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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Aus (Lhristian Gottfried Körners Rcisetagebüchern,

Schüsseln, Teller zerschmissen wurden u, s, w., belustigte die Zuschauer sehr/' Erst
am 17. November überzeugte sich Körner im Drurhlaucthcatcr, daß "die AetcnrS,
besonders die Frauenzimmer besser seien" als in den Theatern, die er zuerst
betreten. Aber bereits zwei Tage später, als er im Coveutgardentheater den
"Lear" aufführen sah, fiel er in sein erstes Urtheil zurück. "Nach meiner Empfindung
nicht so gut aufgeführt als in Leipzig. Besonders auffallend ist die neue fran¬
zösische Kleidung; Gcirrick hat sie in diesen Stücken gebraucht. Ich muß gestehe",
daß es mich sehr aus der Täuschung reißt. Miß Jouug agirte am besten als Cor-
delia." Die geselligen Beziehungen der beiden Reisenden, die aus so verschiednen
Lebenskreisen stammten, waren die besten; den Reigen der vielen, welche ent¬
weder Graf Schönburg oder Körner und den einen um des andern willen
bei sich empfingen und bewirtheten, eröffnete der kursächsische Gesandte am
englischen Hofe, Graf Brühl, mit welchem Körner auch in seiner spätern
Dresdner Zeit einige Verbindung pflegte. Am unbehaglichsten stimmte unsern
leidenschaftlichen Musikfreund, der alsbald nach der Ankunft in London ein
Clavier ermicthet hatte, die strenge englische Sonntagsfeier. Doch gehörte er, wie
alle Blätter seines Tagebuchs erweisen, keineswegs zu den Leuten, die sich in
ungewohnte Situationen und Forderungen nicht zu finden wissen -- ohne Hast
aber ohne Rast sehen wir ihn die reichen Eindrücke Londons in sich aufnehmen
und nebenbei ein wenig nach der politischen Stimmung forschen, welche in
England damals freilich mehr zu bedeuten hatte als bei uns und auf dem
Continente überhaupt.

Zwischen dem December 1779 und dem März 1780 findet sich in
Körners Tagebüchern (die nie gebunden, sondern nur in einzelnen Lagen zu-
einandergeschichtct waren) eine empfindliche Lücke. Vom 2, März an, wo
Körner und Graf Schönburg Lord Beßboroughs prachtvollen Landsitz zu
Roehamptvn besuchten, sind die Aufzeichnungen wieder vorhanden. Mit dem
herannahenden Frühling beginnen eine Reihe von Ausflügen, und so werden
die Reisenden während der eigentlichen Wintermonate jedenfalls ausschließlich
in London verweilt haben. Erst am 9. März gelangen sie dazu, den Tower
zu sehen, und im Gegensatz zu der großartigen Liberalität, mit welcher die
Lords den Besuch ihrer Schlösser, Gemälde- und sonstiger Kunstsammlungen
erleichtern, findet sich Körner durch die "Taxen" im Tower peinlich berührt.
"Jede Merkwürdigkeit im Tower wird sür eine gewisse Taxe gezeigt, die
meistens über die Thür geschrieben ist und wovon einige Parlamentsmitglieder
Einkünfte ziehen. Auffallend ist es, daß ein König Kleinodien, Waffen und
Thiere für Entrse fehen läßt!" Während der um folgenden Wochen bemüht
sich Körner redlich, den industriellen Etablissements und den Jndustriecrzeug-
nissen Englands das Beste abzugewinnen. Seine Bemerkungen sind verständig
und treffen den Hauptpunkt; ganz gewiß ist er später in der sächsischen
"Laudeöökonomic-, Mnnnfactur-und Commereicudepntativn" einer der bestuuter-


Aus (Lhristian Gottfried Körners Rcisetagebüchern,

Schüsseln, Teller zerschmissen wurden u, s, w., belustigte die Zuschauer sehr/' Erst
am 17. November überzeugte sich Körner im Drurhlaucthcatcr, daß „die AetcnrS,
besonders die Frauenzimmer besser seien" als in den Theatern, die er zuerst
betreten. Aber bereits zwei Tage später, als er im Coveutgardentheater den
„Lear" aufführen sah, fiel er in sein erstes Urtheil zurück. „Nach meiner Empfindung
nicht so gut aufgeführt als in Leipzig. Besonders auffallend ist die neue fran¬
zösische Kleidung; Gcirrick hat sie in diesen Stücken gebraucht. Ich muß gestehe«,
daß es mich sehr aus der Täuschung reißt. Miß Jouug agirte am besten als Cor-
delia." Die geselligen Beziehungen der beiden Reisenden, die aus so verschiednen
Lebenskreisen stammten, waren die besten; den Reigen der vielen, welche ent¬
weder Graf Schönburg oder Körner und den einen um des andern willen
bei sich empfingen und bewirtheten, eröffnete der kursächsische Gesandte am
englischen Hofe, Graf Brühl, mit welchem Körner auch in seiner spätern
Dresdner Zeit einige Verbindung pflegte. Am unbehaglichsten stimmte unsern
leidenschaftlichen Musikfreund, der alsbald nach der Ankunft in London ein
Clavier ermicthet hatte, die strenge englische Sonntagsfeier. Doch gehörte er, wie
alle Blätter seines Tagebuchs erweisen, keineswegs zu den Leuten, die sich in
ungewohnte Situationen und Forderungen nicht zu finden wissen — ohne Hast
aber ohne Rast sehen wir ihn die reichen Eindrücke Londons in sich aufnehmen
und nebenbei ein wenig nach der politischen Stimmung forschen, welche in
England damals freilich mehr zu bedeuten hatte als bei uns und auf dem
Continente überhaupt.

