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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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als sie, und fordern daher Abschaffung des "bestehenden einseitigen Systems
freier Einfuhr und an Stelle desselben eine Politik der Selbsthilfe oder na¬
tionale Protection." Die Rink tZ^veto meldet, daß dieser Verein in
mehreren großen Fabrikstädten starke Unterstiitznng finde.

Daß der Cobden-Club infolgedessen um so eifriger im Auslande für sein
Credo agitirt, ist nicht unnatürlich. Aber welches Interesse können dessen aus¬
ländische Mitglieder haben, ihm dabei behilflich zu sein? Diese Herren bilden
eine recht bunte Galerie. Neben dem "rothen Prinzen" Jorvine Napoleon be¬
gegnen wir Decazes, neben Ollivier, dem Mann mit dem "leichten Herzen"
ans der einen Seite Gambetta, auf der andern dem Grafen von Paris, neben
Garibaldi den Ministern Minghetti und Sella, neben Karl Blind dem Botschafter
v. Keudell; andre Mitglieder dieser Klasse sind Bancroft, Schurz, der belgische
Minister Fröre-Orban, Lesseps, Nubar Pascha und Prinz Hassa". Was bewog
diese, sich dem Cobden-Club anzuschließen? Manche haben sich wahrscheinlich
gar nichts dabei gedacht. Andre werden sich durch das Diplom einer Gesell¬
schaft geehrt gefühlt haben, der illustre Namen angehören. Einige meinten
Wohl, alles müsse vortrefflich fein, was das liberale England geboren, und so
auch der Cobden-Club. Wieder andre mögen sich in das in-isser lÄiro verrannt
haben und wirklich Wunder von ihm erwarten. Noch andern mag es darum
zu thun gewesen sein, sich Unterstützung bei gewissen Projecten oder eine Stelle
bei einer künftigen Ministcrevmbiuation zu sichern.

Beispiellos war der Erfolg der manchesterlichen Agitation in Dentschland,
und doch findet ihn der Verfasser unsrer Broschüre leicht erklärlich. "Es ist
erst eine Spanne Zeit," sagt er, "daß in Norddeutschland jeder Manu, der
beim Frühstück in eine Zeitung sieht, sich mit Nationalökonomie beschäftigt,
darüber mitredet und öffentliche Meinung machen hilft. In Süddeutschland
war die Erinnerung an den großen und unglücklichem Patrioten List dnrch die
größere Freiheit der Presse und durch die Kammerdebatten lebendig erhalten
worden. In Norddeutschland beschäftigten sich bis 1848 nur die Fachleute mit
dieser Wissenschaft, welche abschreckend schwierig erschien. Was die öffentlichen
Blätter darüber brachten, war hin und wieder ein ruhiger, sachlicher und be¬
lehrender Artikel von Hoffmann, dem Director des Statistischen Bureaus in
Berlin. Mit ihm starb das Geschlecht von Staatsmännern aus, welches das
in zwanzig Kriegsjahren zerrüttete, durch furchtbare Kontributionen aufs äußerste
erschöpfte Preußen ohne Hilfe von Milliarden gehoben, die Finanzen geordnet,
den Staatscredit hergestellt und noch etwas für Universitäten, Schulen, Chausseen
erübrigt hatte ... Jene anspruchslosen Männer haben die nationalökonomischen
Wissenschaften vielleicht besser als die Freihändler gekannt. Aber sie wußten
die Wissenschaft von der Praxis zu trennen. Sie wußten, daß es ans diesem
Gebiete kein allgemein und überall richtiges giebt, sondern jedes Land seiue be¬
sondern Verhältnisse hat und nach diesen behandelt werden muß."


Zur Lhciraktcristik des Manchesters ums.

als sie, und fordern daher Abschaffung des „bestehenden einseitigen Systems
freier Einfuhr und an Stelle desselben eine Politik der Selbsthilfe oder na¬
tionale Protection." Die Rink tZ^veto meldet, daß dieser Verein in
mehreren großen Fabrikstädten starke Unterstiitznng finde.

Daß der Cobden-Club infolgedessen um so eifriger im Auslande für sein
Credo agitirt, ist nicht unnatürlich. Aber welches Interesse können dessen aus¬
ländische Mitglieder haben, ihm dabei behilflich zu sein? Diese Herren bilden
eine recht bunte Galerie. Neben dem „rothen Prinzen" Jorvine Napoleon be¬
gegnen wir Decazes, neben Ollivier, dem Mann mit dem „leichten Herzen"
ans der einen Seite Gambetta, auf der andern dem Grafen von Paris, neben
Garibaldi den Ministern Minghetti und Sella, neben Karl Blind dem Botschafter
v. Keudell; andre Mitglieder dieser Klasse sind Bancroft, Schurz, der belgische
Minister Fröre-Orban, Lesseps, Nubar Pascha und Prinz Hassa». Was bewog
diese, sich dem Cobden-Club anzuschließen? Manche haben sich wahrscheinlich
gar nichts dabei gedacht. Andre werden sich durch das Diplom einer Gesell¬
schaft geehrt gefühlt haben, der illustre Namen angehören. Einige meinten
Wohl, alles müsse vortrefflich fein, was das liberale England geboren, und so
auch der Cobden-Club. Wieder andre mögen sich in das in-isser lÄiro verrannt
haben und wirklich Wunder von ihm erwarten. Noch andern mag es darum
zu thun gewesen sein, sich Unterstützung bei gewissen Projecten oder eine Stelle
bei einer künftigen Ministcrevmbiuation zu sichern.

