Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.Literatur, ihn zu erkennen -- eben zum Zwecke jener unsaubern Operation als "Grünen" Es fehlt dem Romane nicht an spannenden und erregenden Momenten, um Ein Bedenken drängt sich schließlich noch auf. Zwischen dein snihern Roman Literatur, ihn zu erkennen — eben zum Zwecke jener unsaubern Operation als „Grünen" Es fehlt dem Romane nicht an spannenden und erregenden Momenten, um Ein Bedenken drängt sich schließlich noch auf. Zwischen dein snihern Roman <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149623"/> <fw type="header" place="top"> Literatur,</fw><lb/> <p xml:id="ID_127" prev="#ID_126"> ihn zu erkennen — eben zum Zwecke jener unsaubern Operation als „Grünen"<lb/> mit mif sein Schiff genommen hat; er findet seine Mutter wieder, die van Heeren<lb/> höflich verlassen, und erlangt noch in der Tochter seines frühern Principals, des<lb/> Besitzers der Diamnntschleiferei, aus der er einen Diamant gestohlen haben sollte,<lb/> eine reiche Braut, Van Heeren, der sich seines Mitschuldigen, des düstern Negers<lb/> Ben Hallen, durch klug als Nothwehr mnskirten Mord entledigt hat, wird dem<lb/> irdischen Richter dnrch einen rechtzeitig eintretenden Schlaganfall entzogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_128"> Es fehlt dem Romane nicht an spannenden und erregenden Momenten, um<lb/> einer reichen Seenerie, die aus voller Kenntniß heraus lebendig geschildert ist. Auch<lb/> erweist sich der Verfasser als ein Kenner des Lebens; mau merkt das an der Sicher¬<lb/> heit der Darstellung und Erzählung: trotz aller Wunderbarkeit des Erzählten finden<lb/> sich im einzelnen wenig Uuwahrschcinlichkeiten, überall wird mit der Wirklichkeit<lb/> gerechnet. In dieser Kenntniß und Schilderung der Wirklichkeit liegt die Stärke des<lb/> Verfassers, aber auch seine Schwäche, Im ganzen Roman überwiegt die Wirklichkeit,<lb/> der Dichter zwingt sie nicht voll in seineu Dienst, Die Realität des Lebens läßt er<lb/> in allzu vollen Strömen ans den Leser einwirken und zieht dadurch die Aufmerksam¬<lb/> keit vou den Personen ab; es sind nicht die Menschen sowohl, die uns interessiren,<lb/> es sind ihre Schicksale, Und dem Verfasser scheints ähnlich gegangen zu sein; er<lb/> schwelgt im Beiwerk, er schildert Interessantes und man kann wohl sagen —<lb/> er schildert interessant — aber freilich vieles, was nicht zur Sache gehört, wenigstens<lb/> nicht in dieser Ausführlichkeit, Der Gang einer Schiffsanktion in Rotterdam, das<lb/> Verfahren bei Schiffsversichernngen, bei Versicherung der Ladung, der Betrieb einer<lb/> Diamautschleiferei in seinen kleinsten Einzelheiten, der Verkehr des Deteetive mit<lb/> seinen College» daheim und auswärts — alles wird uns mit der größten Genauig¬<lb/> keit dargestellt. Wir werden belehrt, wie's auf dem Leuchtthurm von Ostende aussieht<lb/> und zugeht, vou jedem Briefe, der erwähnt wird,, erfahren wir den Wortlaut nebst<lb/> Ndresse und Unterschrift auch du, wo diese Dinge ganz unwesentlich sind, wir beob¬<lb/> achten die Menschen gewissermaßen mit Polizeiaugeu und erfahren alles, alles, so<lb/> daß mich dem neugierigsten nichts mehr zu fragen, niemandem etwas in Gedanken nach¬<lb/> zudichten übrig bleibt -— und damit raubt uns der Dichter einen Hauptreiz beim<lb/> Genusse eines Kunstwerks. Bei diesem Ueberwiegen der Aeußerlichkeit kommt die<lb/> psychologische Seite natürlich recht kurz weg. Der Held des Romans kauu uns nicht<lb/> sonderlich fesseln, er ist gar zu passiv. Er wird geschoben, gestoßen, gebraucht und<lb/> gemißbraucht, geliebt und schließlich geheiratet, kurz er läßt sich sein Schicksal von<lb/> andern machen, ohne selbst Einfluß darauf zu üben. Er erweist sich nur als sehr<lb/> unterrichtet (was freilich auf seinen Lebensgang im ganzen ohne Einfluß ist) »ut<lb/> außerordentlich gut und edel. Der andre, deu man als Helden ansehn könnte, Kapitän<lb/> van Heeren, ist doch ein gar zu hart gesottener Sünder, bei dem nnr wunderbar<lb/> ist, daß er bis in sein sechzigstes Jahr als leidlich anständiger Mensch gegolten hat.<lb/> Gesine, seine Tochter, erweckt ein gewisses Interesse, verschwindet aber schließlich von<lb/> der Bühne, Auch der fremdartige Ben Hallen gewinnt kein rechtes Fleisch und Blut.<lb/> Besser gelungen sind dein Verfasser die komischen Charaktere, der dicke Gärtner Klaas<lb/> und seine muntre Roscin, anch die eigenwillige, verwöhnte Dortchen Suyder.</p><lb/> <p xml:id="ID_129" next="#ID_130"> Ein Bedenken drängt sich schließlich noch auf. Zwischen dein snihern Roman<lb/> des Verfassers „Der Vernsteinsncher" und dem jetzigen „Der Diamantschleifer" herrscht<lb/> ein auffälliger Parallelismus des Stoffs und der Erfindung: hier wie dort bietet<lb/> die genaue Schilderung eines eigenartigen Berufes den Hintergrund, hier wie dort<lb/> ein beim Betriebe schlau bewerkstelligter Diebstahl das erregende Moment, Dies<lb/> scheint doch auf eine gewisse Magerkeit der Erfindung, der dichterischen Phantasie</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
Literatur,
ihn zu erkennen — eben zum Zwecke jener unsaubern Operation als „Grünen"
mit mif sein Schiff genommen hat; er findet seine Mutter wieder, die van Heeren
höflich verlassen, und erlangt noch in der Tochter seines frühern Principals, des
Besitzers der Diamnntschleiferei, aus der er einen Diamant gestohlen haben sollte,
eine reiche Braut, Van Heeren, der sich seines Mitschuldigen, des düstern Negers
Ben Hallen, durch klug als Nothwehr mnskirten Mord entledigt hat, wird dem
irdischen Richter dnrch einen rechtzeitig eintretenden Schlaganfall entzogen.