Zwischen dem December 1779 und dem März 1780 findet sich in
Körners Tagebüchern (die nie gebunden, sondern nur in einzelnen Lagen zu-
einandergeschichtct waren) eine empfindliche Lücke. Vom 2, März an, wo
Körner und Graf Schönburg Lord Beßboroughs prachtvollen Landsitz zu
Roehamptvn besuchten, sind die Aufzeichnungen wieder vorhanden. Mit dem
herannahenden Frühling beginnen eine Reihe von Ausflügen, und so werden
die Reisenden während der eigentlichen Wintermonate jedenfalls ausschließlich
in London verweilt haben. Erst am 9. März gelangen sie dazu, den Tower
zu sehen, und im Gegensatz zu der großartigen Liberalität, mit welcher die
Lords den Besuch ihrer Schlösser, Gemälde- und sonstiger Kunstsammlungen
erleichtern, findet sich Körner durch die „Taxen" im Tower peinlich berührt.
„Jede Merkwürdigkeit im Tower wird sür eine gewisse Taxe gezeigt, die
meistens über die Thür geschrieben ist und wovon einige Parlamentsmitglieder
Einkünfte ziehen. Auffallend ist es, daß ein König Kleinodien, Waffen und
Thiere für Entrse fehen läßt!" Während der um folgenden Wochen bemüht
sich Körner redlich, den industriellen Etablissements und den Jndustriecrzeug-
nissen Englands das Beste abzugewinnen. Seine Bemerkungen sind verständig
und treffen den Hauptpunkt; ganz gewiß ist er später in der sächsischen
„Laudeöökonomic-, Mnnnfactur-und Commereicudepntativn" einer der bestuuter-


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[0258] Aus (Lhristian Gottfried Körners Rcisetagebüchern, Schüsseln, Teller zerschmissen wurden u, s, w., belustigte die Zuschauer sehr/' Erst am 17. November überzeugte sich Körner im Drurhlaucthcatcr, daß „die AetcnrS, besonders die Frauenzimmer besser seien" als in den Theatern, die er zuerst betreten. Aber bereits zwei Tage später, als er im Coveutgardentheater den „Lear" aufführen sah, fiel er in sein erstes Urtheil zurück. „Nach meiner Empfindung nicht so gut aufgeführt als in Leipzig. Besonders auffallend ist die neue fran¬ zösische Kleidung; Gcirrick hat sie in diesen Stücken gebraucht. Ich muß gestehe«, daß es mich sehr aus der Täuschung reißt. Miß Jouug agirte am besten als Cor- delia." Die geselligen Beziehungen der beiden Reisenden, die aus so verschiednen Lebenskreisen stammten, waren die besten; den Reigen der vielen, welche ent¬ weder Graf Schönburg oder Körner und den einen um des andern willen bei sich empfingen und bewirtheten, eröffnete der kursächsische Gesandte am englischen Hofe, Graf Brühl, mit welchem Körner auch in seiner spätern Dresdner Zeit einige Verbindung pflegte. Am unbehaglichsten stimmte unsern leidenschaftlichen Musikfreund, der alsbald nach der Ankunft in London ein Clavier ermicthet hatte, die strenge englische Sonntagsfeier. Doch gehörte er, wie alle Blätter seines Tagebuchs erweisen, keineswegs zu den Leuten, die sich in ungewohnte Situationen und Forderungen nicht zu finden wissen — ohne Hast aber ohne Rast sehen wir ihn die reichen Eindrücke Londons in sich aufnehmen und nebenbei ein wenig nach der politischen Stimmung forschen, welche in England damals freilich mehr zu bedeuten hatte als bei uns und auf dem Continente überhaupt. Zwischen dem December 1779 und dem März 1780 findet sich in Körners Tagebüchern (die nie gebunden, sondern nur in einzelnen Lagen zu- einandergeschichtct waren) eine empfindliche Lücke. Vom 2, März an, wo Körner und Graf Schönburg Lord Beßboroughs prachtvollen Landsitz zu Roehamptvn besuchten, sind die Aufzeichnungen wieder vorhanden. Mit dem herannahenden Frühling beginnen eine Reihe von Ausflügen, und so werden die Reisenden während der eigentlichen Wintermonate jedenfalls ausschließlich in London verweilt haben. Erst am 9. März gelangen sie dazu, den Tower zu sehen, und im Gegensatz zu der großartigen Liberalität, mit welcher die Lords den Besuch ihrer Schlösser, Gemälde- und sonstiger Kunstsammlungen erleichtern, findet sich Körner durch die „Taxen" im Tower peinlich berührt. „Jede Merkwürdigkeit im Tower wird sür eine gewisse Taxe gezeigt, die meistens über die Thür geschrieben ist und wovon einige Parlamentsmitglieder Einkünfte ziehen. Auffallend ist es, daß ein König Kleinodien, Waffen und Thiere für Entrse fehen läßt!" Während der um folgenden Wochen bemüht sich Körner redlich, den industriellen Etablissements und den Jndustriecrzeug- nissen Englands das Beste abzugewinnen. Seine Bemerkungen sind verständig und treffen den Hauptpunkt; ganz gewiß ist er später in der sächsischen „Laudeöökonomic-, Mnnnfactur-und Commereicudepntativn" einer der bestuuter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/258>, abgerufen am 01.09.2024.