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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Alfred Meißner.

denken, der Welt Lyrik zu bieten, und so unternahm er es, die Welt, so wie er
sie eben sah, mit ruhig überschauendem Auge zu schildern.

Früher beabsichtigte dramatische Stoffe wurden hervorgeholt, doch der Zufall
wollte, daß Meißner einen Stoff ergriff, dem er bisher ziemlich fremd gegen¬
über gestanden. Bei traurigem Wetter um die Küste Schottlands, Sumer Mutter
Geburtsland, schiffend, fand er in der Kajüte ein Buch, das er lange nicht in
den Händen gehabt, das alte Testament, von einer Bibelgesellschaft dahin ge¬
stiftet. Aber die Bibel war für Meißner kein heiliges Buch, sondern eine Kultur¬
geschichte, die in einem grotesken, bunten Durcheinander gleichsam wie in einem
Spiegel die Wandlungen des kleinen, scharf ausgeprägten, zu allen übrigen Na¬
tionen im Gegensatz stehenden jüdischen Volkes reflectirte. Meißner schlug die
Geschichte von König David auf und las sie voll Interesse. In dem Hotel der
Hafenstadt, in der er übernachtete, fand er wieder die Bibel auf seinem Nacht¬
tische. Er las weiter. Die Geschichte von David und dem Weibe des Urias
hatte seine Phantasie gepackt; je mehr er sich in sie vertiefte, desto mehr war
er gefesselt; die Phantasie begann ihr Werk des Baues, und als er von seiner
Reise heimkam, stand das Drama fertig vor seinein Geiste. Meißner gab sich
keinen Illusionen hin, daß das Stück, wenn es niedergeschrieben, etwa aufgeführt
werden könne. Wir ertragen das alte Testament nur zwischen unsern vier Wänden.
Ein Stück, vollends in welchem geschlechtliche Momente eine solche Bedeutung
haben, ist nicht für unsre Scene.

Es handelt sich in dem "Weibe des Urias" um ein Liebesverhältniß, das
im Anfange von Seite des Mannes beinahe nur auf der Stufe heimliche"
Genusses steht und dessen besondrer Charakter hier ein widerrechtlicher, unsitt¬
licher, ehebrecherischer ist. Was den Mann betrifft, so hat man es zunächst
nur mit ihm als Mann zu thun, der in seiner Leidenschaft entschlossen ist, sich
die Geliebte mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft eines ungewöhnlich starken
Willens und einer vollständigen Rücksichtslosigkeit in der Wahl der Mittel zu
sichern. Der Liebeshandel, der ursprünglich eine der Politik fernstehende, gleich¬
sam eine Privatangelegenhcit ist, wird durch die öffentliche Stellung des Maunes
in eine Sphäre gezogen, wo er zur Zeit des Strittigwerdens das Mißverhältnis
das vielleicht etwas großartiges hat, hervorbringt: der Herrscher muß als Herrscher
das vertheidigen, was er als Liebhaber vertheidigen soll. Das Gattcnrecht des
Urias dagegen wird von dein Ausdrucke der sittlichen Staatsordnung in Israel,
dem Priesterthum, im Hintergrunde gewahrt.

David weiß, daß das Priesterthum die Entdeckung des Ehebruchs nicht
allein von gesetzlicher, sondern auch von politischer Seite auffassen und das Ver¬
gehen zu einem Siege der Hierarchie ausnützen werde. Er ergreift das rück¬
sichtslose Mittel, den Gatten zu opfern. Aber über ihn siegt die unvorher¬
gesehene Fügung, daß sich die Schuld, statt zu verschwinden, verdoppelt hat.
Das Gerücht stellt sich ihm als eine unbekämpfbare Macht gegenüber, das Volk


Alfred Meißner.

denken, der Welt Lyrik zu bieten, und so unternahm er es, die Welt, so wie er
sie eben sah, mit ruhig überschauendem Auge zu schildern.

Früher beabsichtigte dramatische Stoffe wurden hervorgeholt, doch der Zufall
wollte, daß Meißner einen Stoff ergriff, dem er bisher ziemlich fremd gegen¬
über gestanden. Bei traurigem Wetter um die Küste Schottlands, Sumer Mutter
Geburtsland, schiffend, fand er in der Kajüte ein Buch, das er lange nicht in
den Händen gehabt, das alte Testament, von einer Bibelgesellschaft dahin ge¬
stiftet. Aber die Bibel war für Meißner kein heiliges Buch, sondern eine Kultur¬
geschichte, die in einem grotesken, bunten Durcheinander gleichsam wie in einem
Spiegel die Wandlungen des kleinen, scharf ausgeprägten, zu allen übrigen Na¬
tionen im Gegensatz stehenden jüdischen Volkes reflectirte. Meißner schlug die
Geschichte von König David auf und las sie voll Interesse. In dem Hotel der
Hafenstadt, in der er übernachtete, fand er wieder die Bibel auf seinem Nacht¬
tische. Er las weiter. Die Geschichte von David und dem Weibe des Urias
hatte seine Phantasie gepackt; je mehr er sich in sie vertiefte, desto mehr war
er gefesselt; die Phantasie begann ihr Werk des Baues, und als er von seiner
Reise heimkam, stand das Drama fertig vor seinein Geiste. Meißner gab sich
keinen Illusionen hin, daß das Stück, wenn es niedergeschrieben, etwa aufgeführt
werden könne. Wir ertragen das alte Testament nur zwischen unsern vier Wänden.
Ein Stück, vollends in welchem geschlechtliche Momente eine solche Bedeutung
haben, ist nicht für unsre Scene.

