbeitung desselben von
Davenant und Dryden entnommen, welche eine Parodie IKs rnoolc t<zmpvst von
Dnffct hervorrief und in welcher nicht nur Prvsperos Tochter Mirandn, sondern
auch noch deren Schwester Dorinda und der hier zum Hippolyt gewordene Ferdinand
in völliger Abgeschlossenheit von der Welt aufgewachsen und in Unkenntniß der
Verschiedenheit'der Geschlechter erhalten worden sind, so daß Hippolyt in Miranda
und Dorinda die ersten Frauen, diese in ihm den ersten jungen Mann erblicken,
eine Seene, welche nun einen fast komischen Anstrich bekommen hat. Auch ist
es hier nicht Miranda, sondern Dorinda, die sich die Liebe Hippvlyts erwirbt.
Destouches erwähnt Shakespeares Namen weder hier noch in einer seiner vielen
Vorreden, wogegen er im Vorwort zu I^s tÄindour novwrng, nach Addisons
Trommler, vom Jahre 1736, von diesem Dichter mit großer Bewunderung spricht.

Nach alledem ist nicht zu bezweifeln, daß Voltaire sich keineswegs überhob,
wenn er sagte, daß er es erst gewesen sei, welcher seine Nation ans die Größe
des Shakespearischen Genius nachdrücklich hingewiesen und dieser Ansicht eine
größere Verbreitung bei seinen Landsleuten gegeben habe.

Es war uur ein Zufall, welcher die Veranlassung bot, daß Voltaire 1726
ein Asyl in England zu suchen genöthigt war, doch wurde es sowohl für seine
wie für die Entwicklung des geistigen Lebens der ganzen Zeit von großer Be¬
deutung. Voltaire sah hier unter anderen einige der bedeutendsten Shakespearischen
Dramen auf der englischen Bühne, freilich in der Verstümmelung und Verkürzung
der damaligen Bühnenbearbeitnngen. Doch lernte er auf dem Landsitze des
hundelt Londoner .Handelsherrn Falkener auch den echten Shakespeare noch
kennen, dessen "Julius Cäsar" ihn sofort zu einer Bearbeitung dieses Stoffes
""regte, die bereits hier, doch in Prosa, begonnen wurde. Der Gedanke einer
Deformation der französischen Bühne nährte in seinem Kopfe. Gleichwohl erscheint
Voltaire in seinen ersten öffentlichen Kundgebungen nach seiner Rückkehr nach
Frankreich in dieser Beziehung noch sehr zurückhaltend. In der fast unmittelbar
darauf geschriebenen Vorrede zu seinem Ooclixu vom Jahre 1730 tritt er noch


Shakespeare in Frankreich.

knüpfte hierbei sogar an diesen und dessen Uebersetzung des Hamletschen Monologs
(in den I^ters8 »nglÄsss) an, welches zugleich das einzigemal ist, daß er auf
Shakespeare etwas näher zu sprechen kommt, wogegen er noch in demselben Jahr¬
gange Scenen aus George Barnwell und in den folgenden Jahren die ganze
Drydensche Tragödie „Antonius und Cleopatra" mittheilt, ohne dabei das Shnke-
spearische Stück auch nur zu erwähnen. Ebensowenig weisen die Lustspiele des
Destouches, obschon entschieden auf englischen, auf Shakespearischen Einfluß zurück
Man hat zwar in seinem visschicksur Aehnlichkeiten mit dem „Timon von Athen"
zu entdecken geglaubt. Sie sind aber zu unbedeutend, als daß Destouches das
Shakespearische Original gekannt zu haben brauchte. Selbst die Scenen, welche
er aus „einem in England seit lange mit Beifall gesehenem Stücke: ?Iro winpsst"
übersetzt hat, sind keineswegs, wie man immer wieder behauptet, direct dem Shake¬
spearischen Lustspiele, sondern nur einer ganz freien Bearbeitung desselben von
Davenant und Dryden entnommen, welche eine Parodie IKs rnoolc t<zmpvst von
Dnffct hervorrief und in welcher nicht nur Prvsperos Tochter Mirandn, sondern
auch noch deren Schwester Dorinda und der hier zum Hippolyt gewordene Ferdinand
in völliger Abgeschlossenheit von der Welt aufgewachsen und in Unkenntniß der
Verschiedenheit'der Geschlechter erhalten worden sind, so daß Hippolyt in Miranda
und Dorinda die ersten Frauen, diese in ihm den ersten jungen Mann erblicken,
eine Seene, welche nun einen fast komischen Anstrich bekommen hat. Auch ist
es hier nicht Miranda, sondern Dorinda, die sich die Liebe Hippvlyts erwirbt.
Destouches erwähnt Shakespeares Namen weder hier noch in einer seiner vielen
Vorreden, wogegen er im Vorwort zu I^s tÄindour novwrng, nach Addisons
Trommler, vom Jahre 1736, von diesem Dichter mit großer Bewunderung spricht.

Nach alledem ist nicht zu bezweifeln, daß Voltaire sich keineswegs überhob,
wenn er sagte, daß er es erst gewesen sei, welcher seine Nation ans die Größe
des Shakespearischen Genius nachdrücklich hingewiesen und dieser Ansicht eine
größere Verbreitung bei seinen Landsleuten gegeben habe.

