Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter. Vassallen ihrem Herren gegen Kaiser und Reich Kriegsdienst thun. Ausdrücklich So stellt sich das deutsche Heerwesen dar zu der Zeit, als die Lehnkricgs- Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter. Vassallen ihrem Herren gegen Kaiser und Reich Kriegsdienst thun. Ausdrücklich So stellt sich das deutsche Heerwesen dar zu der Zeit, als die Lehnkricgs- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0251" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150401"/> <fw type="header" place="top"> Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.</fw><lb/> <p xml:id="ID_812" prev="#ID_811"> Vassallen ihrem Herren gegen Kaiser und Reich Kriegsdienst thun. Ausdrücklich<lb/> bestimmen die Reichsgesetze, daß in dem Treueide, dem wminium, welches After-<lb/> vassallen ihrem Lehnsherrn leisteten, der Kaiser namentlich ausgenommen wurde<lb/> (nvmmatim «zxeixmwr). Als auf dem großen Reichstage zu Ulm (1027) Herzog<lb/> Ernst von Schwaben seinen Vassallen mit der Mahnung an ihren Treueid zu-<lb/> muthete, ihm gegen seinen Stiefvater, den Kaiser, Dienst zu leisten, da erwiederten<lb/> jene, daß sie ihm Treue gelobt, „ausgenommen gegen den, welcher sie ihm nicht<lb/> als Leibeigne sondern als freie Männer übergeben habe." In andrer Lage<lb/> befanden sich die Ministerialen. Anfangs freilich scheinen, wie aus der eben an¬<lb/> geführten Erwiederung hervorgeht, nur unfreie Dienstmannen verpflichtet gewesen<lb/> zu sein, ihrem Herren auch gegen den Kaiser zu dienen. Indessen dürfte es wohl<lb/> schon frühzeitig allgemeiner Brauch gewesen sein, daß der Ministeriell seines Herren<lb/> Leib und Familie sogar gegen den König vertheidigen durfte, ohne dadurch be¬<lb/> sonders straffällig zu werden. War doch sogar der Vassall, auch wenn ihn die<lb/> über seinen Herren ausgesprochene Reichsacht des Eides gegen ihn entband, nicht<lb/> gehalten, seinen Herren zu verrathen oder den etwa zu ihn: geflüchteten auszu-<lb/> liefern; vielmehr durfte er ihm zur Sicherheit verhelfen. Hierin liegt ein Zug<lb/> großmüthiger Rücksicht und ehrerbietiger Anerkennung der Heiligkeit des persön¬<lb/> lichen Trengelöbnisses und zugleich ein deutlicher-Beweis der Macht, mit welcher<lb/> der Vassallitätsbegriff alle andern Beziehungen des öffentlichen Lebens beherrschte,<lb/> ja zum Theil absorbirte.</p><lb/> <p xml:id="ID_813"> So stellt sich das deutsche Heerwesen dar zu der Zeit, als die Lehnkricgs-<lb/> vcrfassung ihre Höhe erreicht hatte. Wohl schien diese in der Folge sich noch<lb/> schärfer auszugestalten, noch schroffer als die alleinberechtigte Wehreinrichtuug<lb/> hinzustellen; aber in den gewaltsamen Forderungen, in den selbst grausamen<lb/> Maßregeln, in welchen jener Anspruch hervortritt, verbirgt sich bereits eine mehr<lb/> oder minder bewußte Reaction gegen neu aufkommende Mächte. Diese Mächte<lb/> aber sind: erstlich das zwar tief gesunkene, aber doch niemals ganz erloschene<lb/> Wehrwescn der Gemeinen, das sich zuweilen überraschend genug in den Thäte,:<lb/> tüchtiger Bauern als noch immer vorhanden hervorthut, und das in dem unter<lb/> Heinrich IV. besonders rasch emporgekommen«, Bürgerthume eine neue, eigen¬<lb/> artige Vertretung fand; zweitens aber das Söldnerthum, das. von Jcchr-<lb/> zch't zu Jahrzehnt an Bedeutung gewinnend, als der kräftigste Keim der kom¬<lb/> menden Neuentwicklung erscheint. Ehe es herrschend ward und die Feudalüät<lb/> überwand, brauchte es freilich „och ein halbes Jahrtausend; aber seine zersetzende<lb/> Wirkung beginnt schon in demselben Augenblicke, wo das Lehnswesen semen Höhe¬<lb/> punkt erreicht hat, und den Gährungsproecß begünstigt jene großartige Massen¬<lb/> bewegung, die in den Kreuzzügen zum Ausdruck kommt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0251]
Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.
