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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Gambetta und kein Lüde.

besitzt er, auch jetzt, nach seiner Niederlage noch, und er wird sie sich, wenn
nicht alles täuscht, mit dein Apparat, den er sich geschaffen, bei seinen Lands-
leuten, die nun einmal in ihrer Mehrzahl auf Schein, Phrase und Pose viel
geben, zu bewahren wissen. Er wird auch ohne das Listenserntinium seinen bis¬
herigen Weg fortsetzen können; denn Frankreich neigt nun einmal der Dictatur
zu, es muß einen Herrn haben, und das, was man öffentliche Meinung nennt,
hat sich Gambetta dazu erlesen, natürlich nicht mit dein Bewußtsein, daß es sich in
ihm einen Gebieter zu geben im Begriffe steht, darum aber uicht weniger ent¬
schieden. Die gegenwärtigen Vorgänge in Frankreich sind darum so lehrreich,
weil sie erkennen lassen, daß die Alleinherrschaft sich auch mit der republika¬
nischen Staatsform verträgt. Selbst in England war dies unter Cromwell der
Fall, wie viel mehr ist es in Frankreich möglich! Man darf annehme", daß
Gambetta es ganz ernsthaft meinte, als er die Zöglinge des Lhceums in Cahors
pathetisch zum Schwur auf die Republik aufforderte. Er will sie gewiß nicht
stürzen. Wie sollte er auch? Er dankt ihr ja, daß er aus einen: kleinen Advo-
caten und Kammervppositionsmann ein Großer in Israel geworden ist, ein
Mann, aus den aller Augen blicken, der eine noch glänzendere Zukunft vor sich
offen sieht. Er wird die Republik nicht umstoßen, wohl aber wird er sie sich
handlicher machen, sie sich mit Hilfe seiner Freunde mehr auf den Leib zuschneiden,
die Wahlen, den Senat und andres nicht Bequeme umgestalten, was die jetzige
Verfassung enthält, und er wird das auf ganz gesetzmüßigem Wege fertig bringen
und dann vermuthlich die Periode hindurch, welche in Frankreich eine neue
Staatsform zu dauern pflegt, d. h. achtzehn bis neunzehn Jahre, ziemlich un¬
angefochten als Präsident herrschen. Wir Werdens ihm und den Franzosen gönnen.
Nur muß er dabei mit uns und den uns befreundeten Nachbarn Frieden halten,
und wir glauben, er wird auch das können. Denn auch darin zeigt er seine
Gewalt über die Gemüther, daß er sie nach Belieben aufregen und beschwichtigen
kann, daß er mit gleicher Virtuosität die Kriegsposaune und die Fricdeusschalmei
zu blasen versteht. Die Friedensrede in Cahors ist zweifelsohne mit derselben
Begeisterung aufgenommen worden wie vor einigen Jahren die Phrasen von
den nationalen Hoffnungen und von der Gerechtigkeit der Geschichte.

Uebrigens glauben wir, daß jene Rede ungefähr ebenso ernstgemeint war
wie sein republikanisches Credo. Mau schreibt ihm die Absicht zu, den Fran¬
zosen die ersehnte Rache an Deutschland zu verschaffen, und wir nehmen das
selbst an, aber gewiß denkt er nicht daran, jetzt schon mit dem Kriegsfcuer zu
spielen; denn er ist zu praktisch, um nicht zu wissen, daß er sich dabei dreifach
die Finger verbrennen würde. Dreifach; denn die ungeheure Mehrzahl der Fran¬
zosen will Frieden, wenn ferner Frankreich das Wort Krieg nur flüsterte, wäre
es in Europa augenblicklich gänzlich isolirt, drittens endlich hat man sich neuer¬
dings in Italien einen erbitterten Gegner geschaffen, der gewiß uicht verfehle"
würde, bei solcher Gelegenheit Revanche für Tunis zu nehmen.


