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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthums.

Ein andrer Probirstein der Grundsätze des Apostelfürsten der Freihändler
war die Frage, ob England Handelsverträge abschließen dürfe. War das von
der Manchestcrpartei seit Jahrzehnten verkündigte Dogma richtig, daß unbe¬
schränkter, internationaler Waarenaustausch für jeden Staat das wohlthätigste
sei, und daß ein Staat, der Schutzzölle aufrecht hält, nur sich selbst schädige,
so war es einem freihändlerischen Staate selbstverständlich nicht erlaubt, Handels¬
verträge abzuschließen, er mußte vielmehr die nicht freihündlerischcn Staaten
ruhig dem sie unfehlbar mit der Zeit ereilenden Verderben überlassen. Dem-
ungeachtet fabelte Cobden mit Gladstone und Michel Chevalier nnter der Rcgide
des Kaisers Napoleon in aller Heimlichkeit den Handelsvertrag mit Frankreich
ein, unterhandelte über ihn und unterzeichnete ihn sodann. Dies Verfahren
führte zu einer Art Schisma zwischen den orthodoxen und den opportunistischen
Freihändlern, welches zwar wie der Vertrag selbst der profanen Welt draußen
einige Zeit verborgen blieb, zuletzt aber doch bekannt wurde, MaeCullvch, den
Cobden in seinen Reden als Autorität feiert, mißbilligte den englisch-französischen
Handelsvertrag, und Löwe, Professor der Logik in Oxford, dann Schatzkanzler,
erklärte in letzterer Eigenschaft einer Deputation von Fabrikanten kurz und rund:
"Handelsverträge sind die Mutter der Ketzerei der Reciprocität," Der Cvbdeu-
Club verbreitete dagegen ein Pamphlet, welches ausführte, daß Handelsverträge
vermöge der Clnusel von den meistbegünstigten Nationen doch geeignet wären,
einen Staat nach dem ändern in die Bahnen der englischen Politik zu lenken,
Cobden äußerte einigemale Gewissensbisse, und Bright wußte sich 1860 im Unter¬
hause mir damit zu helfen, daß er sagte, dem Freihandel günstige Verträge
gefielen ihm, andre nicht. Diese Parole wurde auch von den festländischen
Affiliirteu der volkswirthschaftlichen Jesuiten in Manchester befolgt, und jedes
Blatt, welches von autonomen Tarif sprach, kam in aller Stille auf den Index-
Der Vertrag kam zustande, aber eine zwanzigjährige Erfahrung und die Versuche,
ihn zu erneuern, haben gezeigt, daß der Theoretiker Löwe vom freihändlerischen
Standpunkte richtiger geurtheilt hatte als der große Praktiker Cobden, der sich
1844 vor einer Volksversammlung hatte vernehmen lassen: "Merkt Euch mein
Wort, diese Philosophen, die in Betreff dessen, was rings um sie vorgeht, solche
gründliche Ignoranten sind, uns aber an jeder Ecke, mit Prophezeiungen dessen,
was sich in Zukunft ereignen wird, begegnen, werden uns wahrhaftig noch
sagen, daß der Freihandel ihr Land um seine Cultur bringen und ihre Arbeiter
der Beschäftigung berauben wird."

Ein dritter (von unsrer Broschüre nicht erwähnter) Probirstein der Cvbden-
schen "Principien" und zugleich ein Marterpfahl für Herrn Gladstone und für
die freiwillig gouvernementalen Blätter und Correspondenten in London ist die
Frage, wie der gerechte und vollkommene Freihändler über Ausfuhrprämien zu
denken und zu reden hat, welche von einigen fremden Regierungen, namentlich
von der österreichischen und der französischen, den Fabrikanten von Rübenzucker


Zur Charakteristik des Manchesterthums.

Ein andrer Probirstein der Grundsätze des Apostelfürsten der Freihändler
war die Frage, ob England Handelsverträge abschließen dürfe. War das von
der Manchestcrpartei seit Jahrzehnten verkündigte Dogma richtig, daß unbe¬
schränkter, internationaler Waarenaustausch für jeden Staat das wohlthätigste
sei, und daß ein Staat, der Schutzzölle aufrecht hält, nur sich selbst schädige,
so war es einem freihändlerischen Staate selbstverständlich nicht erlaubt, Handels¬
verträge abzuschließen, er mußte vielmehr die nicht freihündlerischcn Staaten
ruhig dem sie unfehlbar mit der Zeit ereilenden Verderben überlassen. Dem-
ungeachtet fabelte Cobden mit Gladstone und Michel Chevalier nnter der Rcgide
des Kaisers Napoleon in aller Heimlichkeit den Handelsvertrag mit Frankreich
ein, unterhandelte über ihn und unterzeichnete ihn sodann. Dies Verfahren
führte zu einer Art Schisma zwischen den orthodoxen und den opportunistischen
Freihändlern, welches zwar wie der Vertrag selbst der profanen Welt draußen
einige Zeit verborgen blieb, zuletzt aber doch bekannt wurde, MaeCullvch, den
Cobden in seinen Reden als Autorität feiert, mißbilligte den englisch-französischen
Handelsvertrag, und Löwe, Professor der Logik in Oxford, dann Schatzkanzler,
erklärte in letzterer Eigenschaft einer Deputation von Fabrikanten kurz und rund:
„Handelsverträge sind die Mutter der Ketzerei der Reciprocität," Der Cvbdeu-
Club verbreitete dagegen ein Pamphlet, welches ausführte, daß Handelsverträge
vermöge der Clnusel von den meistbegünstigten Nationen doch geeignet wären,
einen Staat nach dem ändern in die Bahnen der englischen Politik zu lenken,
Cobden äußerte einigemale Gewissensbisse, und Bright wußte sich 1860 im Unter¬
hause mir damit zu helfen, daß er sagte, dem Freihandel günstige Verträge
gefielen ihm, andre nicht. Diese Parole wurde auch von den festländischen
Affiliirteu der volkswirthschaftlichen Jesuiten in Manchester befolgt, und jedes
Blatt, welches von autonomen Tarif sprach, kam in aller Stille auf den Index-
Der Vertrag kam zustande, aber eine zwanzigjährige Erfahrung und die Versuche,
ihn zu erneuern, haben gezeigt, daß der Theoretiker Löwe vom freihändlerischen
Standpunkte richtiger geurtheilt hatte als der große Praktiker Cobden, der sich
1844 vor einer Volksversammlung hatte vernehmen lassen: „Merkt Euch mein
Wort, diese Philosophen, die in Betreff dessen, was rings um sie vorgeht, solche
gründliche Ignoranten sind, uns aber an jeder Ecke, mit Prophezeiungen dessen,
was sich in Zukunft ereignen wird, begegnen, werden uns wahrhaftig noch
sagen, daß der Freihandel ihr Land um seine Cultur bringen und ihre Arbeiter
der Beschäftigung berauben wird."

