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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Loyalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelaltor.

borne; jüngere Söhne erhielten eine Ausstattung zur Aufbringung eines Heer¬
geleites und mochten sich an dessen Spitze gegen die Sarazenen in Spanien oder
wo sonst immer ein neues Erbe erkämpfen; daheim hatten sie, so lange der älteste
lebte, nichts zu suchen.

Auch bei den klassischen Völkern der alten Welt fehlt es nicht ganz an
Spuren des Gefolgschaftswesenö: die Argonauten z, B. erscheinen als das Heer¬
geleit des Jason. Aber solche Andeutungen führen doch bei jenen Völkern über
die sagenhafte Heroenzeit nicht hinaus, während die Gefolgschaft der Germanen
im hellen Lichte der Geschichte lebt. Zugleich aber ist die Mannentreue der
Gefolgsgcnossen gegen den Herrn einer der mächtigsten sittlichen Hebel und eins
der bedeutungsvollsten poetischen Motive des deutsche" Lebens. Treffend be¬
zeichnet die gothische Sprache jene unbedingte Hingebung mit dem Ausdruck "in
den Fußspuren bleiben."

Zeigt sich in dem Nebeneinanderbestehen des Volksheeres und der doppel-
arligen Gefolgschaft eine besonders reiche Mannichfaltigkeit unsers nationalen
kriegerischen Brauches, so brachte der bald feindliche bald freundliche Verkehr
mit den Römern noch neue Elemente hinzu: den freiwillig oder gezwungen über¬
nommenen Dienst in den Auxiliarcohorten der kniserlicheu Heere und die am
römische"? Limes zu leistende Grenzwacht. Beide Momente sind für die Folge¬
zeit von großer Wichtigkeit geworden. Da es den Germanen, wenn sie in ein
Heergeleit eintreten wollten, als rühmlich galt, womöglich in das Gefolge des
vornehmsten, berühmtesten und reichsten Fürsten aufgenommen zu werden, so
erschien die Gefolgschaft des Imperators, d. h. das römische Heer, schon zu
Cäsars Tagen als besonders wünschenswerther Tummelplatz germanischer Kriegs¬
lust. Seit Alexander Severus kam dann ein territoriales Element hinzu. Er
zuerst wies den limiwnei, d. h. den Truppen, welchen die Grenzhut oblag, liegende
Gründe in den Marklanden an, welche als Grenzerlchen, auf denen Wacht-
und Kriegspflicht ruhte, vom Vater auf den Sohn vererbten und in den lidvr
liMotloioruin des Reiches eingetragen wurden.

Die Einwanderungen germanischer Völker in das römische Reich während
des ü. und 6. Jahrhunderts geschahe" keineswegs in der Absicht, dies Reich und
seine Cultur zu zerstören, vielmehr mit dein Wunsche, an beiden theilzunehmen.
Denn zu jener Zeit waren die Germanen nicht mehr ohne Verständniß und ohne
Empfänglichkeit für den hohen Werth der antiken Civilisation; sie brachten dieser
vielmehr volle, naive Bewunderung entgegen. Zunächst stellten denn auch die
Germanen ihre Kraft in den Dienst des Römerthums; nicht nnr die in den
Reichsverband übergetretuen Massen der Föderalen, sondern auch die nusge-
zcichnctstcn Persönlichkeiten: am glorreichsten von allen Stilicho, ein edler Vandale,
der Eidam und Feldherr Theodosius' des Großen, am verhängnißvollsten für
Rom der kaiserliche Befehlshaber der illyrischen Heere, Alarich, der Westgothe.
Al>er noch der Nachfolger dieses glänzenden Mannes, einer der fähigsten aller


Die Entwicklung der Loyalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelaltor.

borne; jüngere Söhne erhielten eine Ausstattung zur Aufbringung eines Heer¬
geleites und mochten sich an dessen Spitze gegen die Sarazenen in Spanien oder
wo sonst immer ein neues Erbe erkämpfen; daheim hatten sie, so lange der älteste
lebte, nichts zu suchen.

Auch bei den klassischen Völkern der alten Welt fehlt es nicht ganz an
Spuren des Gefolgschaftswesenö: die Argonauten z, B. erscheinen als das Heer¬
geleit des Jason. Aber solche Andeutungen führen doch bei jenen Völkern über
die sagenhafte Heroenzeit nicht hinaus, während die Gefolgschaft der Germanen
im hellen Lichte der Geschichte lebt. Zugleich aber ist die Mannentreue der
Gefolgsgcnossen gegen den Herrn einer der mächtigsten sittlichen Hebel und eins
der bedeutungsvollsten poetischen Motive des deutsche» Lebens. Treffend be¬
zeichnet die gothische Sprache jene unbedingte Hingebung mit dem Ausdruck „in
den Fußspuren bleiben."

