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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Ver Pariser Salon,

Wenn die Situation geradezu der Entblößung widerspricht. So setzt z. B.
I. F, A, Loewe eine pythische Seherin völlig nackt auf ihren dreifüßiger Thron,
wobei er glücklicherweise dem ältern Ritus folgte, der nicht alte Weiber, sondern
schöne Jungfrauen zum Amte der Pythia berief. Sieht man aber von dieser
gänzlich nnmotivirten und, mehr noch, indecenten Situation ab, so hat man nur
helle Bewunderung für die Meisterschaft in der Behandlung des Nackten übrig,
die alle Lefebvres, Cabanels, Baudrys, Bvuguereaus, Henners weit hinter sich
läßt. Von übertriebener Magerkeit und Schlankheit wie von unschöner Fülle
und Gedrungenheit gleich weit entfernt, wetteifert dieser Körper in der Festigkeit
der Modellirung mit dem Marmor, i" der coloristischen Behandlung der Flächen
mit dem Schimmer des Silbererzes und in dem feinen Ausdruck des classisch
geschnittenen Kopfes mit der zarten Detailausbildung einer Terracottabüste. Keine
zweite nackte Figur des Salons kann sich mit dieser messen. Bei aller Werth¬
schätzung des technischen Könnens, welches sich in jedem Zuge kundgiebt, darf
man aber nicht außer Acht lassen, daß solche Bilder doch wenig mehr als die
Bedeutung einer Art Studie haben, eines Probestücks, welches ein kundiger
Virtuose ablegt, um seine Fertigkeit auf einem Instrumente nachzuweisen und
daraus seine Berechtigung zu größeren Compositionen herzuleiten, in welchen
alle Instrumente mitspielen.

Ist also die neuere Schule in allen zeichnerischen Fähigkeiten und in der
Kunst correcter Modellirung über Delacroix hinausgekommen, so spielt sie immer
noch und zwar mit einer von Jahr zu Jahr wachsenden Vorliebe auf der Saite,
die Gericault und Delacroix mit so großem Erfolge angeschlagen haben. Kein
Tadel ist scharf, kein Wort der Entrüstung ist laut genug, um diese immer
weiter um sich greifende Schreckensmalerei zu geißeln, weil sie, von Frankreich,
dem vielbewunderten Muster, ausgehend, auch unsere deutsche Kunst in ihren
unheilvollen Bann zu ziehen droht. Mau beruft sich zu ihrer Rechtfertigung
vergebens auf classische Beispiele, vergebens auf die Spanier des siebzehnten
Jahrhunderts und auf Rubens. Wenn diese mit rücksichtslosem Realismus
Märtyrerscenen darstellten, so schufen sie aus dem Geiste ihrer Zeit heraus
für die Bedürfnisse einer Kirche, die, eben wieder nach schweren Kämpfen zum
Siege gelangt, alle Mittel aufbot, um auf die Phantasie, auf die Sinne des
Volkes zu wirken. In der betäubenden und verwirrenden Pracht, mit welcher
die Restauration des Katholicismus sich umgab, durste das Blut der Märtyrer
nicht fehlen, die für eben diese Kirche gestorben waren. Daß die Moral des Volkes
unter der Darstellung solcher Martyrien leiden würde, war um so weniger zu
befürchten, als die Flammen der Scheiterhaufen noch in grauenvoller Erinnerung
waren. Man pflegt immer zum Beweise dafür, daß selbst ein Rubens an der
Schilderung von Brutalitäten Gefallen fand, die "Kreuzigung Petri" in der
Peterskirche in Köln und den "Märtyrertod des heiligen Livinus" im Museum
in Brüssel zu citiren. Rubens hat aber beide Bilder nicht aus eigenem Antriebe,


Ver Pariser Salon,

Wenn die Situation geradezu der Entblößung widerspricht. So setzt z. B.
I. F, A, Loewe eine pythische Seherin völlig nackt auf ihren dreifüßiger Thron,
wobei er glücklicherweise dem ältern Ritus folgte, der nicht alte Weiber, sondern
schöne Jungfrauen zum Amte der Pythia berief. Sieht man aber von dieser
gänzlich nnmotivirten und, mehr noch, indecenten Situation ab, so hat man nur
helle Bewunderung für die Meisterschaft in der Behandlung des Nackten übrig,
die alle Lefebvres, Cabanels, Baudrys, Bvuguereaus, Henners weit hinter sich
läßt. Von übertriebener Magerkeit und Schlankheit wie von unschöner Fülle
und Gedrungenheit gleich weit entfernt, wetteifert dieser Körper in der Festigkeit
der Modellirung mit dem Marmor, i» der coloristischen Behandlung der Flächen
mit dem Schimmer des Silbererzes und in dem feinen Ausdruck des classisch
geschnittenen Kopfes mit der zarten Detailausbildung einer Terracottabüste. Keine
zweite nackte Figur des Salons kann sich mit dieser messen. Bei aller Werth¬
schätzung des technischen Könnens, welches sich in jedem Zuge kundgiebt, darf
man aber nicht außer Acht lassen, daß solche Bilder doch wenig mehr als die
Bedeutung einer Art Studie haben, eines Probestücks, welches ein kundiger
Virtuose ablegt, um seine Fertigkeit auf einem Instrumente nachzuweisen und
daraus seine Berechtigung zu größeren Compositionen herzuleiten, in welchen
alle Instrumente mitspielen.

