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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse.

sie sollten eben alle nur hundert Jahre alt sein, um höchst gelehrte Abhand¬
lungen über den Humor in diesen Gestalten und über die symbolische Bedeutung
der frisch realistischen Scenen wachzurufen.

Ein andres Gepräge zeigt, einen andern Grundton läßt die Tragödie "Hadrian"
(1864) erklingen. Das Verhältniß des alternden skeptischen Imperators zu seinem
Liebling Antinous hat neuerdings ein paar Romandichter angezogen; der Grund¬
gedanke ihrer Erfindung, daß eine kranke Natur eine gesunde in den Untergang
hinabzieht, hat auch Heyse vorgeschwebt und die geheime Anziehungskraft gerade
dieses Stoffes für neueste Dichter beruht offenbar in dem elegischen Gefühl, daß
auch unsre Welt alt geworden, daß kein Morgenschimmer mehr unsre Cultur
verklärt, daß die Skepsis in unsern Seelen lebt und selbst bei den Handlungen
frischer Thatkraft insgeheim mitwirkt. Dieser Hadrian, der das Weltgeheimniß
im Ker" fassen, der den bitterlichsten aller Zweifel:


Ob mehr wir sind, als Wellen eines Meers,
Emporgckräuselt durch den Hauch des Schicksals,
Um spurlos zu verfließen

gelöst haben will, der nicht glauben will, sondern erfahren und erkennen, "daß
ein All sei hinteren Nichts," der nach Gewißheit lechzt und zuletzt in Schönheit
und reiner Jugend des Räthsels Lösung zu finden glaubt, der sich damit neue,
schwere Kämpfe bereitet, bis ihn an der Leiche des Lieblings ein Gefühl der
Gottgewißheit überkommt:


Was dir gemein war mit den Elementen,
Mit Pflanze, Stein und Thier, wär' unvergänglich,
Und was dich göttlich machte, soll vergeh"?

er ist wahrlich keine antike Studie, sondern Fleisch von unserm Fleisch, Lebe"
von unserm Leben. Es dünkt uns unverständlich, wie dieser reinen großen Dichtung
gegenüber irgend jemand von der Darstellung antiker Knabenliebe hat fabeln oder
die Heraufbeschwöruug einer längst vergangnen Welt hat erblicken können. Die
Hadriantragödie stellt den Zusammenstoß der beiden Welten, in denen der moderne
Dichter lebt, leben muß, in ergreifendster und edelster Weise dar: die Welt stiller
Natürlichkeit, eines schuld- und darum schmerzlosen Lebensgenusses, einfachster
klarster Verhältnisse, und die Welt der Größe, der Macht, des Glanzes und
Ehrgeizes, der verworrnen Verhältnisse, mit welcher Trug und Schuld, die Dunkel¬
heiten und Kämpfe, die der Mensch in der eignen Seele trägt, gesetzt sind. Meister¬
haft ist die ägyptische Idylle am Mörissee zu Anfang der Tragödie, in welche
der göttermüde Hadrian hineintritt, meisterhaft die Schürzung des Knotens durch
die plötzliche geheime Anziehung, die der Kaiser lind der jugendfrische Antinous
auf einander ausüben. Tieftragisch und bis ins Innerste erschütternd erscheint das


Paul Heyse.

sie sollten eben alle nur hundert Jahre alt sein, um höchst gelehrte Abhand¬
lungen über den Humor in diesen Gestalten und über die symbolische Bedeutung
der frisch realistischen Scenen wachzurufen.

Ein andres Gepräge zeigt, einen andern Grundton läßt die Tragödie „Hadrian"
(1864) erklingen. Das Verhältniß des alternden skeptischen Imperators zu seinem
Liebling Antinous hat neuerdings ein paar Romandichter angezogen; der Grund¬
gedanke ihrer Erfindung, daß eine kranke Natur eine gesunde in den Untergang
hinabzieht, hat auch Heyse vorgeschwebt und die geheime Anziehungskraft gerade
dieses Stoffes für neueste Dichter beruht offenbar in dem elegischen Gefühl, daß
auch unsre Welt alt geworden, daß kein Morgenschimmer mehr unsre Cultur
verklärt, daß die Skepsis in unsern Seelen lebt und selbst bei den Handlungen
frischer Thatkraft insgeheim mitwirkt. Dieser Hadrian, der das Weltgeheimniß
im Ker» fassen, der den bitterlichsten aller Zweifel:


Ob mehr wir sind, als Wellen eines Meers,
Emporgckräuselt durch den Hauch des Schicksals,
Um spurlos zu verfließen

gelöst haben will, der nicht glauben will, sondern erfahren und erkennen, „daß
ein All sei hinteren Nichts," der nach Gewißheit lechzt und zuletzt in Schönheit
und reiner Jugend des Räthsels Lösung zu finden glaubt, der sich damit neue,
schwere Kämpfe bereitet, bis ihn an der Leiche des Lieblings ein Gefühl der
Gottgewißheit überkommt:


