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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Alfred Meißner.

Dem Helden der "Sansara" sind eine ganze Reihe Personen gegenüber- und
entgegengestellt, um die Idee des Romanes auszutiefcu und zu ergänzen. Da
giebt es alle Abstufungen: von den: flüchtigsten der Liebhaber bis zu dem Manne,
dem die Liebe das Herz gebrochen (Petrowsky), und> neben den ernsten Trägern
der Idee fehlt es nicht an rein humoristisch wirkenden Personen, dem heuchlerischen
Sinnesmcnschen Wallmerode und dem drolligen Marchese von Val Madonna.

Die Lebendigkeit und Farbcngluth der Darstellung ist so in die Augen
fallend, daß sie selbst von jenen kritischen Stimmen, die dies und das an dem
Werke auszusetzen hatten, hervorgehoben worden ist. Hebbel sagte: "Die Sansara
ist der erste deutsche Roman, bei dem die Verwahrung gegen unbefugte Uebersetzung
ins Französische und Englische uns nicht geradezu lächerlich vorgekommen." (Werke,
Bd. 12. S. 138.) Die treffende Lebenswnhrheit ist mit poetischem Schwunge ver¬
bunden, die Figuren sämmtlich in einer Stimmung und in einer Situation erfaßt,
in welcher die Kräfte über ihr alltägliches Niveau erhöht erscheinen. Und so
sollte es sein. Erst in einer geistigen Erhöhung durch Lust, Schmerz, Kampf
vermag der Dichter seine Welt poetisch zu behandeln und das Lebendige im
Lichte des Interessanten erscheinen zu lassen. Wie selten, so geht in der "Sansara"
dnrch vier Bände, ohne den Leser zu verwirren oder zu ermüden, ein Heer von
Personen. Man sieht sie in allen Phasen sich durch die verwinkeltsten Verhält¬
nisse hindurcharbeiten, und in der That, ein gutes halbes Hundert dem Leben
entnommener Gestalten muß eine ungewöhnliche Gestaltungkraft documentiren.
Dabei ist die "Sansara" kein Roman, der der Reflexion einen großen Raum
gestattet, wie man dies heutzutage so häufig findet. In einer meist dramatischen
Weise entrollt sich das Gemälde, kurz, schlagend, bündig, aber immer ausreichend.
Die Handlung des Romans selbst ist ein wahres Labhrinth von Verwicklungen,
doch selbst als Labhrinth ein Kunstwerk; das Auge des Lesers kann die ge¬
wundenen Pfade deutlich sehen, bis er endlich, wo er um den Ausgang fast
bange hinstarrt, mit einem Male zu seiner höchsten Überraschung in einer freien,
offenen Welt wieder umherblickt. Dennoch ist nicht, wie in französischen Romanen,
die Wahrheit dem Knallcffeet geopfert oder irgend ein Zug geschraubt. Jedes
einzelne Capitel wird zum Glied einer Kette, die es uns schwer macht, uns
von dem Buche zu trennen.

Auf die "Sansara" folgten vier größere Erzählungen: "Zur Ehre Gottes,"
..Sacro Catino." "Die Sirene." "Lemberger und Sohn." Es sind dies mehr
Federzeichnungen, als bis ins kleinste Detail ausgeführte Gemälde. "Zur Ehre
Gottes" erzählt eine Geschichte, die leider nicht bloß in der Phantasie des Dichters
wurzelt, die Geschichte des Nerrn Aneier von Behar?vn. eines französischen Edel¬
mannes, der in seiner Jugend ziemlich flott gelebt hat und um von den Jnsulen
um sein Vermögen gebracht wird. "Sacro Catino" spielt zur Zeit der eorsischen
Beweg.eng unter Pasquale Paoli; der Angelpunkt der Geschichte ist. daß der
Sacro Catino, das im Dome zu Genua aufbewahrte Gefäß, dem Tradition und


Alfred Meißner.

Dem Helden der „Sansara" sind eine ganze Reihe Personen gegenüber- und
entgegengestellt, um die Idee des Romanes auszutiefcu und zu ergänzen. Da
giebt es alle Abstufungen: von den: flüchtigsten der Liebhaber bis zu dem Manne,
dem die Liebe das Herz gebrochen (Petrowsky), und> neben den ernsten Trägern
der Idee fehlt es nicht an rein humoristisch wirkenden Personen, dem heuchlerischen
Sinnesmcnschen Wallmerode und dem drolligen Marchese von Val Madonna.

Die Lebendigkeit und Farbcngluth der Darstellung ist so in die Augen
fallend, daß sie selbst von jenen kritischen Stimmen, die dies und das an dem
Werke auszusetzen hatten, hervorgehoben worden ist. Hebbel sagte: „Die Sansara
ist der erste deutsche Roman, bei dem die Verwahrung gegen unbefugte Uebersetzung
ins Französische und Englische uns nicht geradezu lächerlich vorgekommen." (Werke,
Bd. 12. S. 138.) Die treffende Lebenswnhrheit ist mit poetischem Schwunge ver¬
bunden, die Figuren sämmtlich in einer Stimmung und in einer Situation erfaßt,
in welcher die Kräfte über ihr alltägliches Niveau erhöht erscheinen. Und so
sollte es sein. Erst in einer geistigen Erhöhung durch Lust, Schmerz, Kampf
vermag der Dichter seine Welt poetisch zu behandeln und das Lebendige im
Lichte des Interessanten erscheinen zu lassen. Wie selten, so geht in der „Sansara"
dnrch vier Bände, ohne den Leser zu verwirren oder zu ermüden, ein Heer von
Personen. Man sieht sie in allen Phasen sich durch die verwinkeltsten Verhält¬
nisse hindurcharbeiten, und in der That, ein gutes halbes Hundert dem Leben
entnommener Gestalten muß eine ungewöhnliche Gestaltungkraft documentiren.
Dabei ist die „Sansara" kein Roman, der der Reflexion einen großen Raum
gestattet, wie man dies heutzutage so häufig findet. In einer meist dramatischen
Weise entrollt sich das Gemälde, kurz, schlagend, bündig, aber immer ausreichend.
Die Handlung des Romans selbst ist ein wahres Labhrinth von Verwicklungen,
doch selbst als Labhrinth ein Kunstwerk; das Auge des Lesers kann die ge¬
wundenen Pfade deutlich sehen, bis er endlich, wo er um den Ausgang fast
bange hinstarrt, mit einem Male zu seiner höchsten Überraschung in einer freien,
offenen Welt wieder umherblickt. Dennoch ist nicht, wie in französischen Romanen,
die Wahrheit dem Knallcffeet geopfert oder irgend ein Zug geschraubt. Jedes
einzelne Capitel wird zum Glied einer Kette, die es uns schwer macht, uns
von dem Buche zu trennen.

