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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

sondern auf Bestellung gemalt. Und da ihm einmal das Thema gegeben war,
kann man es dem Künstler verdenken, daß er die Situation in der fruchtbarsten
Weise ausnutzte? Ueberdies stehen diese Werke in der kolossalen Bilderreihe,
welche den Namen Rubens trägt, fast vereinzelt da, während das Haschen nach
Schreckensscenen die Signatur der modernen französischen Historienmalerei ist.

Wenn man nach einer kulturgeschichtlichen Erklärung dieser Erscheinung
sucht, ist man fast geneigt, die Geschichte der letzten zehn Jahre dafür verant¬
wortlich zu machen. Die Herrschaft der Commune und die Einnahme von Paris
durch die Bersaillcr Truppen haben den Parisern soviele Greuel gebracht, daß
sich ihre Nerven vollständig gegen die Empfindung des Schrecklichen abgestumpft
haben. Wenn man liest, daß in den Maitagen 1871 Damen aus den besseren
Ständen auf Fässern und Steinhaufen um die Soldaten, welche die bei der
Brandlegung ertappten Cvmmunards erschossen, eine Corona aufmerksamer Zu¬
schauer bildeten und Beifall riefen wie im Theater, so ist es nicht weiter ver¬
wunderlich, wenn eine Dame im "Salon" sich eine halbe Stunde lang an
einer doch nur gemalten Röstung des heiligen Laurentius oder Enthauptung
Johannes des Täufers weidet.

Bei der Entdeckung von Stoffen, welche die Nerven aufregen und die
Haare sträuben machen, entwickeln die französischen Maler eine unglaubliche
Findigkeit, und wenn eine Originalität des Stoffes nicht zu erreichen ist, so
thuts die Originalität der Auffassung. Ich will zum Belege nur eine kleine
Blumenlese veranstalten. Brouillet malt die Entweihung des Grabes von
Argei, irgend eines ketzerischen Priesters, dessen schon halb verfaulter Sarg in
Gegenwart fanatischer Mönche von zwei Arbeitern wieder ans Tageslicht ge¬
fördert wird. Langle läßt einen armen Sünder vor einem Ketzergericht von
Dvminikaueru lebendig braten. Man muß zugeben, daß solche Bilder die durch
die Regiernngsorgaue vertretene Ueberzeugung von der Gefährlichkeit und Ver¬
werflichkeit der Mönchsorden aufs wirksamste unterstützen. Breban ladet uns
zum Gastmahl des Medcrkönigs Kycixraes, der die Häuptlinge der Scythe",
nachdem er sie trunken gemacht, niedermetzeln läßt, während ein anderer uns
zum Feste des wahnsinnigen Heliogabal führt, der zum Nachtisch ausgehungerte
Löwen und Tiger auf seine Gäste hetzt, die, damit ja keiner entrinne, von
Soldaten mit gezückten Schwertern umringt werden. Johannes der Täufer
wird fünf "der sechs Mal geköpft, und ebenso oft wird sein Haupt von der
Tochter der Herodias auf goldener Schüssel servirt. Nerv erscheint zwei Mal
vor dem mehr oder minder nackten Leichnam seiner Mutter Agrippina. Der
eine Maler hat die Scene so peinlich gewendet, daß man nicht anders annehmen
kann, als daß er den Tyrannen in dem Momente aufgefaßt wissen will, wie er"
in bodenlosem Cynismus das ihm von Dio Cassius in den Mund gelegte Wort
spricht: Odin F6ceo Lrt vorn x"/^ ^re^>" e^M. Wenn dann Rvnbaudy
den Urbain Grandier auf dem flammenden Holzstoß zeigt oder der Orientmaler


Der Pariser Salon.

sondern auf Bestellung gemalt. Und da ihm einmal das Thema gegeben war,
kann man es dem Künstler verdenken, daß er die Situation in der fruchtbarsten
Weise ausnutzte? Ueberdies stehen diese Werke in der kolossalen Bilderreihe,
welche den Namen Rubens trägt, fast vereinzelt da, während das Haschen nach
Schreckensscenen die Signatur der modernen französischen Historienmalerei ist.

Wenn man nach einer kulturgeschichtlichen Erklärung dieser Erscheinung
sucht, ist man fast geneigt, die Geschichte der letzten zehn Jahre dafür verant¬
wortlich zu machen. Die Herrschaft der Commune und die Einnahme von Paris
durch die Bersaillcr Truppen haben den Parisern soviele Greuel gebracht, daß
sich ihre Nerven vollständig gegen die Empfindung des Schrecklichen abgestumpft
haben. Wenn man liest, daß in den Maitagen 1871 Damen aus den besseren
Ständen auf Fässern und Steinhaufen um die Soldaten, welche die bei der
Brandlegung ertappten Cvmmunards erschossen, eine Corona aufmerksamer Zu¬
schauer bildeten und Beifall riefen wie im Theater, so ist es nicht weiter ver¬
wunderlich, wenn eine Dame im „Salon" sich eine halbe Stunde lang an
einer doch nur gemalten Röstung des heiligen Laurentius oder Enthauptung
Johannes des Täufers weidet.

