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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesc" im frühen Mittelalter.

die fett- und westdeutschen Stämme ja beständig fortbewegt hatten. Dieser Fort¬
entwicklung des Leheusweseus kam es zugute, daß die Liudolfinger durchaus
uicht imstande waren, weder die Wirthschastspolitik Karls des Großen noch dessen
große staatsrechtliche Gedanken neu zu beleben und fortzuführen. Ist doch die
Zertrümmerung der karlingischen Verfassung nicht etwa nur auf äußere Anstöße
wie die Normanneneinfälle oder die Bruderkriege der Könige zurückzuführen, sondern
vorzugsweise auf das innere Widerstreben eines sich in beschränkten Kreisen con-
stituirenden Rechtsbewußtseins und einer noch ganz unausgebildeten Volkswirth¬
schaft gegen die Generalisirung ihres keimenden Lebens durch die mächtige, nivel-
lirende Centralverwaltung. Ju großen wie in kleinen Kreisen brach zunächst der
Trieb wirthschaftlicher Selbstbestimmung durch. Recht deutlich zeigt sich
das in den Aenderungen der ökonomischen Grundlagen der königlichen Haus-
haltungen selbst. An den westfränkischen und italischen Höfen wich die großartige
Natnmlwirthschaft Karls im wesentlichen der Geldwirthschaft. In Deutschland
blieb jene allerdings bestehen; aber die unaufhörliche Verschleuderung und die
schlechtere Ausnutzung des Krongutes schmälerte die Erträge, während zugleich
das Aufhören der karlingischen Controle dnrch die nüssi, das Aufhören regel¬
mäßiger Einfvrderung und gesicherter Weiterbeförderung der Erträge durch die
oawlwü sachgemäße Verwerthung und rechtzeitige Lieferung an den Königshof
unmöglich machte, sogar in dein Falle, daß die Verwalter ausnahmsweise geneigt
waren, ihrer Pflicht ehrlich nachzukommen. Unter solchen Umständen blieb nichts
übrig, mis daß der Hof die Naturalerträge der einzelnen Königsgüter an Ort
"ut Stelle verzehrte, und so zogen denn die Könige des 10. und 11. Jahr¬
hunderts von Pfalz zu Pfalz, um mit deren Einkünften und mit denen der
sorvitm der benachbarten Bisthümer und Abteien der Reihe nach die tägliche
Hofhaltung zu bestreiten. Hiermit war natürlich eine wesentliche Aenderung des
Mechanismus der Reichsverwaltung bedingt. Zu Karls Zeiten hatten jährlich
zwei große Reichstage stattgefunden, und außerdem waren am Hofe ununterbrochen
die von weither gereiften Parteien vorgetragen Streitigkeiten geschlichtet, die
von den Sendgrafen vorgeschlagnen Verwaltungsmaßregeln nach großen, einheit¬
lichen Gesichtspunkten behandelt und entschieden worden. Das war jetzt nicht
>"ehr möglich. Wohl führte das Wanderleben der Könige sie bald diesen, bald
Wen ihrer Unterthanen näher, und daraus mochten manche Einzelvortheile er¬
wachsen; aber gerade das Andringen immer neuer Sonderinteresseu hinderte den
König in der Behauptung eines universellen Standpunktes, und wenn man auch
durch die Verleihung der Haupt-Hofämter (Erzämter) an die Herzöge wenigstens
dafür sorgte, daß bei feierlichen Anlässen jeder Stamm in der Nähe des KomgS
^treten war, so reichte eine derartige Repräsentation doch nicht aus, um den
localen Einflüssen überall das Gegengewicht zu halten; ja jene Einrichtung der
Erzämter selbst war doch eigentlich eine Repräsentation der particulären Stmnmes-
Weressen. Dazu kam nun, daß die Hoftage an den einzelnen Pfalzen bei dem


Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesc» im frühen Mittelalter.