Es war uur ein Zufall, welcher die Veranlassung bot, daß Voltaire 1726
ein Asyl in England zu suchen genöthigt war, doch wurde es sowohl für seine
wie für die Entwicklung des geistigen Lebens der ganzen Zeit von großer Be¬
deutung. Voltaire sah hier unter anderen einige der bedeutendsten Shakespearischen
Dramen auf der englischen Bühne, freilich in der Verstümmelung und Verkürzung
der damaligen Bühnenbearbeitnngen. Doch lernte er auf dem Landsitze des
hundelt Londoner .Handelsherrn Falkener auch den echten Shakespeare noch
kennen, dessen „Julius Cäsar" ihn sofort zu einer Bearbeitung dieses Stoffes
"»regte, die bereits hier, doch in Prosa, begonnen wurde. Der Gedanke einer
Deformation der französischen Bühne nährte in seinem Kopfe. Gleichwohl erscheint
Voltaire in seinen ersten öffentlichen Kundgebungen nach seiner Rückkehr nach
Frankreich in dieser Beziehung noch sehr zurückhaltend. In der fast unmittelbar
darauf geschriebenen Vorrede zu seinem Ooclixu vom Jahre 1730 tritt er noch


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[0331] Shakespeare in Frankreich. knüpfte hierbei sogar an diesen und dessen Uebersetzung des Hamletschen Monologs (in den I^ters8 »nglÄsss) an, welches zugleich das einzigemal ist, daß er auf Shakespeare etwas näher zu sprechen kommt, wogegen er noch in demselben Jahr¬ gange Scenen aus George Barnwell und in den folgenden Jahren die ganze Drydensche Tragödie „Antonius und Cleopatra" mittheilt, ohne dabei das Shnke- spearische Stück auch nur zu erwähnen. Ebensowenig weisen die Lustspiele des Destouches, obschon entschieden auf englischen, auf Shakespearischen Einfluß zurück Man hat zwar in seinem visschicksur Aehnlichkeiten mit dem „Timon von Athen" zu entdecken geglaubt. Sie sind aber zu unbedeutend, als daß Destouches das Shakespearische Original gekannt zu haben brauchte. Selbst die Scenen, welche er aus „einem in England seit lange mit Beifall gesehenem Stücke: ?Iro winpsst" übersetzt hat, sind keineswegs, wie man immer wieder behauptet, direct dem Shake¬ spearischen Lustspiele, sondern nur einer ganz freien Bearbeitung desselben von Davenant und Dryden entnommen, welche eine Parodie IKs rnoolc t<zmpvst von Dnffct hervorrief und in welcher nicht nur Prvsperos Tochter Mirandn, sondern auch noch deren Schwester Dorinda und der hier zum Hippolyt gewordene Ferdinand in völliger Abgeschlossenheit von der Welt aufgewachsen und in Unkenntniß der Verschiedenheit'der Geschlechter erhalten worden sind, so daß Hippolyt in Miranda und Dorinda die ersten Frauen, diese in ihm den ersten jungen Mann erblicken, eine Seene, welche nun einen fast komischen Anstrich bekommen hat. Auch ist es hier nicht Miranda, sondern Dorinda, die sich die Liebe Hippvlyts erwirbt. Destouches erwähnt Shakespeares Namen weder hier noch in einer seiner vielen Vorreden, wogegen er im Vorwort zu I^s tÄindour novwrng, nach Addisons Trommler, vom Jahre 1736, von diesem Dichter mit großer Bewunderung spricht. Nach alledem ist nicht zu bezweifeln, daß Voltaire sich keineswegs überhob, wenn er sagte, daß er es erst gewesen sei, welcher seine Nation ans die Größe des Shakespearischen Genius nachdrücklich hingewiesen und dieser Ansicht eine größere Verbreitung bei seinen Landsleuten gegeben habe. Es war uur ein Zufall, welcher die Veranlassung bot, daß Voltaire 1726 ein Asyl in England zu suchen genöthigt war, doch wurde es sowohl für seine wie für die Entwicklung des geistigen Lebens der ganzen Zeit von großer Be¬ deutung. Voltaire sah hier unter anderen einige der bedeutendsten Shakespearischen Dramen auf der englischen Bühne, freilich in der Verstümmelung und Verkürzung der damaligen Bühnenbearbeitnngen. Doch lernte er auf dem Landsitze des hundelt Londoner .Handelsherrn Falkener auch den echten Shakespeare noch kennen, dessen „Julius Cäsar" ihn sofort zu einer Bearbeitung dieses Stoffes "»regte, die bereits hier, doch in Prosa, begonnen wurde. Der Gedanke einer Deformation der französischen Bühne nährte in seinem Kopfe. Gleichwohl erscheint Voltaire in seinen ersten öffentlichen Kundgebungen nach seiner Rückkehr nach Frankreich in dieser Beziehung noch sehr zurückhaltend. In der fast unmittelbar darauf geschriebenen Vorrede zu seinem Ooclixu vom Jahre 1730 tritt er noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/331>, abgerufen am 26.11.2024.