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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zur landwirthschaftlichen Zollfrage.

Gewerbe. Um dieses städtische Centrum werden sich die einzelnen landwirth¬
schaftlichen Betriebszweige im allgemeinen nach dem Grundsatze gruppiren müssen,
daß ein Product um so näher am Markte erzeugt werden muß, je schwieriger
es sich nach Haltbarkeit, Gewicht oder Volumen transportiren läßt. So bildet
sich, in seinen Grenzen durch die städtische Nachfrage bestimmt, für jedes land-
wirthschaftliche Hauptproduet ein ringförmiges Prvduetionsgcbiet, Die Intensität
des Betriebes steht überall im umgekehrten Verhältniß zu der Entfernung von
dem städtischen Centralpunkt, Wie auf einer Wasserfläche, in die man einen Stein
wirft, so wird auch in diesem isolirten Staat die von der Mitte sich fortpflanzende
Anregung schwächer und schwächer bis zu ihrem schließlichen Verschwinden.

Daß die Wirklichkeit uns nirgends einen solchen idealen Staat, sondern
nur eine Anzahl verzerrter und verunstalteter Abbilder desselben aufzeigen kann,
liegt auf der Hand. Unstreitig umschließt jedoch jeder größre politische Staat
Gebietstheile verschiedner nach Analogie des Thünenschen Staats entstmidnen
wirthschaftlichen Systeme, von denen manche ihr Centrum, andre einen Theil
ihrer "äußern Ringe" außerhalb seiner Grenzen haben. Aus jedes dieser wirth¬
schaftlichen Systeme kann der Zoll eine andre Wirkung äußern, so daß man sich
hüten muß, eine solche irgendwo beobachtete Wirkung ohne weitres auch für ein
ganz andres Gebiet oder gar für den ganzen Staat als maßgebend zu betrachten.

Nehmen wir nun an, ein Segment des Thünenschen Staates werde durch
eine Zollgrenze abgeschnitten, so wird sich die Wirkung der Zölle zunächst darin
äußern, daß die zollpflichtigen Waaren innerhalb der Zollgrenzen nach Ver¬
rechnung der Transportkosten sich um den Betrag des Zolles theurer stellen
als jenseits derselben. Dies ist unzweifelhaft, denn eine Waare, die bereits ihren
Zoll bezahlt hat, muß nothwendigerweise um so viel mehr werth sein als vorher.
Diese so natürliche Erscheinung hat nun aber die Vertheidiger der Ansicht, daß
die landwirthschaftlichen Zölle lediglich von den Consumenten getragen werden,
vielfach zu einer eigenthümlichen Argumentation geführt. Man deducirt: Wäre
nicht der Zoll, so müßte man diesseits der Zollgrenze eben so billig kaufen
können wie jenseits, der inländische Consumcnt muß also in Form der Preis¬
differenz dem importirendcn Ausländer den Zoll vergüten. Man übersieht dabei,
daß mit gleichem Recht auch umgekehrt argumentire werden könnte: Wäre nicht
der Zoll, so würden die zollpflichtigen Waaren jenseits der Zollgrenze eben so
theuer sein wie diesseits, der Zoll hat daher den Marktpreis im Auslande um
die ganze Differenz heruntergedrückt. Beide Argumentationen wären gleich ein¬
seitig. Ob die Differenz des diesseits und des jenseits der Zollgrenze geltenden
Marktpreises eine Belastung des inländischen Consumenten oder des ausländischen
Producenten ausdrückt, hängt lediglich davon ab, ob freie Concurrenz den letztern


Zur landwirthschaftlichen Zollfrage.

Gewerbe. Um dieses städtische Centrum werden sich die einzelnen landwirth¬
schaftlichen Betriebszweige im allgemeinen nach dem Grundsatze gruppiren müssen,
daß ein Product um so näher am Markte erzeugt werden muß, je schwieriger
es sich nach Haltbarkeit, Gewicht oder Volumen transportiren läßt. So bildet
sich, in seinen Grenzen durch die städtische Nachfrage bestimmt, für jedes land-
wirthschaftliche Hauptproduet ein ringförmiges Prvduetionsgcbiet, Die Intensität
des Betriebes steht überall im umgekehrten Verhältniß zu der Entfernung von
dem städtischen Centralpunkt, Wie auf einer Wasserfläche, in die man einen Stein
wirft, so wird auch in diesem isolirten Staat die von der Mitte sich fortpflanzende
Anregung schwächer und schwächer bis zu ihrem schließlichen Verschwinden.

Daß die Wirklichkeit uns nirgends einen solchen idealen Staat, sondern
nur eine Anzahl verzerrter und verunstalteter Abbilder desselben aufzeigen kann,
liegt auf der Hand. Unstreitig umschließt jedoch jeder größre politische Staat
Gebietstheile verschiedner nach Analogie des Thünenschen Staats entstmidnen
wirthschaftlichen Systeme, von denen manche ihr Centrum, andre einen Theil
ihrer „äußern Ringe" außerhalb seiner Grenzen haben. Aus jedes dieser wirth¬
schaftlichen Systeme kann der Zoll eine andre Wirkung äußern, so daß man sich
hüten muß, eine solche irgendwo beobachtete Wirkung ohne weitres auch für ein
ganz andres Gebiet oder gar für den ganzen Staat als maßgebend zu betrachten.