Bei der Entdeckung von Stoffen, welche die Nerven aufregen und die
Haare sträuben machen, entwickeln die französischen Maler eine unglaubliche
Findigkeit, und wenn eine Originalität des Stoffes nicht zu erreichen ist, so
thuts die Originalität der Auffassung. Ich will zum Belege nur eine kleine
Blumenlese veranstalten. Brouillet malt die Entweihung des Grabes von
Argei, irgend eines ketzerischen Priesters, dessen schon halb verfaulter Sarg in
Gegenwart fanatischer Mönche von zwei Arbeitern wieder ans Tageslicht ge¬
fördert wird. Langle läßt einen armen Sünder vor einem Ketzergericht von
Dvminikaueru lebendig braten. Man muß zugeben, daß solche Bilder die durch
die Regiernngsorgaue vertretene Ueberzeugung von der Gefährlichkeit und Ver¬
werflichkeit der Mönchsorden aufs wirksamste unterstützen. Breban ladet uns
zum Gastmahl des Medcrkönigs Kycixraes, der die Häuptlinge der Scythe»,
nachdem er sie trunken gemacht, niedermetzeln läßt, während ein anderer uns
zum Feste des wahnsinnigen Heliogabal führt, der zum Nachtisch ausgehungerte
Löwen und Tiger auf seine Gäste hetzt, die, damit ja keiner entrinne, von
Soldaten mit gezückten Schwertern umringt werden. Johannes der Täufer
wird fünf »der sechs Mal geköpft, und ebenso oft wird sein Haupt von der
Tochter der Herodias auf goldener Schüssel servirt. Nerv erscheint zwei Mal
vor dem mehr oder minder nackten Leichnam seiner Mutter Agrippina. Der
eine Maler hat die Scene so peinlich gewendet, daß man nicht anders annehmen
kann, als daß er den Tyrannen in dem Momente aufgefaßt wissen will, wie er»
in bodenlosem Cynismus das ihm von Dio Cassius in den Mund gelegte Wort
spricht: Odin F6ceo Lrt vorn x«/^ ^re^>« e^M. Wenn dann Rvnbaudy
den Urbain Grandier auf dem flammenden Holzstoß zeigt oder der Orientmaler


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[0176] Der Pariser Salon. sondern auf Bestellung gemalt. Und da ihm einmal das Thema gegeben war, kann man es dem Künstler verdenken, daß er die Situation in der fruchtbarsten Weise ausnutzte? Ueberdies stehen diese Werke in der kolossalen Bilderreihe, welche den Namen Rubens trägt, fast vereinzelt da, während das Haschen nach Schreckensscenen die Signatur der modernen französischen Historienmalerei ist. Wenn man nach einer kulturgeschichtlichen Erklärung dieser Erscheinung sucht, ist man fast geneigt, die Geschichte der letzten zehn Jahre dafür verant¬ wortlich zu machen. Die Herrschaft der Commune und die Einnahme von Paris durch die Bersaillcr Truppen haben den Parisern soviele Greuel gebracht, daß sich ihre Nerven vollständig gegen die Empfindung des Schrecklichen abgestumpft haben. Wenn man liest, daß in den Maitagen 1871 Damen aus den besseren Ständen auf Fässern und Steinhaufen um die Soldaten, welche die bei der Brandlegung ertappten Cvmmunards erschossen, eine Corona aufmerksamer Zu¬ schauer bildeten und Beifall riefen wie im Theater, so ist es nicht weiter ver¬ wunderlich, wenn eine Dame im „Salon" sich eine halbe Stunde lang an einer doch nur gemalten Röstung des heiligen Laurentius oder Enthauptung Johannes des Täufers weidet. Bei der Entdeckung von Stoffen, welche die Nerven aufregen und die Haare sträuben machen, entwickeln die französischen Maler eine unglaubliche Findigkeit, und wenn eine Originalität des Stoffes nicht zu erreichen ist, so thuts die Originalität der Auffassung. Ich will zum Belege nur eine kleine Blumenlese veranstalten. Brouillet malt die Entweihung des Grabes von Argei, irgend eines ketzerischen Priesters, dessen schon halb verfaulter Sarg in Gegenwart fanatischer Mönche von zwei Arbeitern wieder ans Tageslicht ge¬ fördert wird. Langle läßt einen armen Sünder vor einem Ketzergericht von Dvminikaueru lebendig braten. Man muß zugeben, daß solche Bilder die durch die Regiernngsorgaue vertretene Ueberzeugung von der Gefährlichkeit und Ver¬ werflichkeit der Mönchsorden aufs wirksamste unterstützen. Breban ladet uns zum Gastmahl des Medcrkönigs Kycixraes, der die Häuptlinge der Scythe», nachdem er sie trunken gemacht, niedermetzeln läßt, während ein anderer uns zum Feste des wahnsinnigen Heliogabal führt, der zum Nachtisch ausgehungerte Löwen und Tiger auf seine Gäste hetzt, die, damit ja keiner entrinne, von Soldaten mit gezückten Schwertern umringt werden. Johannes der Täufer wird fünf »der sechs Mal geköpft, und ebenso oft wird sein Haupt von der Tochter der Herodias auf goldener Schüssel servirt. Nerv erscheint zwei Mal vor dem mehr oder minder nackten Leichnam seiner Mutter Agrippina. Der eine Maler hat die Scene so peinlich gewendet, daß man nicht anders annehmen kann, als daß er den Tyrannen in dem Momente aufgefaßt wissen will, wie er» in bodenlosem Cynismus das ihm von Dio Cassius in den Mund gelegte Wort spricht: Odin F6ceo Lrt vorn x«/^ ^re^>« e^M. Wenn dann Rvnbaudy den Urbain Grandier auf dem flammenden Holzstoß zeigt oder der Orientmaler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/176>, abgerufen am 01.09.2024.