die fett- und westdeutschen Stämme ja beständig fortbewegt hatten. Dieser Fort¬
entwicklung des Leheusweseus kam es zugute, daß die Liudolfinger durchaus
uicht imstande waren, weder die Wirthschastspolitik Karls des Großen noch dessen
große staatsrechtliche Gedanken neu zu beleben und fortzuführen. Ist doch die
Zertrümmerung der karlingischen Verfassung nicht etwa nur auf äußere Anstöße
wie die Normanneneinfälle oder die Bruderkriege der Könige zurückzuführen, sondern
vorzugsweise auf das innere Widerstreben eines sich in beschränkten Kreisen con-
stituirenden Rechtsbewußtseins und einer noch ganz unausgebildeten Volkswirth¬
schaft gegen die Generalisirung ihres keimenden Lebens durch die mächtige, nivel-
lirende Centralverwaltung. Ju großen wie in kleinen Kreisen brach zunächst der
Trieb wirthschaftlicher Selbstbestimmung durch. Recht deutlich zeigt sich
das in den Aenderungen der ökonomischen Grundlagen der königlichen Haus-
haltungen selbst. An den westfränkischen und italischen Höfen wich die großartige
Natnmlwirthschaft Karls im wesentlichen der Geldwirthschaft. In Deutschland
blieb jene allerdings bestehen; aber die unaufhörliche Verschleuderung und die
schlechtere Ausnutzung des Krongutes schmälerte die Erträge, während zugleich
das Aufhören der karlingischen Controle dnrch die nüssi, das Aufhören regel¬
mäßiger Einfvrderung und gesicherter Weiterbeförderung der Erträge durch die
oawlwü sachgemäße Verwerthung und rechtzeitige Lieferung an den Königshof
unmöglich machte, sogar in dein Falle, daß die Verwalter ausnahmsweise geneigt
waren, ihrer Pflicht ehrlich nachzukommen. Unter solchen Umständen blieb nichts
übrig, mis daß der Hof die Naturalerträge der einzelnen Königsgüter an Ort
»ut Stelle verzehrte, und so zogen denn die Könige des 10. und 11. Jahr¬
hunderts von Pfalz zu Pfalz, um mit deren Einkünften und mit denen der
sorvitm der benachbarten Bisthümer und Abteien der Reihe nach die tägliche
Hofhaltung zu bestreiten. Hiermit war natürlich eine wesentliche Aenderung des
Mechanismus der Reichsverwaltung bedingt. Zu Karls Zeiten hatten jährlich
zwei große Reichstage stattgefunden, und außerdem waren am Hofe ununterbrochen
die von weither gereiften Parteien vorgetragen Streitigkeiten geschlichtet, die
von den Sendgrafen vorgeschlagnen Verwaltungsmaßregeln nach großen, einheit¬
lichen Gesichtspunkten behandelt und entschieden worden. Das war jetzt nicht
>"ehr möglich. Wohl führte das Wanderleben der Könige sie bald diesen, bald
Wen ihrer Unterthanen näher, und daraus mochten manche Einzelvortheile er¬
wachsen; aber gerade das Andringen immer neuer Sonderinteresseu hinderte den
König in der Behauptung eines universellen Standpunktes, und wenn man auch
durch die Verleihung der Haupt-Hofämter (Erzämter) an die Herzöge wenigstens
dafür sorgte, daß bei feierlichen Anlässen jeder Stamm in der Nähe des KomgS
^treten war, so reichte eine derartige Repräsentation doch nicht aus, um den
localen Einflüssen überall das Gegengewicht zu halten; ja jene Einrichtung der
Erzämter selbst war doch eigentlich eine Repräsentation der particulären Stmnmes-
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[0203] Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesc» im frühen Mittelalter. die fett- und westdeutschen Stämme ja beständig fortbewegt hatten. Dieser Fort¬ entwicklung des Leheusweseus kam es zugute, daß die Liudolfinger durchaus uicht imstande waren, weder die Wirthschastspolitik Karls des Großen noch dessen große staatsrechtliche Gedanken neu zu beleben und fortzuführen. Ist doch die Zertrümmerung der karlingischen Verfassung nicht etwa nur auf äußere Anstöße wie die Normanneneinfälle oder die Bruderkriege der Könige zurückzuführen, sondern vorzugsweise auf das innere Widerstreben eines sich in beschränkten Kreisen con- stituirenden Rechtsbewußtseins und einer noch ganz unausgebildeten Volkswirth¬ schaft gegen die Generalisirung ihres keimenden Lebens durch die mächtige, nivel- lirende Centralverwaltung. Ju großen wie in kleinen Kreisen brach zunächst der Trieb wirthschaftlicher Selbstbestimmung durch. Recht deutlich zeigt sich das in den Aenderungen der ökonomischen Grundlagen der königlichen Haus- haltungen selbst. An den westfränkischen und italischen Höfen wich die großartige Natnmlwirthschaft Karls im wesentlichen der Geldwirthschaft. In Deutschland blieb jene allerdings bestehen; aber die unaufhörliche Verschleuderung und die schlechtere Ausnutzung des Krongutes schmälerte die Erträge, während zugleich das Aufhören der karlingischen Controle dnrch die nüssi, das Aufhören regel¬ mäßiger Einfvrderung und gesicherter Weiterbeförderung der Erträge durch die oawlwü sachgemäße Verwerthung und rechtzeitige Lieferung an den Königshof unmöglich machte, sogar in dein Falle, daß die Verwalter ausnahmsweise geneigt waren, ihrer Pflicht ehrlich nachzukommen. Unter solchen Umständen blieb nichts übrig, mis daß der Hof die Naturalerträge der einzelnen Königsgüter an Ort »ut Stelle verzehrte, und so zogen denn die Könige des 10. und 11. Jahr¬ hunderts von Pfalz zu Pfalz, um mit deren Einkünften und mit denen der sorvitm der benachbarten Bisthümer und Abteien der Reihe nach die tägliche Hofhaltung zu bestreiten. Hiermit war natürlich eine wesentliche Aenderung des Mechanismus der Reichsverwaltung bedingt. Zu Karls Zeiten hatten jährlich zwei große Reichstage stattgefunden, und außerdem waren am Hofe ununterbrochen die von weither gereiften Parteien vorgetragen Streitigkeiten geschlichtet, die von den Sendgrafen vorgeschlagnen Verwaltungsmaßregeln nach großen, einheit¬ lichen Gesichtspunkten behandelt und entschieden worden. Das war jetzt nicht >"ehr möglich. Wohl führte das Wanderleben der Könige sie bald diesen, bald Wen ihrer Unterthanen näher, und daraus mochten manche Einzelvortheile er¬ wachsen; aber gerade das Andringen immer neuer Sonderinteresseu hinderte den König in der Behauptung eines universellen Standpunktes, und wenn man auch durch die Verleihung der Haupt-Hofämter (Erzämter) an die Herzöge wenigstens dafür sorgte, daß bei feierlichen Anlässen jeder Stamm in der Nähe des KomgS ^treten war, so reichte eine derartige Repräsentation doch nicht aus, um den localen Einflüssen überall das Gegengewicht zu halten; ja jene Einrichtung der Erzämter selbst war doch eigentlich eine Repräsentation der particulären Stmnmes- Weressen. Dazu kam nun, daß die Hoftage an den einzelnen Pfalzen bei dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/203>, abgerufen am 01.09.2024.