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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Sie Lutmicklmig der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

Ist auch hierbei die Mannichfaltigkeit der Vorstellungen nicht so bunt und greifen
auch die Controversen nicht ganz so tief wie bei der Polemik über den Ursprung
der Feudnlität, so ist dafür der Gegensatz in Kritik und Verarbeitung der spär¬
lichen Quellen desto größer.

Wer das in all diesen Kämpfen aufgehäufte literarische Material durchar¬
beitet, um sich selbst eine Meinung zu bilden, der bemerkt bald die natürliche
Einseitigkeit der meisten Streiter. Sie haben ihre Hypothese übergestülpt wie
einen Tvpfhelm nud schauen, ohne das Haupt zu wenden, mir durch die schmalen
Altgenspalten. Ununterbrochen ist der unbefangne Lernbegierige genöthigt, die
einseitige, oft grelle Beleuchtung, welche die Laterne der suchenden Forscher auf
die Dinge wirst, zu mildern, zu beschränken, auszugleichen; und der Umstand,
daß jedermann ein möglichst großes Beweismaterial für seine Behauptungen
flüssig gemacht hat, kommt einem solchen ausgleichenden Verfahren vortrefflich
zu Stätte". Wer diesen Proceß fortsetzt, gelangt am Ende dahin, neben eine
Summe absolut sicherer Resultate eine Reihe andrer Ergebnisse stellen zu dürfen,
die sich, als bestbcwiesen oder zumeist wahrscheinlich, jenen Gewißheiten- unge¬
zwungen anreihen, obgleich sie oft von Weitauseinanderliegenden, ja von feind¬
lichen Standpunkten aus ans Licht gefördert worden sind.

Einem Verfahren solcher Art ist die vorliegende Darstellung entsprungen.
Es ist der Versuch, bald durch freudige Aneignung, bald durch entschiedne Ab¬
lehnung, daun wieder durch ungezwungnes Zusammenstimmen verschiedener An¬
schauungen ein wvhltemperirtes Gesammtbild jener merkwürdigen historischen
Verhältnisse zu gewinnen und in schlichter Weise allgemeinverständlich vorzu¬
tragen, ein Bild, das den Beweis oder doch die Prüsumtiou treuer Aehnlichkeit
allerdings dnrch die eigene innere Harmonie zu liefern hat.




Gleich den Völkern des classischen Alterthums erblickten auch die Germanen
in der allgemeinen Wehrpflicht die vornehmste Gewähr für die Erhaltung der
höchsten Güter des nationalen Lebens und faßten daher die Waffenpflicht im vollen
Sinne auch als Waffenehre auf. Heer und Volk war ihnen ein und dasselbe.
Bei der wi^M-utA, d. h. dein Männervolke, oder dem Jarl, d. h. der Menge,
standen Entscheidung über Krieg und Frieden, Wahl der Herzoge für den Heer¬
zug und Billigung des Feldzugsplanes. Die ursprüngliche Schaarnng der ger¬
manischen Volksheere beruhte, wie das wohl von allen jugendlichen Völkern
luit, auf der Verwandtschaft und der Nachbarschaft der Krieger. Die Sippen
stießen zu Hundertschaften zusammen, diese zur Kriegsmacht des Gaues, und ans
den Abtheilungen der Gaugenossen bildete sich das Heer.

Neben diesem allgemeinen Volkskriegerthnme, der Wehrmannei, erscheint
dann seit frühester Zeit das Gefolgschaftsweseu, d. h. die Bildung freiwilliger
Heergeleite, welche sich in zwei Hauptformen vollzog. Zunächst stand nämlich


Sie Lutmicklmig der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

Ist auch hierbei die Mannichfaltigkeit der Vorstellungen nicht so bunt und greifen
auch die Controversen nicht ganz so tief wie bei der Polemik über den Ursprung
der Feudnlität, so ist dafür der Gegensatz in Kritik und Verarbeitung der spär¬
lichen Quellen desto größer.

Wer das in all diesen Kämpfen aufgehäufte literarische Material durchar¬
beitet, um sich selbst eine Meinung zu bilden, der bemerkt bald die natürliche
Einseitigkeit der meisten Streiter. Sie haben ihre Hypothese übergestülpt wie
einen Tvpfhelm nud schauen, ohne das Haupt zu wenden, mir durch die schmalen
Altgenspalten. Ununterbrochen ist der unbefangne Lernbegierige genöthigt, die
einseitige, oft grelle Beleuchtung, welche die Laterne der suchenden Forscher auf
die Dinge wirst, zu mildern, zu beschränken, auszugleichen; und der Umstand,
daß jedermann ein möglichst großes Beweismaterial für seine Behauptungen
flüssig gemacht hat, kommt einem solchen ausgleichenden Verfahren vortrefflich
zu Stätte». Wer diesen Proceß fortsetzt, gelangt am Ende dahin, neben eine
Summe absolut sicherer Resultate eine Reihe andrer Ergebnisse stellen zu dürfen,
die sich, als bestbcwiesen oder zumeist wahrscheinlich, jenen Gewißheiten- unge¬
zwungen anreihen, obgleich sie oft von Weitauseinanderliegenden, ja von feind¬
lichen Standpunkten aus ans Licht gefördert worden sind.