Grenzboten III. 1S31. 2
Gambetta und kein Lüde.

besitzt er, auch jetzt, nach seiner Niederlage noch, und er wird sie sich, wenn
nicht alles täuscht, mit dein Apparat, den er sich geschaffen, bei seinen Lands-
leuten, die nun einmal in ihrer Mehrzahl auf Schein, Phrase und Pose viel
geben, zu bewahren wissen. Er wird auch ohne das Listenserntinium seinen bis¬
herigen Weg fortsetzen können; denn Frankreich neigt nun einmal der Dictatur
zu, es muß einen Herrn haben, und das, was man öffentliche Meinung nennt,
hat sich Gambetta dazu erlesen, natürlich nicht mit dein Bewußtsein, daß es sich in
ihm einen Gebieter zu geben im Begriffe steht, darum aber uicht weniger ent¬
schieden. Die gegenwärtigen Vorgänge in Frankreich sind darum so lehrreich,
weil sie erkennen lassen, daß die Alleinherrschaft sich auch mit der republika¬
nischen Staatsform verträgt. Selbst in England war dies unter Cromwell der
Fall, wie viel mehr ist es in Frankreich möglich! Man darf annehme», daß
Gambetta es ganz ernsthaft meinte, als er die Zöglinge des Lhceums in Cahors
pathetisch zum Schwur auf die Republik aufforderte. Er will sie gewiß nicht
stürzen. Wie sollte er auch? Er dankt ihr ja, daß er aus einen: kleinen Advo-
caten und Kammervppositionsmann ein Großer in Israel geworden ist, ein
Mann, aus den aller Augen blicken, der eine noch glänzendere Zukunft vor sich
offen sieht. Er wird die Republik nicht umstoßen, wohl aber wird er sie sich
handlicher machen, sie sich mit Hilfe seiner Freunde mehr auf den Leib zuschneiden,
die Wahlen, den Senat und andres nicht Bequeme umgestalten, was die jetzige
Verfassung enthält, und er wird das auf ganz gesetzmüßigem Wege fertig bringen
und dann vermuthlich die Periode hindurch, welche in Frankreich eine neue
Staatsform zu dauern pflegt, d. h. achtzehn bis neunzehn Jahre, ziemlich un¬
angefochten als Präsident herrschen. Wir Werdens ihm und den Franzosen gönnen.
Nur muß er dabei mit uns und den uns befreundeten Nachbarn Frieden halten,
und wir glauben, er wird auch das können. Denn auch darin zeigt er seine
Gewalt über die Gemüther, daß er sie nach Belieben aufregen und beschwichtigen
kann, daß er mit gleicher Virtuosität die Kriegsposaune und die Fricdeusschalmei
zu blasen versteht. Die Friedensrede in Cahors ist zweifelsohne mit derselben
Begeisterung aufgenommen worden wie vor einigen Jahren die Phrasen von
den nationalen Hoffnungen und von der Gerechtigkeit der Geschichte.

Uebrigens glauben wir, daß jene Rede ungefähr ebenso ernstgemeint war
wie sein republikanisches Credo. Mau schreibt ihm die Absicht zu, den Fran¬
zosen die ersehnte Rache an Deutschland zu verschaffen, und wir nehmen das
selbst an, aber gewiß denkt er nicht daran, jetzt schon mit dem Kriegsfcuer zu
spielen; denn er ist zu praktisch, um nicht zu wissen, daß er sich dabei dreifach
die Finger verbrennen würde. Dreifach; denn die ungeheure Mehrzahl der Fran¬
zosen will Frieden, wenn ferner Frankreich das Wort Krieg nur flüsterte, wäre
es in Europa augenblicklich gänzlich isolirt, drittens endlich hat man sich neuer¬
dings in Italien einen erbitterten Gegner geschaffen, der gewiß uicht verfehle»
würde, bei solcher Gelegenheit Revanche für Tunis zu nehmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/17>, abgerufen am 25.11.2024.