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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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politische Briefe.

oder Minderung der Rente -- die Form und Höhe der Entschädigung im all¬
gemeinen war aus der Regierungsvorlage entnvuuncil -- fordern könne, wenn
die Verhältnisse, welche die Zuerkennung oder Höhe der Rente bedingt hatten,
sich verändert haben sollten.

Man sieht, dieser Entwurf, dessen Wvhlgemeiutheit wir uicht leugnen wolle",
würde zur wesentlichen Wirkung die Verschlimmerung des Streites zwischen Ar¬
beiter und Unternehmer, die Verbitterung des Klassengegensatzes gehabt haben,
dessen Heilung die Humanität gleich sehr wie die Selbsterhaltungspflicht der Ge¬
sellschaft gebietet.

Eigenthümlich ist das Verhalten der seeessivnistischen Gruppe gewesen. Als
der Negierungsentwnrf im Bundesrathe eingebracht worden war, sprach sich die
"National-Zeitung" sehr günstig über denselben aus, nur mit dem Vorbehalt
einer xriins, vistÄ geäußerten Ansicht. Aber das Blatt hob hervor, daß die
Heranziehung der Armenverbände -- an deren Stelle erst später im Bundes¬
rathe das Reich gesetzt worden ist, in der Neichstagseoinmissivn die Cinzcl-
staaten -- zur Prämienleistung wohl gerechtfertigt sei durch die Erwägung, daß
diese Verbände sich damit gegen einen Theil der ihnen zufallenden Armeulast
versichern. Die "National-Zeitung" ist später zur Gegnerin des Regiernngs-
eutwurfs geworden; dies mag Wohl daher kommen, daß der Gegenstand an¬
fänglich von einem der besonnensten, zugleich geiht- und kenntnißreichsten Publi¬
zisten behandelt wurde, den die deutsche Journalistik besitzt, der aber ans der
Redaction der "National-Zeitung" geschieden ist. In der "Tribüne", wo wir
der Feder, welche den Gegenstand anfänglich in der "National-Zeitung" be¬
handelte, jetzt zu begegnen glauben, war uoch kürzlich wiederholt, daß der Grund¬
satz der öffentlichen Armenpflege deutsches Staatsrecht sei, daß aber unleugbar
die öffentliche Armenpflege zugleich die demüthigendste und die kostspieligste Form
der öffentlichen Unterstützung sei. Von einem so unbefangnen und die Natur
der Sache richtig erfassender Standpunkte ans hätte die seeessionistische Gruppe,
sollte man meinen, zu einer freundlichen Stellung gelangen können. Die par¬
lamentarische Gruppe beharrte indeß trotz der obigen publieistischen Ausführungen
bei der Verwerfung des Staatszuschusses und wünschte außerdem die Concurrenz
der Privatgesellschaften neben der Ncichsversichernngsgesellschaft. Hätte die na-
tivualliberale Partei sich entschließen können, die Zulassung der Privatversicherungö-
gesellschafteu fallen zu lasse", dagegen die ReichSversicherungsgcsellschaft festzu¬
halten und, wenn nicht den Reichsznschuß, doch die alleinige Verhinderungspflicht
der Unternehmer zu vertreten, so wären vielleicht auch die Secessionisten mit¬
gegangen. Dieser Plan hätte natürlich die Majorität nur durch Vereinbarung
mit den beiden evnscrvntivcn Fractionen erlangen können. Diese Vereinbarung


politische Briefe.

oder Minderung der Rente — die Form und Höhe der Entschädigung im all¬
gemeinen war aus der Regierungsvorlage entnvuuncil — fordern könne, wenn
die Verhältnisse, welche die Zuerkennung oder Höhe der Rente bedingt hatten,
sich verändert haben sollten.

Man sieht, dieser Entwurf, dessen Wvhlgemeiutheit wir uicht leugnen wolle»,
würde zur wesentlichen Wirkung die Verschlimmerung des Streites zwischen Ar¬
beiter und Unternehmer, die Verbitterung des Klassengegensatzes gehabt haben,
dessen Heilung die Humanität gleich sehr wie die Selbsterhaltungspflicht der Ge¬
sellschaft gebietet.