Einem Verfahren solcher Art ist die vorliegende Darstellung entsprungen.
Es ist der Versuch, bald durch freudige Aneignung, bald durch entschiedne Ab¬
lehnung, daun wieder durch ungezwungnes Zusammenstimmen verschiedener An¬
schauungen ein wvhltemperirtes Gesammtbild jener merkwürdigen historischen
Verhältnisse zu gewinnen und in schlichter Weise allgemeinverständlich vorzu¬
tragen, ein Bild, das den Beweis oder doch die Prüsumtiou treuer Aehnlichkeit
allerdings dnrch die eigene innere Harmonie zu liefern hat.




Gleich den Völkern des classischen Alterthums erblickten auch die Germanen
in der allgemeinen Wehrpflicht die vornehmste Gewähr für die Erhaltung der
höchsten Güter des nationalen Lebens und faßten daher die Waffenpflicht im vollen
Sinne auch als Waffenehre auf. Heer und Volk war ihnen ein und dasselbe.
Bei der wi^M-utA, d. h. dein Männervolke, oder dem Jarl, d. h. der Menge,
standen Entscheidung über Krieg und Frieden, Wahl der Herzoge für den Heer¬
zug und Billigung des Feldzugsplanes. Die ursprüngliche Schaarnng der ger¬
manischen Volksheere beruhte, wie das wohl von allen jugendlichen Völkern
luit, auf der Verwandtschaft und der Nachbarschaft der Krieger. Die Sippen
stießen zu Hundertschaften zusammen, diese zur Kriegsmacht des Gaues, und ans
den Abtheilungen der Gaugenossen bildete sich das Heer.

Neben diesem allgemeinen Volkskriegerthnme, der Wehrmannei, erscheint
dann seit frühester Zeit das Gefolgschaftsweseu, d. h. die Bildung freiwilliger
Heergeleite, welche sich in zwei Hauptformen vollzog. Zunächst stand nämlich


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[0101] Sie Lutmicklmig der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter. Ist auch hierbei die Mannichfaltigkeit der Vorstellungen nicht so bunt und greifen auch die Controversen nicht ganz so tief wie bei der Polemik über den Ursprung der Feudnlität, so ist dafür der Gegensatz in Kritik und Verarbeitung der spär¬ lichen Quellen desto größer. Wer das in all diesen Kämpfen aufgehäufte literarische Material durchar¬ beitet, um sich selbst eine Meinung zu bilden, der bemerkt bald die natürliche Einseitigkeit der meisten Streiter. Sie haben ihre Hypothese übergestülpt wie einen Tvpfhelm nud schauen, ohne das Haupt zu wenden, mir durch die schmalen Altgenspalten. Ununterbrochen ist der unbefangne Lernbegierige genöthigt, die einseitige, oft grelle Beleuchtung, welche die Laterne der suchenden Forscher auf die Dinge wirst, zu mildern, zu beschränken, auszugleichen; und der Umstand, daß jedermann ein möglichst großes Beweismaterial für seine Behauptungen flüssig gemacht hat, kommt einem solchen ausgleichenden Verfahren vortrefflich zu Stätte». Wer diesen Proceß fortsetzt, gelangt am Ende dahin, neben eine Summe absolut sicherer Resultate eine Reihe andrer Ergebnisse stellen zu dürfen, die sich, als bestbcwiesen oder zumeist wahrscheinlich, jenen Gewißheiten- unge¬ zwungen anreihen, obgleich sie oft von Weitauseinanderliegenden, ja von feind¬ lichen Standpunkten aus ans Licht gefördert worden sind. Einem Verfahren solcher Art ist die vorliegende Darstellung entsprungen. Es ist der Versuch, bald durch freudige Aneignung, bald durch entschiedne Ab¬ lehnung, daun wieder durch ungezwungnes Zusammenstimmen verschiedener An¬ schauungen ein wvhltemperirtes Gesammtbild jener merkwürdigen historischen Verhältnisse zu gewinnen und in schlichter Weise allgemeinverständlich vorzu¬ tragen, ein Bild, das den Beweis oder doch die Prüsumtiou treuer Aehnlichkeit allerdings dnrch die eigene innere Harmonie zu liefern hat. Gleich den Völkern des classischen Alterthums erblickten auch die Germanen in der allgemeinen Wehrpflicht die vornehmste Gewähr für die Erhaltung der höchsten Güter des nationalen Lebens und faßten daher die Waffenpflicht im vollen Sinne auch als Waffenehre auf. Heer und Volk war ihnen ein und dasselbe. Bei der wi^M-utA, d. h. dein Männervolke, oder dem Jarl, d. h. der Menge, standen Entscheidung über Krieg und Frieden, Wahl der Herzoge für den Heer¬ zug und Billigung des Feldzugsplanes. Die ursprüngliche Schaarnng der ger¬ manischen Volksheere beruhte, wie das wohl von allen jugendlichen Völkern luit, auf der Verwandtschaft und der Nachbarschaft der Krieger. Die Sippen stießen zu Hundertschaften zusammen, diese zur Kriegsmacht des Gaues, und ans den Abtheilungen der Gaugenossen bildete sich das Heer. Neben diesem allgemeinen Volkskriegerthnme, der Wehrmannei, erscheint dann seit frühester Zeit das Gefolgschaftsweseu, d. h. die Bildung freiwilliger Heergeleite, welche sich in zwei Hauptformen vollzog. Zunächst stand nämlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/101>, abgerufen am 01.09.2024.