Zeigt sich in dem Nebeneinanderbestehen des Volksheeres und der doppel-
arligen Gefolgschaft eine besonders reiche Mannichfaltigkeit unsers nationalen
kriegerischen Brauches, so brachte der bald feindliche bald freundliche Verkehr
mit den Römern noch neue Elemente hinzu: den freiwillig oder gezwungen über¬
nommenen Dienst in den Auxiliarcohorten der kniserlicheu Heere und die am
römische«? Limes zu leistende Grenzwacht. Beide Momente sind für die Folge¬
zeit von großer Wichtigkeit geworden. Da es den Germanen, wenn sie in ein
Heergeleit eintreten wollten, als rühmlich galt, womöglich in das Gefolge des
vornehmsten, berühmtesten und reichsten Fürsten aufgenommen zu werden, so
erschien die Gefolgschaft des Imperators, d. h. das römische Heer, schon zu
Cäsars Tagen als besonders wünschenswerther Tummelplatz germanischer Kriegs¬
lust. Seit Alexander Severus kam dann ein territoriales Element hinzu. Er
zuerst wies den limiwnei, d. h. den Truppen, welchen die Grenzhut oblag, liegende
Gründe in den Marklanden an, welche als Grenzerlchen, auf denen Wacht-
und Kriegspflicht ruhte, vom Vater auf den Sohn vererbten und in den lidvr
liMotloioruin des Reiches eingetragen wurden.

Die Einwanderungen germanischer Völker in das römische Reich während
des ü. und 6. Jahrhunderts geschahe« keineswegs in der Absicht, dies Reich und
seine Cultur zu zerstören, vielmehr mit dein Wunsche, an beiden theilzunehmen.
Denn zu jener Zeit waren die Germanen nicht mehr ohne Verständniß und ohne
Empfänglichkeit für den hohen Werth der antiken Civilisation; sie brachten dieser
vielmehr volle, naive Bewunderung entgegen. Zunächst stellten denn auch die
Germanen ihre Kraft in den Dienst des Römerthums; nicht nnr die in den
Reichsverband übergetretuen Massen der Föderalen, sondern auch die nusge-
zcichnctstcn Persönlichkeiten: am glorreichsten von allen Stilicho, ein edler Vandale,
der Eidam und Feldherr Theodosius' des Großen, am verhängnißvollsten für
Rom der kaiserliche Befehlshaber der illyrischen Heere, Alarich, der Westgothe.
Al>er noch der Nachfolger dieses glänzenden Mannes, einer der fähigsten aller


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[0103] Die Entwicklung der Loyalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelaltor. borne; jüngere Söhne erhielten eine Ausstattung zur Aufbringung eines Heer¬ geleites und mochten sich an dessen Spitze gegen die Sarazenen in Spanien oder wo sonst immer ein neues Erbe erkämpfen; daheim hatten sie, so lange der älteste lebte, nichts zu suchen. Auch bei den klassischen Völkern der alten Welt fehlt es nicht ganz an Spuren des Gefolgschaftswesenö: die Argonauten z, B. erscheinen als das Heer¬ geleit des Jason. Aber solche Andeutungen führen doch bei jenen Völkern über die sagenhafte Heroenzeit nicht hinaus, während die Gefolgschaft der Germanen im hellen Lichte der Geschichte lebt. Zugleich aber ist die Mannentreue der Gefolgsgcnossen gegen den Herrn einer der mächtigsten sittlichen Hebel und eins der bedeutungsvollsten poetischen Motive des deutsche» Lebens. Treffend be¬ zeichnet die gothische Sprache jene unbedingte Hingebung mit dem Ausdruck „in den Fußspuren bleiben." Zeigt sich in dem Nebeneinanderbestehen des Volksheeres und der doppel- arligen Gefolgschaft eine besonders reiche Mannichfaltigkeit unsers nationalen kriegerischen Brauches, so brachte der bald feindliche bald freundliche Verkehr mit den Römern noch neue Elemente hinzu: den freiwillig oder gezwungen über¬ nommenen Dienst in den Auxiliarcohorten der kniserlicheu Heere und die am römische«? Limes zu leistende Grenzwacht. Beide Momente sind für die Folge¬ zeit von großer Wichtigkeit geworden. Da es den Germanen, wenn sie in ein Heergeleit eintreten wollten, als rühmlich galt, womöglich in das Gefolge des vornehmsten, berühmtesten und reichsten Fürsten aufgenommen zu werden, so erschien die Gefolgschaft des Imperators, d. h. das römische Heer, schon zu Cäsars Tagen als besonders wünschenswerther Tummelplatz germanischer Kriegs¬ lust. Seit Alexander Severus kam dann ein territoriales Element hinzu. Er zuerst wies den limiwnei, d. h. den Truppen, welchen die Grenzhut oblag, liegende Gründe in den Marklanden an, welche als Grenzerlchen, auf denen Wacht- und Kriegspflicht ruhte, vom Vater auf den Sohn vererbten und in den lidvr liMotloioruin des Reiches eingetragen wurden. Die Einwanderungen germanischer Völker in das römische Reich während des ü. und 6. Jahrhunderts geschahe« keineswegs in der Absicht, dies Reich und seine Cultur zu zerstören, vielmehr mit dein Wunsche, an beiden theilzunehmen. Denn zu jener Zeit waren die Germanen nicht mehr ohne Verständniß und ohne Empfänglichkeit für den hohen Werth der antiken Civilisation; sie brachten dieser vielmehr volle, naive Bewunderung entgegen. Zunächst stellten denn auch die Germanen ihre Kraft in den Dienst des Römerthums; nicht nnr die in den Reichsverband übergetretuen Massen der Föderalen, sondern auch die nusge- zcichnctstcn Persönlichkeiten: am glorreichsten von allen Stilicho, ein edler Vandale, der Eidam und Feldherr Theodosius' des Großen, am verhängnißvollsten für Rom der kaiserliche Befehlshaber der illyrischen Heere, Alarich, der Westgothe. Al>er noch der Nachfolger dieses glänzenden Mannes, einer der fähigsten aller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/103>, abgerufen am 01.09.2024.