Beispiellos war der Erfolg der manchesterlichen Agitation in Dentschland,
und doch findet ihn der Verfasser unsrer Broschüre leicht erklärlich. „Es ist
erst eine Spanne Zeit," sagt er, „daß in Norddeutschland jeder Manu, der
beim Frühstück in eine Zeitung sieht, sich mit Nationalökonomie beschäftigt,
darüber mitredet und öffentliche Meinung machen hilft. In Süddeutschland
war die Erinnerung an den großen und unglücklichem Patrioten List dnrch die
größere Freiheit der Presse und durch die Kammerdebatten lebendig erhalten
worden. In Norddeutschland beschäftigten sich bis 1848 nur die Fachleute mit
dieser Wissenschaft, welche abschreckend schwierig erschien. Was die öffentlichen
Blätter darüber brachten, war hin und wieder ein ruhiger, sachlicher und be¬
lehrender Artikel von Hoffmann, dem Director des Statistischen Bureaus in
Berlin. Mit ihm starb das Geschlecht von Staatsmännern aus, welches das
in zwanzig Kriegsjahren zerrüttete, durch furchtbare Kontributionen aufs äußerste
erschöpfte Preußen ohne Hilfe von Milliarden gehoben, die Finanzen geordnet,
den Staatscredit hergestellt und noch etwas für Universitäten, Schulen, Chausseen
erübrigt hatte ... Jene anspruchslosen Männer haben die nationalökonomischen
Wissenschaften vielleicht besser als die Freihändler gekannt. Aber sie wußten
die Wissenschaft von der Praxis zu trennen. Sie wußten, daß es ans diesem
Gebiete kein allgemein und überall richtiges giebt, sondern jedes Land seiue be¬
sondern Verhältnisse hat und nach diesen behandelt werden muß."


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[0325] Zur Lhciraktcristik des Manchesters ums. als sie, und fordern daher Abschaffung des „bestehenden einseitigen Systems freier Einfuhr und an Stelle desselben eine Politik der Selbsthilfe oder na¬ tionale Protection." Die Rink tZ^veto meldet, daß dieser Verein in mehreren großen Fabrikstädten starke Unterstiitznng finde. Daß der Cobden-Club infolgedessen um so eifriger im Auslande für sein Credo agitirt, ist nicht unnatürlich. Aber welches Interesse können dessen aus¬ ländische Mitglieder haben, ihm dabei behilflich zu sein? Diese Herren bilden eine recht bunte Galerie. Neben dem „rothen Prinzen" Jorvine Napoleon be¬ gegnen wir Decazes, neben Ollivier, dem Mann mit dem „leichten Herzen" ans der einen Seite Gambetta, auf der andern dem Grafen von Paris, neben Garibaldi den Ministern Minghetti und Sella, neben Karl Blind dem Botschafter v. Keudell; andre Mitglieder dieser Klasse sind Bancroft, Schurz, der belgische Minister Fröre-Orban, Lesseps, Nubar Pascha und Prinz Hassa». Was bewog diese, sich dem Cobden-Club anzuschließen? Manche haben sich wahrscheinlich gar nichts dabei gedacht. Andre werden sich durch das Diplom einer Gesell¬ schaft geehrt gefühlt haben, der illustre Namen angehören. Einige meinten Wohl, alles müsse vortrefflich fein, was das liberale England geboren, und so auch der Cobden-Club. Wieder andre mögen sich in das in-isser lÄiro verrannt haben und wirklich Wunder von ihm erwarten. Noch andern mag es darum zu thun gewesen sein, sich Unterstützung bei gewissen Projecten oder eine Stelle bei einer künftigen Ministcrevmbiuation zu sichern. Beispiellos war der Erfolg der manchesterlichen Agitation in Dentschland, und doch findet ihn der Verfasser unsrer Broschüre leicht erklärlich. „Es ist erst eine Spanne Zeit," sagt er, „daß in Norddeutschland jeder Manu, der beim Frühstück in eine Zeitung sieht, sich mit Nationalökonomie beschäftigt, darüber mitredet und öffentliche Meinung machen hilft. In Süddeutschland war die Erinnerung an den großen und unglücklichem Patrioten List dnrch die größere Freiheit der Presse und durch die Kammerdebatten lebendig erhalten worden. In Norddeutschland beschäftigten sich bis 1848 nur die Fachleute mit dieser Wissenschaft, welche abschreckend schwierig erschien. Was die öffentlichen Blätter darüber brachten, war hin und wieder ein ruhiger, sachlicher und be¬ lehrender Artikel von Hoffmann, dem Director des Statistischen Bureaus in Berlin. Mit ihm starb das Geschlecht von Staatsmännern aus, welches das in zwanzig Kriegsjahren zerrüttete, durch furchtbare Kontributionen aufs äußerste erschöpfte Preußen ohne Hilfe von Milliarden gehoben, die Finanzen geordnet, den Staatscredit hergestellt und noch etwas für Universitäten, Schulen, Chausseen erübrigt hatte ... Jene anspruchslosen Männer haben die nationalökonomischen Wissenschaften vielleicht besser als die Freihändler gekannt. Aber sie wußten die Wissenschaft von der Praxis zu trennen. Sie wußten, daß es ans diesem Gebiete kein allgemein und überall richtiges giebt, sondern jedes Land seiue be¬ sondern Verhältnisse hat und nach diesen behandelt werden muß."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/325>, abgerufen am 25.11.2024.