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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Alfred Meißner.

spielte die Rolle des Glendower vortrefflich, der Dichter wurde unzählige Mille
gerufen. Der Erfolg hielt sich, viele Bühnen brachten das Stück unmittelbar
darauf mit großer Wirkung. Um so unglücklicher war Meißner damit in Wien.
Das Publicum, das bis zum vierten Acte das Stück mit immer steigendem
Beifalle begleitete, ließ den fünften Act und damit das Drama fallen. Es ver¬
schwand in Wien nach fünf Aufführungen von der Bühne.

Aber noch immer stand in Meißner die Absicht fest, sich den Weg zur Bühne
zu erkämpfen. Um dies zu ermöglichen, wollte er einen Stoff wählen, der nach
keiner politischen Seite hin Anstoß erregen konnte und doch dazu angethan war,
das Nervengeflecht der Politik in einer großen Staatsaction deutlich aufzuweisen.
Er glaubte einen solchen dort gefunden zu haben, wo Shakespeare von Heinrich VI.
auf Heinrich VIII. überspringend eine Lücke läßt, und schrieb den "Prätendenten
von Jork." Dieser Stoff ist von großem Interesse und wurde auch bereits von
andern Dichtern dramatisch behandelt. So besitzen wir einen Entwurf Schillers
(später durch den ähnlichen Stoff des "Demetrius" abgelöst) und ein Drama
John Forts, eines der bedeutendsten Nachfolger Shakespeares. Fort schrieb
mehrere wirkungsvolle Dramen (Ms vilen ok Dämonton, "I is xit^ sol's Ä
vliors, lus broksn Irsg-re, ?"zilcin Warbsol!) die sich durch eine majestätische
Sprache, schwungvolles Pathos auszeichnen, aber deren Werth durch das Trachten
nach Absonderlichkeiten vermindert wird. Professor Schippen (Wien), ein aus¬
gezeichneter Kenner der englischen Literatur, sagt, daß Forts "Perkin Warbeck,"
Marlowes "Eduard II." und der "Eduard III." eines unbekannten Dichters
die einzigen englischen Stücke seien, die sich den Shakespeareschen großen histo¬
rischen Dramen würdig zur Seite stellen könnten.

Fort bringt in seinem Drama eine ungemeine Wirkung dadurch hervor,
daß der Zuschauer nicht sicher weiß, ob Perkin Warbeck sich als Betrüger fühlt
oder für den echten Prätendenten hält. Meißner steigert die Spannung noch
dadurch, daß der Prinz, der sich bis zum dritten Acte für den wahren Dort
hält, durch die Enthüllungen des alten Warbeck erfährt, daß er wohl der Sohn
des Königs, aber nicht der Sohn der Königin sei. So ist er wohl ein Jorl,
aber doch nicht der echte Jork, und in den sich nun entwickelnden Seelenkämpfen
geht der Held unter.

Mittlerweile --- es war Mitte Januar 1855 -- hatte H. Heine eine neue
französische Ausgabe seines Buches "Ueber Deutschland" herausgegeben. Er
versah sie mit einer Vorrede, in welcher er Chamissos, Rückerts, Anastasius Grüns
und Freiligraths gedachte, kam dabei auch auf das deutsche Theater der Gegen¬
wart zu sprechen und that dies in folgenden merkwürdigen Zeilen: "Das deutsche
Theater der Gegenwart besitzt zwei Dichter von seltensten Verdienste in der
Person meiner Freunde Friedr. Hebbel, Verfasser der .Judith', und Alfred Meißner,
Verfasser der Tragödie ,Das Weib des Urias.' Der erstere ist ein Geistes¬
verwandter Kleists und Grabbes, und ein banaler Kritiker vermöchte nicht sein


Alfred Meißner.

spielte die Rolle des Glendower vortrefflich, der Dichter wurde unzählige Mille
gerufen. Der Erfolg hielt sich, viele Bühnen brachten das Stück unmittelbar
darauf mit großer Wirkung. Um so unglücklicher war Meißner damit in Wien.
Das Publicum, das bis zum vierten Acte das Stück mit immer steigendem
Beifalle begleitete, ließ den fünften Act und damit das Drama fallen. Es ver¬
schwand in Wien nach fünf Aufführungen von der Bühne.

Aber noch immer stand in Meißner die Absicht fest, sich den Weg zur Bühne
zu erkämpfen. Um dies zu ermöglichen, wollte er einen Stoff wählen, der nach
keiner politischen Seite hin Anstoß erregen konnte und doch dazu angethan war,
das Nervengeflecht der Politik in einer großen Staatsaction deutlich aufzuweisen.
Er glaubte einen solchen dort gefunden zu haben, wo Shakespeare von Heinrich VI.
auf Heinrich VIII. überspringend eine Lücke läßt, und schrieb den „Prätendenten
von Jork." Dieser Stoff ist von großem Interesse und wurde auch bereits von
andern Dichtern dramatisch behandelt. So besitzen wir einen Entwurf Schillers
(später durch den ähnlichen Stoff des „Demetrius" abgelöst) und ein Drama
John Forts, eines der bedeutendsten Nachfolger Shakespeares. Fort schrieb
mehrere wirkungsvolle Dramen (Ms vilen ok Dämonton, "I is xit^ sol's Ä
vliors, lus broksn Irsg-re, ?«zilcin Warbsol!) die sich durch eine majestätische
Sprache, schwungvolles Pathos auszeichnen, aber deren Werth durch das Trachten
nach Absonderlichkeiten vermindert wird. Professor Schippen (Wien), ein aus¬
gezeichneter Kenner der englischen Literatur, sagt, daß Forts „Perkin Warbeck,"
Marlowes „Eduard II." und der „Eduard III." eines unbekannten Dichters
die einzigen englischen Stücke seien, die sich den Shakespeareschen großen histo¬
rischen Dramen würdig zur Seite stellen könnten.

Fort bringt in seinem Drama eine ungemeine Wirkung dadurch hervor,
daß der Zuschauer nicht sicher weiß, ob Perkin Warbeck sich als Betrüger fühlt
oder für den echten Prätendenten hält. Meißner steigert die Spannung noch
dadurch, daß der Prinz, der sich bis zum dritten Acte für den wahren Dort
hält, durch die Enthüllungen des alten Warbeck erfährt, daß er wohl der Sohn
des Königs, aber nicht der Sohn der Königin sei. So ist er wohl ein Jorl,
aber doch nicht der echte Jork, und in den sich nun entwickelnden Seelenkämpfen
geht der Held unter.

Mittlerweile -— es war Mitte Januar 1855 — hatte H. Heine eine neue
französische Ausgabe seines Buches „Ueber Deutschland" herausgegeben. Er
versah sie mit einer Vorrede, in welcher er Chamissos, Rückerts, Anastasius Grüns
und Freiligraths gedachte, kam dabei auch auf das deutsche Theater der Gegen¬
wart zu sprechen und that dies in folgenden merkwürdigen Zeilen: „Das deutsche
Theater der Gegenwart besitzt zwei Dichter von seltensten Verdienste in der
Person meiner Freunde Friedr. Hebbel, Verfasser der .Judith', und Alfred Meißner,
Verfasser der Tragödie ,Das Weib des Urias.' Der erstere ist ein Geistes¬
verwandter Kleists und Grabbes, und ein banaler Kritiker vermöchte nicht sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/170>, abgerufen am 01.09.2024.