Auf die „Sansara" folgten vier größere Erzählungen: „Zur Ehre Gottes,"
..Sacro Catino." „Die Sirene." „Lemberger und Sohn." Es sind dies mehr
Federzeichnungen, als bis ins kleinste Detail ausgeführte Gemälde. „Zur Ehre
Gottes" erzählt eine Geschichte, die leider nicht bloß in der Phantasie des Dichters
wurzelt, die Geschichte des Nerrn Aneier von Behar?vn. eines französischen Edel¬
mannes, der in seiner Jugend ziemlich flott gelebt hat und um von den Jnsulen
um sein Vermögen gebracht wird. „Sacro Catino" spielt zur Zeit der eorsischen
Beweg.eng unter Pasquale Paoli; der Angelpunkt der Geschichte ist. daß der
Sacro Catino, das im Dome zu Genua aufbewahrte Gefäß, dem Tradition und


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[0211] Alfred Meißner. Dem Helden der „Sansara" sind eine ganze Reihe Personen gegenüber- und entgegengestellt, um die Idee des Romanes auszutiefcu und zu ergänzen. Da giebt es alle Abstufungen: von den: flüchtigsten der Liebhaber bis zu dem Manne, dem die Liebe das Herz gebrochen (Petrowsky), und> neben den ernsten Trägern der Idee fehlt es nicht an rein humoristisch wirkenden Personen, dem heuchlerischen Sinnesmcnschen Wallmerode und dem drolligen Marchese von Val Madonna. Die Lebendigkeit und Farbcngluth der Darstellung ist so in die Augen fallend, daß sie selbst von jenen kritischen Stimmen, die dies und das an dem Werke auszusetzen hatten, hervorgehoben worden ist. Hebbel sagte: „Die Sansara ist der erste deutsche Roman, bei dem die Verwahrung gegen unbefugte Uebersetzung ins Französische und Englische uns nicht geradezu lächerlich vorgekommen." (Werke, Bd. 12. S. 138.) Die treffende Lebenswnhrheit ist mit poetischem Schwunge ver¬ bunden, die Figuren sämmtlich in einer Stimmung und in einer Situation erfaßt, in welcher die Kräfte über ihr alltägliches Niveau erhöht erscheinen. Und so sollte es sein. Erst in einer geistigen Erhöhung durch Lust, Schmerz, Kampf vermag der Dichter seine Welt poetisch zu behandeln und das Lebendige im Lichte des Interessanten erscheinen zu lassen. Wie selten, so geht in der „Sansara" dnrch vier Bände, ohne den Leser zu verwirren oder zu ermüden, ein Heer von Personen. Man sieht sie in allen Phasen sich durch die verwinkeltsten Verhält¬ nisse hindurcharbeiten, und in der That, ein gutes halbes Hundert dem Leben entnommener Gestalten muß eine ungewöhnliche Gestaltungkraft documentiren. Dabei ist die „Sansara" kein Roman, der der Reflexion einen großen Raum gestattet, wie man dies heutzutage so häufig findet. In einer meist dramatischen Weise entrollt sich das Gemälde, kurz, schlagend, bündig, aber immer ausreichend. Die Handlung des Romans selbst ist ein wahres Labhrinth von Verwicklungen, doch selbst als Labhrinth ein Kunstwerk; das Auge des Lesers kann die ge¬ wundenen Pfade deutlich sehen, bis er endlich, wo er um den Ausgang fast bange hinstarrt, mit einem Male zu seiner höchsten Überraschung in einer freien, offenen Welt wieder umherblickt. Dennoch ist nicht, wie in französischen Romanen, die Wahrheit dem Knallcffeet geopfert oder irgend ein Zug geschraubt. Jedes einzelne Capitel wird zum Glied einer Kette, die es uns schwer macht, uns von dem Buche zu trennen. Auf die „Sansara" folgten vier größere Erzählungen: „Zur Ehre Gottes," ..Sacro Catino." „Die Sirene." „Lemberger und Sohn." Es sind dies mehr Federzeichnungen, als bis ins kleinste Detail ausgeführte Gemälde. „Zur Ehre Gottes" erzählt eine Geschichte, die leider nicht bloß in der Phantasie des Dichters wurzelt, die Geschichte des Nerrn Aneier von Behar?vn. eines französischen Edel¬ mannes, der in seiner Jugend ziemlich flott gelebt hat und um von den Jnsulen um sein Vermögen gebracht wird. „Sacro Catino" spielt zur Zeit der eorsischen Beweg.eng unter Pasquale Paoli; der Angelpunkt der Geschichte ist. daß der Sacro Catino, das im Dome zu Genua aufbewahrte Gefäß, dem Tradition und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/211>, abgerufen am 01.09.2024.