Was dir gemein war mit den Elementen,
Mit Pflanze, Stein und Thier, wär' unvergänglich,
Und was dich göttlich machte, soll vergeh»?

er ist wahrlich keine antike Studie, sondern Fleisch von unserm Fleisch, Lebe»
von unserm Leben. Es dünkt uns unverständlich, wie dieser reinen großen Dichtung
gegenüber irgend jemand von der Darstellung antiker Knabenliebe hat fabeln oder
die Heraufbeschwöruug einer längst vergangnen Welt hat erblicken können. Die
Hadriantragödie stellt den Zusammenstoß der beiden Welten, in denen der moderne
Dichter lebt, leben muß, in ergreifendster und edelster Weise dar: die Welt stiller
Natürlichkeit, eines schuld- und darum schmerzlosen Lebensgenusses, einfachster
klarster Verhältnisse, und die Welt der Größe, der Macht, des Glanzes und
Ehrgeizes, der verworrnen Verhältnisse, mit welcher Trug und Schuld, die Dunkel¬
heiten und Kämpfe, die der Mensch in der eignen Seele trägt, gesetzt sind. Meister¬
haft ist die ägyptische Idylle am Mörissee zu Anfang der Tragödie, in welche
der göttermüde Hadrian hineintritt, meisterhaft die Schürzung des Knotens durch
die plötzliche geheime Anziehung, die der Kaiser lind der jugendfrische Antinous
auf einander ausüben. Tieftragisch und bis ins Innerste erschütternd erscheint das


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[0488] Paul Heyse. sie sollten eben alle nur hundert Jahre alt sein, um höchst gelehrte Abhand¬ lungen über den Humor in diesen Gestalten und über die symbolische Bedeutung der frisch realistischen Scenen wachzurufen. Ein andres Gepräge zeigt, einen andern Grundton läßt die Tragödie „Hadrian" (1864) erklingen. Das Verhältniß des alternden skeptischen Imperators zu seinem Liebling Antinous hat neuerdings ein paar Romandichter angezogen; der Grund¬ gedanke ihrer Erfindung, daß eine kranke Natur eine gesunde in den Untergang hinabzieht, hat auch Heyse vorgeschwebt und die geheime Anziehungskraft gerade dieses Stoffes für neueste Dichter beruht offenbar in dem elegischen Gefühl, daß auch unsre Welt alt geworden, daß kein Morgenschimmer mehr unsre Cultur verklärt, daß die Skepsis in unsern Seelen lebt und selbst bei den Handlungen frischer Thatkraft insgeheim mitwirkt. Dieser Hadrian, der das Weltgeheimniß im Ker» fassen, der den bitterlichsten aller Zweifel: Ob mehr wir sind, als Wellen eines Meers, Emporgckräuselt durch den Hauch des Schicksals, Um spurlos zu verfließen gelöst haben will, der nicht glauben will, sondern erfahren und erkennen, „daß ein All sei hinteren Nichts," der nach Gewißheit lechzt und zuletzt in Schönheit und reiner Jugend des Räthsels Lösung zu finden glaubt, der sich damit neue, schwere Kämpfe bereitet, bis ihn an der Leiche des Lieblings ein Gefühl der Gottgewißheit überkommt: Was dir gemein war mit den Elementen, Mit Pflanze, Stein und Thier, wär' unvergänglich, Und was dich göttlich machte, soll vergeh»? er ist wahrlich keine antike Studie, sondern Fleisch von unserm Fleisch, Lebe» von unserm Leben. Es dünkt uns unverständlich, wie dieser reinen großen Dichtung gegenüber irgend jemand von der Darstellung antiker Knabenliebe hat fabeln oder die Heraufbeschwöruug einer längst vergangnen Welt hat erblicken können. Die Hadriantragödie stellt den Zusammenstoß der beiden Welten, in denen der moderne Dichter lebt, leben muß, in ergreifendster und edelster Weise dar: die Welt stiller Natürlichkeit, eines schuld- und darum schmerzlosen Lebensgenusses, einfachster klarster Verhältnisse, und die Welt der Größe, der Macht, des Glanzes und Ehrgeizes, der verworrnen Verhältnisse, mit welcher Trug und Schuld, die Dunkel¬ heiten und Kämpfe, die der Mensch in der eignen Seele trägt, gesetzt sind. Meister¬ haft ist die ägyptische Idylle am Mörissee zu Anfang der Tragödie, in welche der göttermüde Hadrian hineintritt, meisterhaft die Schürzung des Knotens durch die plötzliche geheime Anziehung, die der Kaiser lind der jugendfrische Antinous auf einander ausüben. Tieftragisch und bis ins Innerste erschütternd erscheint das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/488>, abgerufen am 23.07.2024.