Vassallen ihrem Herren gegen Kaiser und Reich Kriegsdienst thun. Ausdrücklich
bestimmen die Reichsgesetze, daß in dem Treueide, dem wminium, welches After-
vassallen ihrem Lehnsherrn leisteten, der Kaiser namentlich ausgenommen wurde
(nvmmatim «zxeixmwr). Als auf dem großen Reichstage zu Ulm (1027) Herzog
Ernst von Schwaben seinen Vassallen mit der Mahnung an ihren Treueid zu-
muthete, ihm gegen seinen Stiefvater, den Kaiser, Dienst zu leisten, da erwiederten
jene, daß sie ihm Treue gelobt, „ausgenommen gegen den, welcher sie ihm nicht
als Leibeigne sondern als freie Männer übergeben habe." In andrer Lage
befanden sich die Ministerialen. Anfangs freilich scheinen, wie aus der eben an¬
geführten Erwiederung hervorgeht, nur unfreie Dienstmannen verpflichtet gewesen
zu sein, ihrem Herren auch gegen den Kaiser zu dienen. Indessen dürfte es wohl
schon frühzeitig allgemeiner Brauch gewesen sein, daß der Ministeriell seines Herren
Leib und Familie sogar gegen den König vertheidigen durfte, ohne dadurch be¬
sonders straffällig zu werden. War doch sogar der Vassall, auch wenn ihn die
über seinen Herren ausgesprochene Reichsacht des Eides gegen ihn entband, nicht
gehalten, seinen Herren zu verrathen oder den etwa zu ihn: geflüchteten auszu-
liefern; vielmehr durfte er ihm zur Sicherheit verhelfen. Hierin liegt ein Zug
großmüthiger Rücksicht und ehrerbietiger Anerkennung der Heiligkeit des persön¬
lichen Trengelöbnisses und zugleich ein deutlicher-Beweis der Macht, mit welcher
der Vassallitätsbegriff alle andern Beziehungen des öffentlichen Lebens beherrschte,
ja zum Theil absorbirte.
So stellt sich das deutsche Heerwesen dar zu der Zeit, als die Lehnkricgs-
vcrfassung ihre Höhe erreicht hatte. Wohl schien diese in der Folge sich noch
schärfer auszugestalten, noch schroffer als die alleinberechtigte Wehreinrichtuug
hinzustellen; aber in den gewaltsamen Forderungen, in den selbst grausamen
Maßregeln, in welchen jener Anspruch hervortritt, verbirgt sich bereits eine mehr
oder minder bewußte Reaction gegen neu aufkommende Mächte. Diese Mächte
aber sind: erstlich das zwar tief gesunkene, aber doch niemals ganz erloschene
Wehrwescn der Gemeinen, das sich zuweilen überraschend genug in den Thäte,:
tüchtiger Bauern als noch immer vorhanden hervorthut, und das in dem unter
Heinrich IV. besonders rasch emporgekommen«, Bürgerthume eine neue, eigen¬
artige Vertretung fand; zweitens aber das Söldnerthum, das. von Jcchr-
zch't zu Jahrzehnt an Bedeutung gewinnend, als der kräftigste Keim der kom¬
menden Neuentwicklung erscheint. Ehe es herrschend ward und die Feudalüät
überwand, brauchte es freilich „och ein halbes Jahrtausend; aber seine zersetzende
Wirkung beginnt schon in demselben Augenblicke, wo das Lehnswesen semen Höhe¬
punkt erreicht hat, und den Gährungsproecß begünstigt jene großartige Massen¬
bewegung, die in den Kreuzzügen zum Ausdruck kommt.
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