Nehmen wir nun an, ein Segment des Thünenschen Staates werde durch
eine Zollgrenze abgeschnitten, so wird sich die Wirkung der Zölle zunächst darin
äußern, daß die zollpflichtigen Waaren innerhalb der Zollgrenzen nach Ver¬
rechnung der Transportkosten sich um den Betrag des Zolles theurer stellen
als jenseits derselben. Dies ist unzweifelhaft, denn eine Waare, die bereits ihren
Zoll bezahlt hat, muß nothwendigerweise um so viel mehr werth sein als vorher.
Diese so natürliche Erscheinung hat nun aber die Vertheidiger der Ansicht, daß
die landwirthschaftlichen Zölle lediglich von den Consumenten getragen werden,
vielfach zu einer eigenthümlichen Argumentation geführt. Man deducirt: Wäre
nicht der Zoll, so müßte man diesseits der Zollgrenze eben so billig kaufen
können wie jenseits, der inländische Consumcnt muß also in Form der Preis¬
differenz dem importirendcn Ausländer den Zoll vergüten. Man übersieht dabei,
daß mit gleichem Recht auch umgekehrt argumentire werden könnte: Wäre nicht
der Zoll, so würden die zollpflichtigen Waaren jenseits der Zollgrenze eben so
theuer sein wie diesseits, der Zoll hat daher den Marktpreis im Auslande um
die ganze Differenz heruntergedrückt. Beide Argumentationen wären gleich ein¬
seitig. Ob die Differenz des diesseits und des jenseits der Zollgrenze geltenden
Marktpreises eine Belastung des inländischen Consumenten oder des ausländischen
Producenten ausdrückt, hängt lediglich davon ab, ob freie Concurrenz den letztern


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[0462] Zur landwirthschaftlichen Zollfrage. Gewerbe. Um dieses städtische Centrum werden sich die einzelnen landwirth¬ schaftlichen Betriebszweige im allgemeinen nach dem Grundsatze gruppiren müssen, daß ein Product um so näher am Markte erzeugt werden muß, je schwieriger es sich nach Haltbarkeit, Gewicht oder Volumen transportiren läßt. So bildet sich, in seinen Grenzen durch die städtische Nachfrage bestimmt, für jedes land- wirthschaftliche Hauptproduet ein ringförmiges Prvduetionsgcbiet, Die Intensität des Betriebes steht überall im umgekehrten Verhältniß zu der Entfernung von dem städtischen Centralpunkt, Wie auf einer Wasserfläche, in die man einen Stein wirft, so wird auch in diesem isolirten Staat die von der Mitte sich fortpflanzende Anregung schwächer und schwächer bis zu ihrem schließlichen Verschwinden. Daß die Wirklichkeit uns nirgends einen solchen idealen Staat, sondern nur eine Anzahl verzerrter und verunstalteter Abbilder desselben aufzeigen kann, liegt auf der Hand. Unstreitig umschließt jedoch jeder größre politische Staat Gebietstheile verschiedner nach Analogie des Thünenschen Staats entstmidnen wirthschaftlichen Systeme, von denen manche ihr Centrum, andre einen Theil ihrer „äußern Ringe" außerhalb seiner Grenzen haben. Aus jedes dieser wirth¬ schaftlichen Systeme kann der Zoll eine andre Wirkung äußern, so daß man sich hüten muß, eine solche irgendwo beobachtete Wirkung ohne weitres auch für ein ganz andres Gebiet oder gar für den ganzen Staat als maßgebend zu betrachten. Nehmen wir nun an, ein Segment des Thünenschen Staates werde durch eine Zollgrenze abgeschnitten, so wird sich die Wirkung der Zölle zunächst darin äußern, daß die zollpflichtigen Waaren innerhalb der Zollgrenzen nach Ver¬ rechnung der Transportkosten sich um den Betrag des Zolles theurer stellen als jenseits derselben. Dies ist unzweifelhaft, denn eine Waare, die bereits ihren Zoll bezahlt hat, muß nothwendigerweise um so viel mehr werth sein als vorher. Diese so natürliche Erscheinung hat nun aber die Vertheidiger der Ansicht, daß die landwirthschaftlichen Zölle lediglich von den Consumenten getragen werden, vielfach zu einer eigenthümlichen Argumentation geführt. Man deducirt: Wäre nicht der Zoll, so müßte man diesseits der Zollgrenze eben so billig kaufen können wie jenseits, der inländische Consumcnt muß also in Form der Preis¬ differenz dem importirendcn Ausländer den Zoll vergüten. Man übersieht dabei, daß mit gleichem Recht auch umgekehrt argumentire werden könnte: Wäre nicht der Zoll, so würden die zollpflichtigen Waaren jenseits der Zollgrenze eben so theuer sein wie diesseits, der Zoll hat daher den Marktpreis im Auslande um die ganze Differenz heruntergedrückt. Beide Argumentationen wären gleich ein¬ seitig. Ob die Differenz des diesseits und des jenseits der Zollgrenze geltenden Marktpreises eine Belastung des inländischen Consumenten oder des ausländischen Producenten ausdrückt, hängt lediglich davon ab, ob freie Concurrenz den letztern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/462>, abgerufen am 23.07.2024.