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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Llzamr'tenM des tNanchesterthmns.

Was sich in der Bewegung von 1848 ans die Politik warf und ebenso
die darauf folgende Reaction dachte kaum daran, einen wie wesentlichen Theil der
Politik die Staatswirthschaft bildet. Erst als die Demokraten vom politischen
Leben im engern Sinne zurückgetreten waren, begannen sie sich mit Fragen dieser
Wissenschaft zu befassen, und die damals herrschende Partei ließ sie gewähren,
als sie bemerkte, daß sie in eine der grundbesitzenden Klasse vortheilhafte Rich¬
tung geriethen. Bisher hatten die Professoren, welche an den Universitäten
über Staatswirthschaft lasen, ihren Vorträgen den "Reichthum der Völker" von
Adam Smith zu Grunde gelegt, ein Werk, daß sein Verfasser durch ein andres
"Ueber den Einfluß der sittlichen Empfindungen auf die Hnudluugeu der Menschen"
ergänzt und in seinen Wirkungen neutralisirt hatte. Seit den vierziger Jahren
aber kennen auf den Lehrstiihleu der Nationalökonomie die Verzerrungen der
erstgenannten Schrift zur Geltung, deren sich Bentham und Bastiat schuldig
gemacht. Damit war der Boden für die Manchestcrmänner gegeben, die denu
auch nicht unterließen, ihn zu bebauen, und die dabei schnell Gehilfen fanden.
Wer sich an der Agitation betheiligen wollte, konnte sich den Satz der neuen
Wissenschaft, aus dem sich alles andre spielend entwickeln ließ, in fünf Minuten
beibringen lassen und sich dann als "Volkswirth" (beiläufig ein unlogisch ge¬
bildeter Ausdruck), ja als Philosophen produciren, "als Philosophen des abso¬
luten Schachermachcü," sagt unser Autor, "der mit der absoluten Anarchie Proud-
hons zusammenfällt . . . Vor dem glitzernden Worte Freiheit, mit welchem
Bastiat seine Ansprache an die französische Jngend schließt, wie der Vogel von
dem Lercheuspiegel geblendet, gingen die Massen ins Netz. Die Doctrin, daß
im öffentlichen Leben "einsichtsvolle Selbstsucht" die einzig berechtigte Triebfeder
sei, mundete besser als die Lehren des Alterthums und unsrer preußischen Vor¬
fahre!, von Entsagung, von Aufopferung, von Hingebung an das große Ge¬
meinwesen."

Hiermit schließen wir unsre Auszüge und Glossen, soweit es sich um die
Schrift "Der Cobden-Club" handelt. Möge sie nochmals angelegentlich empfohlen
sein. In einigen folgenden Artikeln werden wir nach dem deutscheu Gegner und man
kann jetzt wohl sagen, Besieger des Cobdcnismus einen Engländer von ähn¬
lichem Charakter vornehmen. Wir meinen das bereits oben flüchtig erwähnte
Buch: 8oplu8in8 ot' ^roo-^alö, das von der Uvoiprovit^ ^Wvemtion heraus¬
gegeben worden ist. In unsern Zeitungen hat nie ein Wort über diese Ge¬
sellschaft und ihre Literatur verlautet. Die meisten deutschen Blätter nahmen
ihre englischem Nachrichten aus der deutschen "Londoner Correspondenz," die viele
Jahre lang von einem Herrn Schlesinger, einem sehr geriebenen Geschäftsmanne
geleitet wurde. Sollte dieser niemals von dieser Agitation gehört haben?
Sollte der Cobden-Club mit ihm "in Verbindung getreten" sein? Wenn man
die am Schlüsse der Schrift über diesen erwähnte Literatur mit unsrer Presse
vergleicht, so wird mau an deu Eindruck erinnert, den man hatte, wenn man


Zur Llzamr'tenM des tNanchesterthmns.

Was sich in der Bewegung von 1848 ans die Politik warf und ebenso
die darauf folgende Reaction dachte kaum daran, einen wie wesentlichen Theil der
Politik die Staatswirthschaft bildet. Erst als die Demokraten vom politischen
Leben im engern Sinne zurückgetreten waren, begannen sie sich mit Fragen dieser
Wissenschaft zu befassen, und die damals herrschende Partei ließ sie gewähren,
als sie bemerkte, daß sie in eine der grundbesitzenden Klasse vortheilhafte Rich¬
tung geriethen. Bisher hatten die Professoren, welche an den Universitäten
über Staatswirthschaft lasen, ihren Vorträgen den „Reichthum der Völker" von
Adam Smith zu Grunde gelegt, ein Werk, daß sein Verfasser durch ein andres
„Ueber den Einfluß der sittlichen Empfindungen auf die Hnudluugeu der Menschen"
ergänzt und in seinen Wirkungen neutralisirt hatte. Seit den vierziger Jahren
aber kennen auf den Lehrstiihleu der Nationalökonomie die Verzerrungen der
erstgenannten Schrift zur Geltung, deren sich Bentham und Bastiat schuldig
gemacht. Damit war der Boden für die Manchestcrmänner gegeben, die denu
auch nicht unterließen, ihn zu bebauen, und die dabei schnell Gehilfen fanden.
Wer sich an der Agitation betheiligen wollte, konnte sich den Satz der neuen
Wissenschaft, aus dem sich alles andre spielend entwickeln ließ, in fünf Minuten
beibringen lassen und sich dann als „Volkswirth" (beiläufig ein unlogisch ge¬
bildeter Ausdruck), ja als Philosophen produciren, „als Philosophen des abso¬
luten Schachermachcü," sagt unser Autor, „der mit der absoluten Anarchie Proud-
hons zusammenfällt . . . Vor dem glitzernden Worte Freiheit, mit welchem
Bastiat seine Ansprache an die französische Jngend schließt, wie der Vogel von
dem Lercheuspiegel geblendet, gingen die Massen ins Netz. Die Doctrin, daß
im öffentlichen Leben »einsichtsvolle Selbstsucht« die einzig berechtigte Triebfeder
sei, mundete besser als die Lehren des Alterthums und unsrer preußischen Vor¬
fahre!, von Entsagung, von Aufopferung, von Hingebung an das große Ge¬
meinwesen."