Es handelt sich in dem „Weibe des Urias" um ein Liebesverhältniß, das
im Anfange von Seite des Mannes beinahe nur auf der Stufe heimliche»
Genusses steht und dessen besondrer Charakter hier ein widerrechtlicher, unsitt¬
licher, ehebrecherischer ist. Was den Mann betrifft, so hat man es zunächst
nur mit ihm als Mann zu thun, der in seiner Leidenschaft entschlossen ist, sich
die Geliebte mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft eines ungewöhnlich starken
Willens und einer vollständigen Rücksichtslosigkeit in der Wahl der Mittel zu
sichern. Der Liebeshandel, der ursprünglich eine der Politik fernstehende, gleich¬
sam eine Privatangelegenhcit ist, wird durch die öffentliche Stellung des Maunes
in eine Sphäre gezogen, wo er zur Zeit des Strittigwerdens das Mißverhältnis
das vielleicht etwas großartiges hat, hervorbringt: der Herrscher muß als Herrscher
das vertheidigen, was er als Liebhaber vertheidigen soll. Das Gattcnrecht des
Urias dagegen wird von dein Ausdrucke der sittlichen Staatsordnung in Israel,
dem Priesterthum, im Hintergrunde gewahrt.

David weiß, daß das Priesterthum die Entdeckung des Ehebruchs nicht
allein von gesetzlicher, sondern auch von politischer Seite auffassen und das Ver¬
gehen zu einem Siege der Hierarchie ausnützen werde. Er ergreift das rück¬
sichtslose Mittel, den Gatten zu opfern. Aber über ihn siegt die unvorher¬
gesehene Fügung, daß sich die Schuld, statt zu verschwinden, verdoppelt hat.
Das Gerücht stellt sich ihm als eine unbekämpfbare Macht gegenüber, das Volk


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[0168] Alfred Meißner. denken, der Welt Lyrik zu bieten, und so unternahm er es, die Welt, so wie er sie eben sah, mit ruhig überschauendem Auge zu schildern. Früher beabsichtigte dramatische Stoffe wurden hervorgeholt, doch der Zufall wollte, daß Meißner einen Stoff ergriff, dem er bisher ziemlich fremd gegen¬ über gestanden. Bei traurigem Wetter um die Küste Schottlands, Sumer Mutter Geburtsland, schiffend, fand er in der Kajüte ein Buch, das er lange nicht in den Händen gehabt, das alte Testament, von einer Bibelgesellschaft dahin ge¬ stiftet. Aber die Bibel war für Meißner kein heiliges Buch, sondern eine Kultur¬ geschichte, die in einem grotesken, bunten Durcheinander gleichsam wie in einem Spiegel die Wandlungen des kleinen, scharf ausgeprägten, zu allen übrigen Na¬ tionen im Gegensatz stehenden jüdischen Volkes reflectirte. Meißner schlug die Geschichte von König David auf und las sie voll Interesse. In dem Hotel der Hafenstadt, in der er übernachtete, fand er wieder die Bibel auf seinem Nacht¬ tische. Er las weiter. Die Geschichte von David und dem Weibe des Urias hatte seine Phantasie gepackt; je mehr er sich in sie vertiefte, desto mehr war er gefesselt; die Phantasie begann ihr Werk des Baues, und als er von seiner Reise heimkam, stand das Drama fertig vor seinein Geiste. Meißner gab sich keinen Illusionen hin, daß das Stück, wenn es niedergeschrieben, etwa aufgeführt werden könne. Wir ertragen das alte Testament nur zwischen unsern vier Wänden. Ein Stück, vollends in welchem geschlechtliche Momente eine solche Bedeutung haben, ist nicht für unsre Scene. Es handelt sich in dem „Weibe des Urias" um ein Liebesverhältniß, das im Anfange von Seite des Mannes beinahe nur auf der Stufe heimliche» Genusses steht und dessen besondrer Charakter hier ein widerrechtlicher, unsitt¬ licher, ehebrecherischer ist. Was den Mann betrifft, so hat man es zunächst nur mit ihm als Mann zu thun, der in seiner Leidenschaft entschlossen ist, sich die Geliebte mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft eines ungewöhnlich starken Willens und einer vollständigen Rücksichtslosigkeit in der Wahl der Mittel zu sichern. Der Liebeshandel, der ursprünglich eine der Politik fernstehende, gleich¬ sam eine Privatangelegenhcit ist, wird durch die öffentliche Stellung des Maunes in eine Sphäre gezogen, wo er zur Zeit des Strittigwerdens das Mißverhältnis das vielleicht etwas großartiges hat, hervorbringt: der Herrscher muß als Herrscher das vertheidigen, was er als Liebhaber vertheidigen soll. Das Gattcnrecht des Urias dagegen wird von dein Ausdrucke der sittlichen Staatsordnung in Israel, dem Priesterthum, im Hintergrunde gewahrt. David weiß, daß das Priesterthum die Entdeckung des Ehebruchs nicht allein von gesetzlicher, sondern auch von politischer Seite auffassen und das Ver¬ gehen zu einem Siege der Hierarchie ausnützen werde. Er ergreift das rück¬ sichtslose Mittel, den Gatten zu opfern. Aber über ihn siegt die unvorher¬ gesehene Fügung, daß sich die Schuld, statt zu verschwinden, verdoppelt hat. Das Gerücht stellt sich ihm als eine unbekämpfbare Macht gegenüber, das Volk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/168>, abgerufen am 01.09.2024.