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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Sommermärchen.

sichtig kam er herangeschlichen, so vorsichtig, daß nicht einmal die dürren Blätter
unter seinen Tritten raschelten. Aber so leise er auch cmftrcit, das scharfe Ohr des
Mädchens vernahm sein Kommen doch. Sie wandte den Kopf nach ihm, und die
Buche dachte: "Jetzt wird sie flüchten." Aber die Dirne floh nicht, sie sprang vielmehr
dem Burschen entgegen und schlang ihre Arme um seinen braunen Hals.

"Mein Hans! -- Meine Eva!" riefen sie gleichzeitig. Dann küßten sie sich
nach Herzenslust, nannten sich wieder bei ihren Namen und herzten sich von neuem,
und die Buche fand das sehr langweilig. Später saßen sie nnter dem Baume nieder
und sprachen von ihrer Liebe. Es war eine Geschichte, die jeder von uns kennt,
aber der Buche war sie nen, und sie horchte wie ein Kind, dem man ein Märchen
erzählt. Es kam aber noch eine besondre Ucbermschnng. Der Bursch erhob sich
vom Boden, zog sein Messer und begann in die Rinde des Stammes Einschnitte
zu machen. Es that zwar etwas weh, aber der Baum hielt still wie eine Mauer.
"Was soll das werden?" fragte das Mädchen. "Ein Herz mit deinem Namen
und meinem," antwortete Hans und schnitt weiter. Als das Werk fertig war, be¬
trachteten es beide wohlgefällig, und der Buche war es zu Muthe wie einem, dem
der König eine goldne Gnadenkette umgehängt hat. "Die Menschen sind doch
Prächtige Leute!" dachte sie.

Jetzt hob der Bursch zu singen an. Die Lieder der Finken und der Amseln
konnte die Buche längst auswendig; nun bekam sie etwas zu hören, das klang ganz
verschieden von Vogelgesang. Das Lied lautete aber so:


Ich schritt durchs Waldgehege
Auf uubctretnem Wege.
Die Mailuft kochte mild.
Ich lies; die Hirschlein grase"
Und springen Reh' und Hasen.
Mich lockt' ein seltnes Edelwild.
Nicht braucht' ich laug zu suchen.
An einer grünen Buchen
Fand ich mein Liebchen stehn.
Sie thät mich fest anfangen,
Ich kühn' ihr Mund und Wangen,
Und um den Jäger wars geschehn.
Ein Herze will ich schneiden
Mit unsern Namen beiden
Dem Baum ins Rindenkleid.
Das soll in späten Tagen
Dem Wandrer Kunde sagen
Von mein' und deiner Seligkeit.

"Höre, Hans!" sprach das Mädchen, als der Bursch geendigt hatte. "Dein
Lied gemahnt mich an etwas. Ich weiß--die Leute Sägers, daß dn im Herbst
heimlich in den Forsten dem Wilde nachgehst. Laß das Jagen sein! Der Jäger
ist dir ohnehin nicht grün--du weißt warum. Und trifft er dich als Wilderer
im Wald -- -- dann--Herrgott, mein Hans, wenn sie dich einst getragen
brächten mit dnrchschossncr Brust---"

Der Bursch beugte sich nieder zu der Dirne, die sich schmeichelnd an seine
Schulter lehnte und küßte sie ans den Mund. "Die Leute reden vieles. Glaube
uicht alles, was die Leute sagen, mein liebes Hcrzgespiel!" Dann schlang er seinen
Arm um ihren Leib und schritt singend mit ihr in den Wald hinein.

Als das Paar hinter den Bäumen verschwunden war, tauchte aus deu Büschen
ein Mann im Jagdgewande, die Kugelbüchse auf dem Rücken, das Waidmesser an


Grenzboten III. 1331. ^
Sommermärchen.

sichtig kam er herangeschlichen, so vorsichtig, daß nicht einmal die dürren Blätter
unter seinen Tritten raschelten. Aber so leise er auch cmftrcit, das scharfe Ohr des
Mädchens vernahm sein Kommen doch. Sie wandte den Kopf nach ihm, und die
Buche dachte: „Jetzt wird sie flüchten." Aber die Dirne floh nicht, sie sprang vielmehr
dem Burschen entgegen und schlang ihre Arme um seinen braunen Hals.

„Mein Hans! — Meine Eva!" riefen sie gleichzeitig. Dann küßten sie sich
nach Herzenslust, nannten sich wieder bei ihren Namen und herzten sich von neuem,
und die Buche fand das sehr langweilig. Später saßen sie nnter dem Baume nieder
und sprachen von ihrer Liebe. Es war eine Geschichte, die jeder von uns kennt,
aber der Buche war sie nen, und sie horchte wie ein Kind, dem man ein Märchen
erzählt. Es kam aber noch eine besondre Ucbermschnng. Der Bursch erhob sich
vom Boden, zog sein Messer und begann in die Rinde des Stammes Einschnitte
zu machen. Es that zwar etwas weh, aber der Baum hielt still wie eine Mauer.
„Was soll das werden?" fragte das Mädchen. „Ein Herz mit deinem Namen
und meinem," antwortete Hans und schnitt weiter. Als das Werk fertig war, be¬
trachteten es beide wohlgefällig, und der Buche war es zu Muthe wie einem, dem
der König eine goldne Gnadenkette umgehängt hat. „Die Menschen sind doch
Prächtige Leute!" dachte sie.

