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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Franz Schuberts Müllerlieder,

sich wieder ein und vereinigt wieder das edle, tiefe Gefühl mit der dem Sohne
des Volkes eignen Bescheidenheit und Zurückhaltung im Ausdruck, Eine Pracht¬
leistung ist in dieser Beziehung der wenig bekannte "Jäger," ein trotziges Stücklein,
das ganz naturgetreue luusikalische Bild einer Wuth, die sich schnatternd äußert,
einer Heftigkeit/die in kurzen Stößen hervordrängt und nicht abreißt, bis die
Stimme nicht höher hiunufkann.

Die Partie, welche die Nummern von 15-18 enthält, kann man für du-
schönste des ganzen Chelns halten. Welch erhebende Darstellung von dem Leiden
M'es edlen Mannesherzens! Eines Herzens, das zum Tode verwundet ist und
doch an der Liebe hält zu dem Weibe, das die Wunde schlug, eines .Herzens,
welches sich im Sterben noch einmal jubelnd aufrichtet an der Hoffnung, daß
die seiner denken werde, die es gebrochen hat! "Und wen" sie wandelt am Hügel
vorbei, und denkt im Herzen, der meint es treu! dann Blümlein alle heraus,
heraus!" Was ist das für eine Frühlingsmusik, was für eine verklärende Apotheose
des armen Müllers! Und welchen Kampf läßt der Componist dabei das arme
Herz noch durchmachen! Hier ist es letzte, verzweifelte Hoffnung, wenn der
Bursche zum Büchlein ruft "Kehr' um." Dann faßt ihn die bittre Ironie, wen"
in gebrochnem Tone in der untern Octave erzählt: "Mein Schatz Hat'S Grün
s" gern." In der "Bösen Farbe" meldet sich in den einleitenden Tacten des
Claviers grimmige Wuth, dann singt er in lustigem Tone: "Ich möchte zieh"
die Welt hinaus;" im dritten Tacte aber merkt man, daß dieser Ausbruch
fwher Laune nur ein Galgenhumor war, der das ganze Stück über mit dein
Schreckensschrei wilden Schmerzes wechselt. In Nummer 19 ist dann der Müller
innerlich schon ein todter Mann, er singt mit der Ruhe einer Seele/ die mit der
Erde fertig ist. Jetzt tritt der Bach wieder auf mit einem himmlisch freundliche"
Tun, Es 'schließt die Dichtung mit einem einfach ruhigen Wiegenliede, ans dessen
"leichmäßigen Rhythmen wie' aus einer schönen Grabrede Klänge von Trauer
und Trost ertönen.

Die Müllerliedcr haben das Geschick gehabt, Jahrzehnte lang dem Publ.cum
""r in einer Verunstaltung bekannt zu sein, welche sie durch die Nedaet.on des
bekannte,. Sängers M Vogt, des Freundes vo" Schubert, erfuhren, der die
Gelegenheit der Verstellung einer zweiten Ausgabe uach des Compomste" Tode
' in der besten Absicht natürlich - dazu mißbrauchte, die Lieder mit aller¬
hand theatralischen Schnörkel" zu verzieren und durch sogenannte Vereinfachungen
5" berauben. Erst Anfang der sechziger Jahre wurde die Originalausgabe wieder
betont, und ein großer Theil der Verleger beeilte sich nach derselben d.e Mutter-
l'eder revidiren und neu drucken zu lasse", so daß sie jetzt von den Vogischcn Ver¬
besserungen wieder befreit und rein in die Hände der Musikfreunde gelangen könne...




Franz Schuberts Müllerlieder,

sich wieder ein und vereinigt wieder das edle, tiefe Gefühl mit der dem Sohne
des Volkes eignen Bescheidenheit und Zurückhaltung im Ausdruck, Eine Pracht¬
leistung ist in dieser Beziehung der wenig bekannte „Jäger," ein trotziges Stücklein,
das ganz naturgetreue luusikalische Bild einer Wuth, die sich schnatternd äußert,
einer Heftigkeit/die in kurzen Stößen hervordrängt und nicht abreißt, bis die
Stimme nicht höher hiunufkann.

Die Partie, welche die Nummern von 15-18 enthält, kann man für du-
schönste des ganzen Chelns halten. Welch erhebende Darstellung von dem Leiden
M'es edlen Mannesherzens! Eines Herzens, das zum Tode verwundet ist und
doch an der Liebe hält zu dem Weibe, das die Wunde schlug, eines .Herzens,
welches sich im Sterben noch einmal jubelnd aufrichtet an der Hoffnung, daß
die seiner denken werde, die es gebrochen hat! „Und wen» sie wandelt am Hügel
vorbei, und denkt im Herzen, der meint es treu! dann Blümlein alle heraus,
heraus!" Was ist das für eine Frühlingsmusik, was für eine verklärende Apotheose
des armen Müllers! Und welchen Kampf läßt der Componist dabei das arme
Herz noch durchmachen! Hier ist es letzte, verzweifelte Hoffnung, wenn der
Bursche zum Büchlein ruft „Kehr' um." Dann faßt ihn die bittre Ironie, wen»
in gebrochnem Tone in der untern Octave erzählt: „Mein Schatz Hat'S Grün
s» gern." In der „Bösen Farbe" meldet sich in den einleitenden Tacten des
Claviers grimmige Wuth, dann singt er in lustigem Tone: „Ich möchte zieh»
die Welt hinaus;" im dritten Tacte aber merkt man, daß dieser Ausbruch
fwher Laune nur ein Galgenhumor war, der das ganze Stück über mit dein
Schreckensschrei wilden Schmerzes wechselt. In Nummer 19 ist dann der Müller
innerlich schon ein todter Mann, er singt mit der Ruhe einer Seele/ die mit der
Erde fertig ist. Jetzt tritt der Bach wieder auf mit einem himmlisch freundliche»
Tun, Es 'schließt die Dichtung mit einem einfach ruhigen Wiegenliede, ans dessen
»leichmäßigen Rhythmen wie' aus einer schönen Grabrede Klänge von Trauer
und Trost ertönen.