Es fehlt dem Romane nicht an spannenden und erregenden Momenten, um
einer reichen Seenerie, die aus voller Kenntniß heraus lebendig geschildert ist. Auch
erweist sich der Verfasser als ein Kenner des Lebens; mau merkt das an der Sicher¬
heit der Darstellung und Erzählung: trotz aller Wunderbarkeit des Erzählten finden
sich im einzelnen wenig Uuwahrschcinlichkeiten, überall wird mit der Wirklichkeit
gerechnet. In dieser Kenntniß und Schilderung der Wirklichkeit liegt die Stärke des
Verfassers, aber auch seine Schwäche, Im ganzen Roman überwiegt die Wirklichkeit,
der Dichter zwingt sie nicht voll in seineu Dienst, Die Realität des Lebens läßt er
in allzu vollen Strömen ans den Leser einwirken und zieht dadurch die Aufmerksam¬
keit vou den Personen ab; es sind nicht die Menschen sowohl, die uns interessiren,
es sind ihre Schicksale, Und dem Verfasser scheints ähnlich gegangen zu sein; er
schwelgt im Beiwerk, er schildert Interessantes und man kann wohl sagen —
er schildert interessant — aber freilich vieles, was nicht zur Sache gehört, wenigstens
nicht in dieser Ausführlichkeit, Der Gang einer Schiffsanktion in Rotterdam, das
Verfahren bei Schiffsversichernngen, bei Versicherung der Ladung, der Betrieb einer
Diamautschleiferei in seinen kleinsten Einzelheiten, der Verkehr des Deteetive mit
seinen College» daheim und auswärts — alles wird uns mit der größten Genauig¬
keit dargestellt. Wir werden belehrt, wie's auf dem Leuchtthurm von Ostende aussieht
und zugeht, vou jedem Briefe, der erwähnt wird,, erfahren wir den Wortlaut nebst
Ndresse und Unterschrift auch du, wo diese Dinge ganz unwesentlich sind, wir beob¬
achten die Menschen gewissermaßen mit Polizeiaugeu und erfahren alles, alles, so
daß mich dem neugierigsten nichts mehr zu fragen, niemandem etwas in Gedanken nach¬
zudichten übrig bleibt -— und damit raubt uns der Dichter einen Hauptreiz beim
Genusse eines Kunstwerks. Bei diesem Ueberwiegen der Aeußerlichkeit kommt die
psychologische Seite natürlich recht kurz weg. Der Held des Romans kauu uns nicht
sonderlich fesseln, er ist gar zu passiv. Er wird geschoben, gestoßen, gebraucht und
gemißbraucht, geliebt und schließlich geheiratet, kurz er läßt sich sein Schicksal von
andern machen, ohne selbst Einfluß darauf zu üben. Er erweist sich nur als sehr
unterrichtet (was freilich auf seinen Lebensgang im ganzen ohne Einfluß ist) »ut
außerordentlich gut und edel. Der andre, deu man als Helden ansehn könnte, Kapitän
van Heeren, ist doch ein gar zu hart gesottener Sünder, bei dem nnr wunderbar
ist, daß er bis in sein sechzigstes Jahr als leidlich anständiger Mensch gegolten hat.
Gesine, seine Tochter, erweckt ein gewisses Interesse, verschwindet aber schließlich von
der Bühne, Auch der fremdartige Ben Hallen gewinnt kein rechtes Fleisch und Blut.
Besser gelungen sind dein Verfasser die komischen Charaktere, der dicke Gärtner Klaas
und seine muntre Roscin, anch die eigenwillige, verwöhnte Dortchen Suyder.
Ein Bedenken drängt sich schließlich noch auf. Zwischen dein snihern Roman
des Verfassers „Der Vernsteinsncher" und dem jetzigen „Der Diamantschleifer" herrscht
ein auffälliger Parallelismus des Stoffs und der Erfindung: hier wie dort bietet
die genaue Schilderung eines eigenartigen Berufes den Hintergrund, hier wie dort
ein beim Betriebe schlau bewerkstelligter Diebstahl das erregende Moment, Dies
scheint doch auf eine gewisse Magerkeit der Erfindung, der dichterischen Phantasie
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