Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.j)aut Heyse. in lebendigen Scenen dar, entbehrt jedoch der schärfern Spannung und jener j)aut Heyse. in lebendigen Scenen dar, entbehrt jedoch der schärfern Spannung und jener <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150058"/> <fw type="header" place="top"> j)aut Heyse.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1637" prev="#ID_1636" next="#ID_1638"> in lebendigen Scenen dar, entbehrt jedoch der schärfern Spannung und jener<lb/> Steigerung, welche nicht bloß die Handlung vorwärts bringt, sonder» auch die<lb/> Charaktere weiter entwickelt und neue Seiten an ihnen enthüllt. In der ganzen<lb/> Anlage der „Elisabeth Charlotte" ist ein rctardirendes Element, der beständige<lb/> Rückblick auf die Heidelberger Jugend der Titelheldin unvermeidlich, und der<lb/> kleine Conflict, der sich an diese Jugenderinnerungen und das neue Erscheinen<lb/> des Grafen von Wied am französischen Hofe knüpft, wie die ganze schließliche<lb/> Lösung haben ein novellistisches Gepräge. In weit stärkeren Maße noch gilt<lb/> dies von dem poetisch viel bedeutendem Trauerspiel „Maria Moroni." Dies<lb/> ist vollständig eine drcnnatisirte Novelle, der Anlage wie der Durchführung nach.<lb/> Der ewig neue Conflict zwischen der männlichen und der weiblichen Liebesauf¬<lb/> fassung, in einer Handlung, die im Italien des 16. Jahrhunderts spielt, ist<lb/> hier mit großer psychologischer Feinheit vertieft und tragisch gewandt; die ganze<lb/> Lage der stolzen Römerin Maria an der Seite des erwerbsüchtigcu und sein<lb/> schönes Weib doch so heiß und innig liebenden Provinzialen von Arieia, ihr<lb/> plötzliches Ueberwältigtsein durch die Prachterscheiuung deS Fürsten Orlando Sa-<lb/> vellv, die halbausgesprochucn und darum mißverstaudnen Empfindungen, welche<lb/> zwischen Fürst Orlando und Maria, zwischen Matteo und seinem Weibe hin- und hec-<lb/> wogen, müssen aufs tiefste interessiren. Aber sie interessiren ebenso wie die Fein-<lb/> heiten des Dialogs mit seinen hundert Ausblicken in das Leben der kleine» italie¬<lb/> nischen Stadt, es ist Interesse an der Situation, an der Stimmung, nicht an<lb/> der Activ» und dem thatsächlichen Willen der Gestalten. Tiefre Spannung<lb/> tritt erst ein, als am Schlüsse des vierten Actes auf Piombinos Zureden die<lb/> ursprüngliche, sinnlich bcgehrcndc Natur in Snvcllo erwacht, bei Maria die Liebes-<lb/> empfiudung in den Haß des tödtlich beleidigten Weibes umschlägt, Matteo aber,<lb/> aus dein Eigennutz und dem Philisterium des Kleinstädters herausgetrieben,<lb/> nur noch von seinein Nacheverlang.er beherrscht erscheint. Jetzt verstärkt sich der<lb/> Conflict, jetzt wächst die Spannung, jetzt fühlt man den dramatischen Kern wohl<lb/> heraus, der in dieser dramatisirten Novelle steckt. Vielleicht ließe er sich auch<lb/> herausspielen, in voller Wirkung muss Theater bringen, aber dazu würde em<lb/> ganz andres Verhältniß zwischen Dichtung und darstellender Kunst gehören, als<lb/> in Deutschland obwaltet. Am bedenklichsten erscheint das novellistische Element<lb/> im Trauerspiel „Die Göttin der Vernunft." Dasselbe spielt in Straßburg, am<lb/> Ausgang des Jahres 1793 und ist nicht nur in seinem Problem unklar und<lb/> unerfreulich, sondern vor allen Dingen im dramatischen Interesse durch das.Herein-<lb/> ragen eines Dvppelromaus aus frühern Zeiten gelähmt. Die griechische Tragödie<lb/> scheute sich freilich nicht die Vergangenheit hereinzuziehen, der ganze „Kömg<lb/> Oedipus" ist im Grunde die mit der kunstvollen Spannung und Steigerung vorge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0486]
j)aut Heyse.