Die Müllerliedcr haben das Geschick gehabt, Jahrzehnte lang dem Publ.cum
""r in einer Verunstaltung bekannt zu sein, welche sie durch die Nedaet.on des
bekannte,. Sängers M Vogt, des Freundes vo» Schubert, erfuhren, der die
Gelegenheit der Verstellung einer zweiten Ausgabe uach des Compomste» Tode
' in der besten Absicht natürlich - dazu mißbrauchte, die Lieder mit aller¬
hand theatralischen Schnörkel» zu verzieren und durch sogenannte Vereinfachungen
5" berauben. Erst Anfang der sechziger Jahre wurde die Originalausgabe wieder
betont, und ein großer Theil der Verleger beeilte sich nach derselben d.e Mutter-
l'eder revidiren und neu drucken zu lasse», so daß sie jetzt von den Vogischcn Ver¬
besserungen wieder befreit und rein in die Hände der Musikfreunde gelangen könne...




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[0311] Franz Schuberts Müllerlieder, sich wieder ein und vereinigt wieder das edle, tiefe Gefühl mit der dem Sohne des Volkes eignen Bescheidenheit und Zurückhaltung im Ausdruck, Eine Pracht¬ leistung ist in dieser Beziehung der wenig bekannte „Jäger," ein trotziges Stücklein, das ganz naturgetreue luusikalische Bild einer Wuth, die sich schnatternd äußert, einer Heftigkeit/die in kurzen Stößen hervordrängt und nicht abreißt, bis die Stimme nicht höher hiunufkann. Die Partie, welche die Nummern von 15-18 enthält, kann man für du- schönste des ganzen Chelns halten. Welch erhebende Darstellung von dem Leiden M'es edlen Mannesherzens! Eines Herzens, das zum Tode verwundet ist und doch an der Liebe hält zu dem Weibe, das die Wunde schlug, eines .Herzens, welches sich im Sterben noch einmal jubelnd aufrichtet an der Hoffnung, daß die seiner denken werde, die es gebrochen hat! „Und wen» sie wandelt am Hügel vorbei, und denkt im Herzen, der meint es treu! dann Blümlein alle heraus, heraus!" Was ist das für eine Frühlingsmusik, was für eine verklärende Apotheose des armen Müllers! Und welchen Kampf läßt der Componist dabei das arme Herz noch durchmachen! Hier ist es letzte, verzweifelte Hoffnung, wenn der Bursche zum Büchlein ruft „Kehr' um." Dann faßt ihn die bittre Ironie, wen» in gebrochnem Tone in der untern Octave erzählt: „Mein Schatz Hat'S Grün s» gern." In der „Bösen Farbe" meldet sich in den einleitenden Tacten des Claviers grimmige Wuth, dann singt er in lustigem Tone: „Ich möchte zieh» die Welt hinaus;" im dritten Tacte aber merkt man, daß dieser Ausbruch fwher Laune nur ein Galgenhumor war, der das ganze Stück über mit dein Schreckensschrei wilden Schmerzes wechselt. In Nummer 19 ist dann der Müller innerlich schon ein todter Mann, er singt mit der Ruhe einer Seele/ die mit der Erde fertig ist. Jetzt tritt der Bach wieder auf mit einem himmlisch freundliche» Tun, Es 'schließt die Dichtung mit einem einfach ruhigen Wiegenliede, ans dessen »leichmäßigen Rhythmen wie' aus einer schönen Grabrede Klänge von Trauer und Trost ertönen. Die Müllerliedcr haben das Geschick gehabt, Jahrzehnte lang dem Publ.cum ""r in einer Verunstaltung bekannt zu sein, welche sie durch die Nedaet.on des bekannte,. Sängers M Vogt, des Freundes vo» Schubert, erfuhren, der die Gelegenheit der Verstellung einer zweiten Ausgabe uach des Compomste» Tode ' in der besten Absicht natürlich - dazu mißbrauchte, die Lieder mit aller¬ hand theatralischen Schnörkel» zu verzieren und durch sogenannte Vereinfachungen 5" berauben. Erst Anfang der sechziger Jahre wurde die Originalausgabe wieder betont, und ein großer Theil der Verleger beeilte sich nach derselben d.e Mutter- l'eder revidiren und neu drucken zu lasse», so daß sie jetzt von den Vogischcn Ver¬ besserungen wieder befreit und rein in die Hände der Musikfreunde gelangen könne...

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/311>, abgerufen am 01.09.2024.