Hiermit schließen wir unsre Auszüge und Glossen, soweit es sich um die
Schrift „Der Cobden-Club" handelt. Möge sie nochmals angelegentlich empfohlen
sein. In einigen folgenden Artikeln werden wir nach dem deutscheu Gegner und man
kann jetzt wohl sagen, Besieger des Cobdcnismus einen Engländer von ähn¬
lichem Charakter vornehmen. Wir meinen das bereits oben flüchtig erwähnte
Buch: 8oplu8in8 ot' ^roo-^alö, das von der Uvoiprovit^ ^Wvemtion heraus¬
gegeben worden ist. In unsern Zeitungen hat nie ein Wort über diese Ge¬
sellschaft und ihre Literatur verlautet. Die meisten deutschen Blätter nahmen
ihre englischem Nachrichten aus der deutschen „Londoner Correspondenz," die viele
Jahre lang von einem Herrn Schlesinger, einem sehr geriebenen Geschäftsmanne
geleitet wurde. Sollte dieser niemals von dieser Agitation gehört haben?
Sollte der Cobden-Club mit ihm „in Verbindung getreten" sein? Wenn man
die am Schlüsse der Schrift über diesen erwähnte Literatur mit unsrer Presse
vergleicht, so wird mau an deu Eindruck erinnert, den man hatte, wenn man


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[0326] Zur Llzamr'tenM des tNanchesterthmns. Was sich in der Bewegung von 1848 ans die Politik warf und ebenso die darauf folgende Reaction dachte kaum daran, einen wie wesentlichen Theil der Politik die Staatswirthschaft bildet. Erst als die Demokraten vom politischen Leben im engern Sinne zurückgetreten waren, begannen sie sich mit Fragen dieser Wissenschaft zu befassen, und die damals herrschende Partei ließ sie gewähren, als sie bemerkte, daß sie in eine der grundbesitzenden Klasse vortheilhafte Rich¬ tung geriethen. Bisher hatten die Professoren, welche an den Universitäten über Staatswirthschaft lasen, ihren Vorträgen den „Reichthum der Völker" von Adam Smith zu Grunde gelegt, ein Werk, daß sein Verfasser durch ein andres „Ueber den Einfluß der sittlichen Empfindungen auf die Hnudluugeu der Menschen" ergänzt und in seinen Wirkungen neutralisirt hatte. Seit den vierziger Jahren aber kennen auf den Lehrstiihleu der Nationalökonomie die Verzerrungen der erstgenannten Schrift zur Geltung, deren sich Bentham und Bastiat schuldig gemacht. Damit war der Boden für die Manchestcrmänner gegeben, die denu auch nicht unterließen, ihn zu bebauen, und die dabei schnell Gehilfen fanden. Wer sich an der Agitation betheiligen wollte, konnte sich den Satz der neuen Wissenschaft, aus dem sich alles andre spielend entwickeln ließ, in fünf Minuten beibringen lassen und sich dann als „Volkswirth" (beiläufig ein unlogisch ge¬ bildeter Ausdruck), ja als Philosophen produciren, „als Philosophen des abso¬ luten Schachermachcü," sagt unser Autor, „der mit der absoluten Anarchie Proud- hons zusammenfällt . . . Vor dem glitzernden Worte Freiheit, mit welchem Bastiat seine Ansprache an die französische Jngend schließt, wie der Vogel von dem Lercheuspiegel geblendet, gingen die Massen ins Netz. Die Doctrin, daß im öffentlichen Leben »einsichtsvolle Selbstsucht« die einzig berechtigte Triebfeder sei, mundete besser als die Lehren des Alterthums und unsrer preußischen Vor¬ fahre!, von Entsagung, von Aufopferung, von Hingebung an das große Ge¬ meinwesen." Hiermit schließen wir unsre Auszüge und Glossen, soweit es sich um die Schrift „Der Cobden-Club" handelt. Möge sie nochmals angelegentlich empfohlen sein. In einigen folgenden Artikeln werden wir nach dem deutscheu Gegner und man kann jetzt wohl sagen, Besieger des Cobdcnismus einen Engländer von ähn¬ lichem Charakter vornehmen. Wir meinen das bereits oben flüchtig erwähnte Buch: 8oplu8in8 ot' ^roo-^alö, das von der Uvoiprovit^ ^Wvemtion heraus¬ gegeben worden ist. In unsern Zeitungen hat nie ein Wort über diese Ge¬ sellschaft und ihre Literatur verlautet. Die meisten deutschen Blätter nahmen ihre englischem Nachrichten aus der deutschen „Londoner Correspondenz," die viele Jahre lang von einem Herrn Schlesinger, einem sehr geriebenen Geschäftsmanne geleitet wurde. Sollte dieser niemals von dieser Agitation gehört haben? Sollte der Cobden-Club mit ihm „in Verbindung getreten" sein? Wenn man die am Schlüsse der Schrift über diesen erwähnte Literatur mit unsrer Presse vergleicht, so wird mau an deu Eindruck erinnert, den man hatte, wenn man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/326>, abgerufen am 01.09.2024.