Jetzt hob der Bursch zu singen an. Die Lieder der Finken und der Amseln
konnte die Buche längst auswendig; nun bekam sie etwas zu hören, das klang ganz
verschieden von Vogelgesang. Das Lied lautete aber so:


Ich schritt durchs Waldgehege
Auf uubctretnem Wege.
Die Mailuft kochte mild.
Ich lies; die Hirschlein grase»
Und springen Reh' und Hasen.
Mich lockt' ein seltnes Edelwild.
Nicht braucht' ich laug zu suchen.
An einer grünen Buchen
Fand ich mein Liebchen stehn.
Sie thät mich fest anfangen,
Ich kühn' ihr Mund und Wangen,
Und um den Jäger wars geschehn.
Ein Herze will ich schneiden
Mit unsern Namen beiden
Dem Baum ins Rindenkleid.
Das soll in späten Tagen
Dem Wandrer Kunde sagen
Von mein' und deiner Seligkeit.

„Höre, Hans!" sprach das Mädchen, als der Bursch geendigt hatte. „Dein
Lied gemahnt mich an etwas. Ich weiß--die Leute Sägers, daß dn im Herbst
heimlich in den Forsten dem Wilde nachgehst. Laß das Jagen sein! Der Jäger
ist dir ohnehin nicht grün--du weißt warum. Und trifft er dich als Wilderer
im Wald — — dann--Herrgott, mein Hans, wenn sie dich einst getragen
brächten mit dnrchschossncr Brust---"

Der Bursch beugte sich nieder zu der Dirne, die sich schmeichelnd an seine
Schulter lehnte und küßte sie ans den Mund. „Die Leute reden vieles. Glaube
uicht alles, was die Leute sagen, mein liebes Hcrzgespiel!" Dann schlang er seinen
Arm um ihren Leib und schritt singend mit ihr in den Wald hinein.

Als das Paar hinter den Bäumen verschwunden war, tauchte aus deu Büschen
ein Mann im Jagdgewande, die Kugelbüchse auf dem Rücken, das Waidmesser an


Grenzboten III. 1331. ^
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[0129] Sommermärchen. sichtig kam er herangeschlichen, so vorsichtig, daß nicht einmal die dürren Blätter unter seinen Tritten raschelten. Aber so leise er auch cmftrcit, das scharfe Ohr des Mädchens vernahm sein Kommen doch. Sie wandte den Kopf nach ihm, und die Buche dachte: „Jetzt wird sie flüchten." Aber die Dirne floh nicht, sie sprang vielmehr dem Burschen entgegen und schlang ihre Arme um seinen braunen Hals. „Mein Hans! — Meine Eva!" riefen sie gleichzeitig. Dann küßten sie sich nach Herzenslust, nannten sich wieder bei ihren Namen und herzten sich von neuem, und die Buche fand das sehr langweilig. Später saßen sie nnter dem Baume nieder und sprachen von ihrer Liebe. Es war eine Geschichte, die jeder von uns kennt, aber der Buche war sie nen, und sie horchte wie ein Kind, dem man ein Märchen erzählt. Es kam aber noch eine besondre Ucbermschnng. Der Bursch erhob sich vom Boden, zog sein Messer und begann in die Rinde des Stammes Einschnitte zu machen. Es that zwar etwas weh, aber der Baum hielt still wie eine Mauer. „Was soll das werden?" fragte das Mädchen. „Ein Herz mit deinem Namen und meinem," antwortete Hans und schnitt weiter. Als das Werk fertig war, be¬ trachteten es beide wohlgefällig, und der Buche war es zu Muthe wie einem, dem der König eine goldne Gnadenkette umgehängt hat. „Die Menschen sind doch Prächtige Leute!" dachte sie. Jetzt hob der Bursch zu singen an. Die Lieder der Finken und der Amseln konnte die Buche längst auswendig; nun bekam sie etwas zu hören, das klang ganz verschieden von Vogelgesang. Das Lied lautete aber so: Ich schritt durchs Waldgehege Auf uubctretnem Wege. Die Mailuft kochte mild. Ich lies; die Hirschlein grase» Und springen Reh' und Hasen. Mich lockt' ein seltnes Edelwild. Nicht braucht' ich laug zu suchen. An einer grünen Buchen Fand ich mein Liebchen stehn. Sie thät mich fest anfangen, Ich kühn' ihr Mund und Wangen, Und um den Jäger wars geschehn. Ein Herze will ich schneiden Mit unsern Namen beiden Dem Baum ins Rindenkleid. Das soll in späten Tagen Dem Wandrer Kunde sagen Von mein' und deiner Seligkeit. „Höre, Hans!" sprach das Mädchen, als der Bursch geendigt hatte. „Dein Lied gemahnt mich an etwas. Ich weiß--die Leute Sägers, daß dn im Herbst heimlich in den Forsten dem Wilde nachgehst. Laß das Jagen sein! Der Jäger ist dir ohnehin nicht grün--du weißt warum. Und trifft er dich als Wilderer im Wald — — dann--Herrgott, mein Hans, wenn sie dich einst getragen brächten mit dnrchschossncr Brust---" Der Bursch beugte sich nieder zu der Dirne, die sich schmeichelnd an seine Schulter lehnte und küßte sie ans den Mund. „Die Leute reden vieles. Glaube uicht alles, was die Leute sagen, mein liebes Hcrzgespiel!" Dann schlang er seinen Arm um ihren Leib und schritt singend mit ihr in den Wald hinein. Als das Paar hinter den Bäumen verschwunden war, tauchte aus deu Büschen ein Mann im Jagdgewande, die Kugelbüchse auf dem Rücken, das Waidmesser an Grenzboten III. 1331. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/129>, abgerufen am 25.12.2024.