in lebendigen Scenen dar, entbehrt jedoch der schärfern Spannung und jener
Steigerung, welche nicht bloß die Handlung vorwärts bringt, sonder» auch die
Charaktere weiter entwickelt und neue Seiten an ihnen enthüllt. In der ganzen
Anlage der „Elisabeth Charlotte" ist ein rctardirendes Element, der beständige
Rückblick auf die Heidelberger Jugend der Titelheldin unvermeidlich, und der
kleine Conflict, der sich an diese Jugenderinnerungen und das neue Erscheinen
des Grafen von Wied am französischen Hofe knüpft, wie die ganze schließliche
Lösung haben ein novellistisches Gepräge. In weit stärkeren Maße noch gilt
dies von dem poetisch viel bedeutendem Trauerspiel „Maria Moroni." Dies
ist vollständig eine drcnnatisirte Novelle, der Anlage wie der Durchführung nach.
Der ewig neue Conflict zwischen der männlichen und der weiblichen Liebesauf¬
fassung, in einer Handlung, die im Italien des 16. Jahrhunderts spielt, ist
hier mit großer psychologischer Feinheit vertieft und tragisch gewandt; die ganze
Lage der stolzen Römerin Maria an der Seite des erwerbsüchtigcu und sein
schönes Weib doch so heiß und innig liebenden Provinzialen von Arieia, ihr
plötzliches Ueberwältigtsein durch die Prachterscheiuung deS Fürsten Orlando Sa-
vellv, die halbausgesprochucn und darum mißverstaudnen Empfindungen, welche
zwischen Fürst Orlando und Maria, zwischen Matteo und seinem Weibe hin- und hec-
wogen, müssen aufs tiefste interessiren. Aber sie interessiren ebenso wie die Fein-
heiten des Dialogs mit seinen hundert Ausblicken in das Leben der kleine» italie¬
nischen Stadt, es ist Interesse an der Situation, an der Stimmung, nicht an
der Activ» und dem thatsächlichen Willen der Gestalten. Tiefre Spannung
tritt erst ein, als am Schlüsse des vierten Actes auf Piombinos Zureden die
ursprüngliche, sinnlich bcgehrcndc Natur in Snvcllo erwacht, bei Maria die Liebes-
empfiudung in den Haß des tödtlich beleidigten Weibes umschlägt, Matteo aber,
aus dein Eigennutz und dem Philisterium des Kleinstädters herausgetrieben,
nur noch von seinein Nacheverlang.er beherrscht erscheint. Jetzt verstärkt sich der
Conflict, jetzt wächst die Spannung, jetzt fühlt man den dramatischen Kern wohl
heraus, der in dieser dramatisirten Novelle steckt. Vielleicht ließe er sich auch
herausspielen, in voller Wirkung muss Theater bringen, aber dazu würde em
ganz andres Verhältniß zwischen Dichtung und darstellender Kunst gehören, als
in Deutschland obwaltet. Am bedenklichsten erscheint das novellistische Element
im Trauerspiel „Die Göttin der Vernunft." Dasselbe spielt in Straßburg, am
Ausgang des Jahres 1793 und ist nicht nur in seinem Problem unklar und
unerfreulich, sondern vor allen Dingen im dramatischen Interesse durch das.Herein-
ragen eines Dvppelromaus aus frühern Zeiten gelähmt. Die griechische Tragödie
scheute sich freilich nicht die Vergangenheit hereinzuziehen, der ganze „Kömg
Oedipus" ist im Grunde die mit der kunstvollen Spannung und Steigerung vorge-
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