Ist also die neuere Schule in allen zeichnerischen Fähigkeiten und in der
Kunst correcter Modellirung über Delacroix hinausgekommen, so spielt sie immer
noch und zwar mit einer von Jahr zu Jahr wachsenden Vorliebe auf der Saite,
die Gericault und Delacroix mit so großem Erfolge angeschlagen haben. Kein
Tadel ist scharf, kein Wort der Entrüstung ist laut genug, um diese immer
weiter um sich greifende Schreckensmalerei zu geißeln, weil sie, von Frankreich,
dem vielbewunderten Muster, ausgehend, auch unsere deutsche Kunst in ihren
unheilvollen Bann zu ziehen droht. Mau beruft sich zu ihrer Rechtfertigung
vergebens auf classische Beispiele, vergebens auf die Spanier des siebzehnten
Jahrhunderts und auf Rubens. Wenn diese mit rücksichtslosem Realismus
Märtyrerscenen darstellten, so schufen sie aus dem Geiste ihrer Zeit heraus
für die Bedürfnisse einer Kirche, die, eben wieder nach schweren Kämpfen zum
Siege gelangt, alle Mittel aufbot, um auf die Phantasie, auf die Sinne des
Volkes zu wirken. In der betäubenden und verwirrenden Pracht, mit welcher
die Restauration des Katholicismus sich umgab, durste das Blut der Märtyrer
nicht fehlen, die für eben diese Kirche gestorben waren. Daß die Moral des Volkes
unter der Darstellung solcher Martyrien leiden würde, war um so weniger zu
befürchten, als die Flammen der Scheiterhaufen noch in grauenvoller Erinnerung
waren. Man pflegt immer zum Beweise dafür, daß selbst ein Rubens an der
Schilderung von Brutalitäten Gefallen fand, die „Kreuzigung Petri" in der
Peterskirche in Köln und den „Märtyrertod des heiligen Livinus" im Museum
in Brüssel zu citiren. Rubens hat aber beide Bilder nicht aus eigenem Antriebe,


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[0175] Ver Pariser Salon, Wenn die Situation geradezu der Entblößung widerspricht. So setzt z. B. I. F, A, Loewe eine pythische Seherin völlig nackt auf ihren dreifüßiger Thron, wobei er glücklicherweise dem ältern Ritus folgte, der nicht alte Weiber, sondern schöne Jungfrauen zum Amte der Pythia berief. Sieht man aber von dieser gänzlich nnmotivirten und, mehr noch, indecenten Situation ab, so hat man nur helle Bewunderung für die Meisterschaft in der Behandlung des Nackten übrig, die alle Lefebvres, Cabanels, Baudrys, Bvuguereaus, Henners weit hinter sich läßt. Von übertriebener Magerkeit und Schlankheit wie von unschöner Fülle und Gedrungenheit gleich weit entfernt, wetteifert dieser Körper in der Festigkeit der Modellirung mit dem Marmor, i» der coloristischen Behandlung der Flächen mit dem Schimmer des Silbererzes und in dem feinen Ausdruck des classisch geschnittenen Kopfes mit der zarten Detailausbildung einer Terracottabüste. Keine zweite nackte Figur des Salons kann sich mit dieser messen. Bei aller Werth¬ schätzung des technischen Könnens, welches sich in jedem Zuge kundgiebt, darf man aber nicht außer Acht lassen, daß solche Bilder doch wenig mehr als die Bedeutung einer Art Studie haben, eines Probestücks, welches ein kundiger Virtuose ablegt, um seine Fertigkeit auf einem Instrumente nachzuweisen und daraus seine Berechtigung zu größeren Compositionen herzuleiten, in welchen alle Instrumente mitspielen. Ist also die neuere Schule in allen zeichnerischen Fähigkeiten und in der Kunst correcter Modellirung über Delacroix hinausgekommen, so spielt sie immer noch und zwar mit einer von Jahr zu Jahr wachsenden Vorliebe auf der Saite, die Gericault und Delacroix mit so großem Erfolge angeschlagen haben. Kein Tadel ist scharf, kein Wort der Entrüstung ist laut genug, um diese immer weiter um sich greifende Schreckensmalerei zu geißeln, weil sie, von Frankreich, dem vielbewunderten Muster, ausgehend, auch unsere deutsche Kunst in ihren unheilvollen Bann zu ziehen droht. Mau beruft sich zu ihrer Rechtfertigung vergebens auf classische Beispiele, vergebens auf die Spanier des siebzehnten Jahrhunderts und auf Rubens. Wenn diese mit rücksichtslosem Realismus Märtyrerscenen darstellten, so schufen sie aus dem Geiste ihrer Zeit heraus für die Bedürfnisse einer Kirche, die, eben wieder nach schweren Kämpfen zum Siege gelangt, alle Mittel aufbot, um auf die Phantasie, auf die Sinne des Volkes zu wirken. In der betäubenden und verwirrenden Pracht, mit welcher die Restauration des Katholicismus sich umgab, durste das Blut der Märtyrer nicht fehlen, die für eben diese Kirche gestorben waren. Daß die Moral des Volkes unter der Darstellung solcher Martyrien leiden würde, war um so weniger zu befürchten, als die Flammen der Scheiterhaufen noch in grauenvoller Erinnerung waren. Man pflegt immer zum Beweise dafür, daß selbst ein Rubens an der Schilderung von Brutalitäten Gefallen fand, die „Kreuzigung Petri" in der Peterskirche in Köln und den „Märtyrertod des heiligen Livinus" im Museum in Brüssel zu citiren. Rubens hat aber beide Bilder nicht aus eigenem Antriebe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/175>, abgerufen am 01.09.2024.