Eigenthümlich ist das Verhalten der seeessivnistischen Gruppe gewesen. Als
der Negierungsentwnrf im Bundesrathe eingebracht worden war, sprach sich die
„National-Zeitung" sehr günstig über denselben aus, nur mit dem Vorbehalt
einer xriins, vistÄ geäußerten Ansicht. Aber das Blatt hob hervor, daß die
Heranziehung der Armenverbände — an deren Stelle erst später im Bundes¬
rathe das Reich gesetzt worden ist, in der Neichstagseoinmissivn die Cinzcl-
staaten — zur Prämienleistung wohl gerechtfertigt sei durch die Erwägung, daß
diese Verbände sich damit gegen einen Theil der ihnen zufallenden Armeulast
versichern. Die „National-Zeitung" ist später zur Gegnerin des Regiernngs-
eutwurfs geworden; dies mag Wohl daher kommen, daß der Gegenstand an¬
fänglich von einem der besonnensten, zugleich geiht- und kenntnißreichsten Publi¬
zisten behandelt wurde, den die deutsche Journalistik besitzt, der aber ans der
Redaction der „National-Zeitung" geschieden ist. In der „Tribüne", wo wir
der Feder, welche den Gegenstand anfänglich in der „National-Zeitung" be¬
handelte, jetzt zu begegnen glauben, war uoch kürzlich wiederholt, daß der Grund¬
satz der öffentlichen Armenpflege deutsches Staatsrecht sei, daß aber unleugbar
die öffentliche Armenpflege zugleich die demüthigendste und die kostspieligste Form
der öffentlichen Unterstützung sei. Von einem so unbefangnen und die Natur
der Sache richtig erfassender Standpunkte ans hätte die seeessionistische Gruppe,
sollte man meinen, zu einer freundlichen Stellung gelangen können. Die par¬
lamentarische Gruppe beharrte indeß trotz der obigen publieistischen Ausführungen
bei der Verwerfung des Staatszuschusses und wünschte außerdem die Concurrenz
der Privatgesellschaften neben der Ncichsversichernngsgesellschaft. Hätte die na-
tivualliberale Partei sich entschließen können, die Zulassung der Privatversicherungö-
gesellschafteu fallen zu lasse», dagegen die ReichSversicherungsgcsellschaft festzu¬
halten und, wenn nicht den Reichsznschuß, doch die alleinige Verhinderungspflicht
der Unternehmer zu vertreten, so wären vielleicht auch die Secessionisten mit¬
gegangen. Dieser Plan hätte natürlich die Majorität nur durch Vereinbarung
mit den beiden evnscrvntivcn Fractionen erlangen können. Diese Vereinbarung


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[0529] politische Briefe. oder Minderung der Rente — die Form und Höhe der Entschädigung im all¬ gemeinen war aus der Regierungsvorlage entnvuuncil — fordern könne, wenn die Verhältnisse, welche die Zuerkennung oder Höhe der Rente bedingt hatten, sich verändert haben sollten. Man sieht, dieser Entwurf, dessen Wvhlgemeiutheit wir uicht leugnen wolle», würde zur wesentlichen Wirkung die Verschlimmerung des Streites zwischen Ar¬ beiter und Unternehmer, die Verbitterung des Klassengegensatzes gehabt haben, dessen Heilung die Humanität gleich sehr wie die Selbsterhaltungspflicht der Ge¬ sellschaft gebietet. Eigenthümlich ist das Verhalten der seeessivnistischen Gruppe gewesen. Als der Negierungsentwnrf im Bundesrathe eingebracht worden war, sprach sich die „National-Zeitung" sehr günstig über denselben aus, nur mit dem Vorbehalt einer xriins, vistÄ geäußerten Ansicht. Aber das Blatt hob hervor, daß die Heranziehung der Armenverbände — an deren Stelle erst später im Bundes¬ rathe das Reich gesetzt worden ist, in der Neichstagseoinmissivn die Cinzcl- staaten — zur Prämienleistung wohl gerechtfertigt sei durch die Erwägung, daß diese Verbände sich damit gegen einen Theil der ihnen zufallenden Armeulast versichern. Die „National-Zeitung" ist später zur Gegnerin des Regiernngs- eutwurfs geworden; dies mag Wohl daher kommen, daß der Gegenstand an¬ fänglich von einem der besonnensten, zugleich geiht- und kenntnißreichsten Publi¬ zisten behandelt wurde, den die deutsche Journalistik besitzt, der aber ans der Redaction der „National-Zeitung" geschieden ist. In der „Tribüne", wo wir der Feder, welche den Gegenstand anfänglich in der „National-Zeitung" be¬ handelte, jetzt zu begegnen glauben, war uoch kürzlich wiederholt, daß der Grund¬ satz der öffentlichen Armenpflege deutsches Staatsrecht sei, daß aber unleugbar die öffentliche Armenpflege zugleich die demüthigendste und die kostspieligste Form der öffentlichen Unterstützung sei. Von einem so unbefangnen und die Natur der Sache richtig erfassender Standpunkte ans hätte die seeessionistische Gruppe, sollte man meinen, zu einer freundlichen Stellung gelangen können. Die par¬ lamentarische Gruppe beharrte indeß trotz der obigen publieistischen Ausführungen bei der Verwerfung des Staatszuschusses und wünschte außerdem die Concurrenz der Privatgesellschaften neben der Ncichsversichernngsgesellschaft. Hätte die na- tivualliberale Partei sich entschließen können, die Zulassung der Privatversicherungö- gesellschafteu fallen zu lasse», dagegen die ReichSversicherungsgcsellschaft festzu¬ halten und, wenn nicht den Reichsznschuß, doch die alleinige Verhinderungspflicht der Unternehmer zu vertreten, so wären vielleicht auch die Secessionisten mit¬ gegangen. Dieser Plan hätte natürlich die Majorität nur durch Vereinbarung mit den beiden evnscrvntivcn Fractionen erlangen können. Diese Vereinbarung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/529>, abgerufen am 23.07.2024.