Ein dritter (von unsrer Broschüre nicht erwähnter) Probirstein der Cvbden-
schen „Principien" und zugleich ein Marterpfahl für Herrn Gladstone und für
die freiwillig gouvernementalen Blätter und Correspondenten in London ist die
Frage, wie der gerechte und vollkommene Freihändler über Ausfuhrprämien zu
denken und zu reden hat, welche von einigen fremden Regierungen, namentlich
von der österreichischen und der französischen, den Fabrikanten von Rübenzucker


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[0322] Zur Charakteristik des Manchesterthums. Ein andrer Probirstein der Grundsätze des Apostelfürsten der Freihändler war die Frage, ob England Handelsverträge abschließen dürfe. War das von der Manchestcrpartei seit Jahrzehnten verkündigte Dogma richtig, daß unbe¬ schränkter, internationaler Waarenaustausch für jeden Staat das wohlthätigste sei, und daß ein Staat, der Schutzzölle aufrecht hält, nur sich selbst schädige, so war es einem freihändlerischen Staate selbstverständlich nicht erlaubt, Handels¬ verträge abzuschließen, er mußte vielmehr die nicht freihündlerischcn Staaten ruhig dem sie unfehlbar mit der Zeit ereilenden Verderben überlassen. Dem- ungeachtet fabelte Cobden mit Gladstone und Michel Chevalier nnter der Rcgide des Kaisers Napoleon in aller Heimlichkeit den Handelsvertrag mit Frankreich ein, unterhandelte über ihn und unterzeichnete ihn sodann. Dies Verfahren führte zu einer Art Schisma zwischen den orthodoxen und den opportunistischen Freihändlern, welches zwar wie der Vertrag selbst der profanen Welt draußen einige Zeit verborgen blieb, zuletzt aber doch bekannt wurde, MaeCullvch, den Cobden in seinen Reden als Autorität feiert, mißbilligte den englisch-französischen Handelsvertrag, und Löwe, Professor der Logik in Oxford, dann Schatzkanzler, erklärte in letzterer Eigenschaft einer Deputation von Fabrikanten kurz und rund: „Handelsverträge sind die Mutter der Ketzerei der Reciprocität," Der Cvbdeu- Club verbreitete dagegen ein Pamphlet, welches ausführte, daß Handelsverträge vermöge der Clnusel von den meistbegünstigten Nationen doch geeignet wären, einen Staat nach dem ändern in die Bahnen der englischen Politik zu lenken, Cobden äußerte einigemale Gewissensbisse, und Bright wußte sich 1860 im Unter¬ hause mir damit zu helfen, daß er sagte, dem Freihandel günstige Verträge gefielen ihm, andre nicht. Diese Parole wurde auch von den festländischen Affiliirteu der volkswirthschaftlichen Jesuiten in Manchester befolgt, und jedes Blatt, welches von autonomen Tarif sprach, kam in aller Stille auf den Index- Der Vertrag kam zustande, aber eine zwanzigjährige Erfahrung und die Versuche, ihn zu erneuern, haben gezeigt, daß der Theoretiker Löwe vom freihändlerischen Standpunkte richtiger geurtheilt hatte als der große Praktiker Cobden, der sich 1844 vor einer Volksversammlung hatte vernehmen lassen: „Merkt Euch mein Wort, diese Philosophen, die in Betreff dessen, was rings um sie vorgeht, solche gründliche Ignoranten sind, uns aber an jeder Ecke, mit Prophezeiungen dessen, was sich in Zukunft ereignen wird, begegnen, werden uns wahrhaftig noch sagen, daß der Freihandel ihr Land um seine Cultur bringen und ihre Arbeiter der Beschäftigung berauben wird." Ein dritter (von unsrer Broschüre nicht erwähnter) Probirstein der Cvbden- schen „Principien" und zugleich ein Marterpfahl für Herrn Gladstone und für die freiwillig gouvernementalen Blätter und Correspondenten in London ist die Frage, wie der gerechte und vollkommene Freihändler über Ausfuhrprämien zu denken und zu reden hat, welche von einigen fremden Regierungen, namentlich von der österreichischen und der französischen, den Fabrikanten von Rübenzucker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/322>, abgerufen am 25.11.2024.