Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.Die bulgarisch,: Krisis. lande verwirklicht werden sollten. Regelmäßige Debatten gab es nicht. Jeder sprach Am 24, November wurde die Discussion über die Adresse begonnen, mit So hatte die erste Nationalversammlung Bulgariens erfüllt, was prophezeit Die bulgarisch,: Krisis. lande verwirklicht werden sollten. Regelmäßige Debatten gab es nicht. Jeder sprach Am 24, November wurde die Discussion über die Adresse begonnen, mit So hatte die erste Nationalversammlung Bulgariens erfüllt, was prophezeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0537" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150109"/> <fw type="header" place="top"> Die bulgarisch,: Krisis.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1781" prev="#ID_1780"> lande verwirklicht werden sollten. Regelmäßige Debatten gab es nicht. Jeder sprach<lb/> nach Belieben über dies und jenes und so oft und so lange es ihm gefiel. Es<lb/> ist Thatsache, daß ein Deputirter sich in einer Sitzung dreißigmal zum Sprechen<lb/> erhob, was doch noch erheblich über die Redelnst unsrer Laster geht. Aber wehe<lb/> den, Mitgliede der Rechten, das sich unterfing, an Ordnung und parlamentarische<lb/> Gesetzlichkeit mahnen zu »vollen! Sofort schlössen Gebrüll und Gelächter ihm den<lb/> Mund. Auch den Ministern erging es so, wenn sie ihre Politik klar und deutlich<lb/> auseinanderzusetzen versuchten; man weigerte sich, sie anzuhören, Grekoff, ein Redner,<lb/> der selbst in einer deutschen gesetzgebenden Versammlung Aufmerksamkeit gefunden<lb/> haben würde, fand bei der Majorität kein Gehör, und die Beredsamkeit Balabanofss<lb/> und die Auseinandersetzungen Bnrmoffs wurden mit Hohn und Verachtung auf¬<lb/> genommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1782"> Am 24, November wurde die Discussion über die Adresse begonnen, mit<lb/> welcher die Thronrede beantwortet werden sollte. Die Opposition bemühte sich,<lb/> ein Tadelsvvtum gegen die Regierung zu stände zu bringen. Die Minister bestanden<lb/> auf Motivirung dieses Tadels durch Thatsachen, die Radicalen vermochten das nicht,<lb/> und gleichwohl wurde die Adresse in einer zweiten Sitzung in der Form eines<lb/> Tadelsvotums beschlossen. Am nächsten Tage, 2ö, November, nahm der Fürst die<lb/> Entlassung der Minister an und beauftragte Karawclvff, einen der Führer der Linken,<lb/> mit der Bildung eines neuen Cabinets, wobei er mir die Bedingung stellte, daß<lb/> dasselbe sich des Vertrauens des Landes erfreue, und daß es ihm ein detnillirtcs<lb/> Programm vorlege. Es ergab sich jedoch, daß die Opposition kein solches Programm<lb/> aufzustellen imstande war, daß ihr die Wohlfahrt des Landes und die öffentliche<lb/> Meinung für nichts galten, und daß Machtbesitz und gutbezahlte Stellen in der<lb/> Verwaltung ihre einzigen letzten Ziele waren. Umsonst telegraphirte Karawclvff<lb/> an alle Bulgaren von politischer Bedeutung in Ostrnmelien, Rnmcinien und Rußland,<lb/> um ihnen Ministerposten anzubieten, überall wurde sein Anerbieten abgelehnt. Er<lb/> wendete sich darauf an Konstantin Stoiloff, den ersten Secretär des Fürsten, und<lb/> trug ihm den Posten eines Ministers des Auswärtigen an. Derselbe wäre für<lb/> diese Stelle sehr geeignet gewesen, er hatte in Heidelberg studirt, besaß respectable<lb/> Kenntnisse und sprach fließend Deutsch, Französisch und Englisch, aber anch er weigerte<lb/> sich, und so erschien am 4, December Karaweloff ohne Programm und mit der<lb/> Erklärung, nicht imstande zu sein, ein Ministerium zu bilden. Inzwischen waren<lb/> von allen großen Centren der bulgarischen Bevölkerung in der Kanzlei des Fürsten<lb/> Petitionen eingelaufen, welche nur Auflösung der Kammer baten, da sie die Meinung<lb/> des Lands nicht repräsentire. Auch die Agenten der Großmächte erklärten sich gegen<lb/> ein radicales Ministerium«, und so erfolgte am 13, December ein Decret des Fürsten,<lb/> welches nach Artikel 136 der Verfassung die Nationalversammlung für aufgelöst<lb/> erklärte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1783" next="#ID_1784"> So hatte die erste Nationalversammlung Bulgariens erfüllt, was prophezeit<lb/> worden war, als die Verfassung von Tirnowa beschlossen worden. Diese Verfassung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0537]
Die bulgarisch,: Krisis.
lande verwirklicht werden sollten. Regelmäßige Debatten gab es nicht. Jeder sprach
nach Belieben über dies und jenes und so oft und so lange es ihm gefiel. Es
ist Thatsache, daß ein Deputirter sich in einer Sitzung dreißigmal zum Sprechen
erhob, was doch noch erheblich über die Redelnst unsrer Laster geht. Aber wehe
den, Mitgliede der Rechten, das sich unterfing, an Ordnung und parlamentarische
Gesetzlichkeit mahnen zu »vollen! Sofort schlössen Gebrüll und Gelächter ihm den
Mund. Auch den Ministern erging es so, wenn sie ihre Politik klar und deutlich
auseinanderzusetzen versuchten; man weigerte sich, sie anzuhören, Grekoff, ein Redner,
der selbst in einer deutschen gesetzgebenden Versammlung Aufmerksamkeit gefunden
haben würde, fand bei der Majorität kein Gehör, und die Beredsamkeit Balabanofss
und die Auseinandersetzungen Bnrmoffs wurden mit Hohn und Verachtung auf¬
genommen.
Am 24, November wurde die Discussion über die Adresse begonnen, mit
welcher die Thronrede beantwortet werden sollte. Die Opposition bemühte sich,
ein Tadelsvvtum gegen die Regierung zu stände zu bringen. Die Minister bestanden
auf Motivirung dieses Tadels durch Thatsachen, die Radicalen vermochten das nicht,
und gleichwohl wurde die Adresse in einer zweiten Sitzung in der Form eines
Tadelsvotums beschlossen. Am nächsten Tage, 2ö, November, nahm der Fürst die
Entlassung der Minister an und beauftragte Karawclvff, einen der Führer der Linken,
mit der Bildung eines neuen Cabinets, wobei er mir die Bedingung stellte, daß
dasselbe sich des Vertrauens des Landes erfreue, und daß es ihm ein detnillirtcs
Programm vorlege. Es ergab sich jedoch, daß die Opposition kein solches Programm
aufzustellen imstande war, daß ihr die Wohlfahrt des Landes und die öffentliche
Meinung für nichts galten, und daß Machtbesitz und gutbezahlte Stellen in der
Verwaltung ihre einzigen letzten Ziele waren. Umsonst telegraphirte Karawclvff
an alle Bulgaren von politischer Bedeutung in Ostrnmelien, Rnmcinien und Rußland,
um ihnen Ministerposten anzubieten, überall wurde sein Anerbieten abgelehnt. Er
wendete sich darauf an Konstantin Stoiloff, den ersten Secretär des Fürsten, und
trug ihm den Posten eines Ministers des Auswärtigen an. Derselbe wäre für
diese Stelle sehr geeignet gewesen, er hatte in Heidelberg studirt, besaß respectable
Kenntnisse und sprach fließend Deutsch, Französisch und Englisch, aber anch er weigerte
sich, und so erschien am 4, December Karaweloff ohne Programm und mit der
Erklärung, nicht imstande zu sein, ein Ministerium zu bilden. Inzwischen waren
von allen großen Centren der bulgarischen Bevölkerung in der Kanzlei des Fürsten
Petitionen eingelaufen, welche nur Auflösung der Kammer baten, da sie die Meinung
des Lands nicht repräsentire. Auch die Agenten der Großmächte erklärten sich gegen
ein radicales Ministerium«, und so erfolgte am 13, December ein Decret des Fürsten,
welches nach Artikel 136 der Verfassung die Nationalversammlung für aufgelöst
erklärte.
So hatte die erste Nationalversammlung Bulgariens erfüllt, was prophezeit
worden war, als die Verfassung von Tirnowa beschlossen worden. Diese Verfassung
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