Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Gleim ein Bertuch,

und der ihm zu Theil werdenden Anerkennung nie zufriedner Gleim: es ist
geradezu komisch, wie er fast in einem Athem spricht, Buchhändler oder Bevoll¬
mächtigter kleiner Höfe zu werden, als wenn zur Betreibung dieses oder jenes
Geschäftes nicht Vorbereitung oder Ausbildung gehörte. Bemerkenswerth ist
ferner in Brief 3 die sonderbare Lust Gleims, sein eigner Verleger zu werden,
eine Lust, von der bekanntlich auch Lessing nicht frei war, und der mit dieser
Lust zusammenhängende Haß gegen die Buchhändler, in der er unter seinen schrift¬
stellerischen Genossen manche Uebereinstimmung fand. Dagegen sind die Briefe 6
und 7, welche schon wegen der Mittheilungen über bedeutende Persönlichkeiten,
die sie enthalten, nicht unwichtig sind, ein hübsches Zeichen für Gleims Streben,
junge Talente zu befördern, ideale Zwecke zu unterstützen und neidlos sich den
Entscheidungen andrer zu fügen. Endlich führen die beiden letzten Brieffrag¬
mente trefflich in die Stimmung ein, die sich des alten Gleim und mit ihm gar
vieler Altgewordnen bei Betrachtung der französischen Revolution und der lite¬
rarischen Umwälzungen bemächtigt hatte, welche durch Schillers und Goethes
Xenien hervorgerufen worden waren. Freilich Vater Gleim gewinnt nichts durch
solche Enthüllungen, er zeigt eben nur, daß er sich überlebt hatte und doch so
gern den Glauben in sich nährte und andern beibringen wollte, er besäße noch
die "Kraft und Schnelle des alten Peleus." In dem Weimarer Schmollwinkel
mochte Bertuch vielleicht ähnliche Gedanken hegen, wie sein bewährter Jugend¬
freund, der in Halberstadt hauste, aber Bertuch war nicht bloß Literat, sondern
er war ein Geschäftsmann von wunderbarer Vielseitigkeit und genialer Schaffens¬
lust und Schöpferkraft, ein Gelehrter oder wenigstens ein für gelehrte Bestrebungen
Empfänglicher, ein Mann des öffentlichen Lebens, der bei aller Selbstachtung
doch selten in Ueberschätzung gerieth und niemals zu dem naiven Glauben kam,
er sei der einzig bedeutende Mann auf Erden. Von dieseni Gesichtspunkte aus
betrachtet, erlangt der Briefwechsel zwischen beiden Männern doch eine höhere
Bedeutung, als er durch die spärlichen in ihm erhaltnen literarischen Notizen
zu beanspruchen scheint: er zeigt das Zusammentreffen, Nebeneinandergehen und
allmähliche Loslösen zweier Naturen lind zweier Anschauungen, die für die Cultur
des 18. Jahrhunderts charakteristisch siud.


Ludwig Geiger.


Gleim ein Bertuch,

und der ihm zu Theil werdenden Anerkennung nie zufriedner Gleim: es ist
geradezu komisch, wie er fast in einem Athem spricht, Buchhändler oder Bevoll¬
mächtigter kleiner Höfe zu werden, als wenn zur Betreibung dieses oder jenes
Geschäftes nicht Vorbereitung oder Ausbildung gehörte. Bemerkenswerth ist
ferner in Brief 3 die sonderbare Lust Gleims, sein eigner Verleger zu werden,
eine Lust, von der bekanntlich auch Lessing nicht frei war, und der mit dieser
Lust zusammenhängende Haß gegen die Buchhändler, in der er unter seinen schrift¬
stellerischen Genossen manche Uebereinstimmung fand. Dagegen sind die Briefe 6
und 7, welche schon wegen der Mittheilungen über bedeutende Persönlichkeiten,
die sie enthalten, nicht unwichtig sind, ein hübsches Zeichen für Gleims Streben,
junge Talente zu befördern, ideale Zwecke zu unterstützen und neidlos sich den
Entscheidungen andrer zu fügen. Endlich führen die beiden letzten Brieffrag¬
mente trefflich in die Stimmung ein, die sich des alten Gleim und mit ihm gar
vieler Altgewordnen bei Betrachtung der französischen Revolution und der lite¬
rarischen Umwälzungen bemächtigt hatte, welche durch Schillers und Goethes
Xenien hervorgerufen worden waren. Freilich Vater Gleim gewinnt nichts durch
solche Enthüllungen, er zeigt eben nur, daß er sich überlebt hatte und doch so
gern den Glauben in sich nährte und andern beibringen wollte, er besäße noch
die „Kraft und Schnelle des alten Peleus." In dem Weimarer Schmollwinkel
mochte Bertuch vielleicht ähnliche Gedanken hegen, wie sein bewährter Jugend¬
freund, der in Halberstadt hauste, aber Bertuch war nicht bloß Literat, sondern
er war ein Geschäftsmann von wunderbarer Vielseitigkeit und genialer Schaffens¬
lust und Schöpferkraft, ein Gelehrter oder wenigstens ein für gelehrte Bestrebungen
Empfänglicher, ein Mann des öffentlichen Lebens, der bei aller Selbstachtung
doch selten in Ueberschätzung gerieth und niemals zu dem naiven Glauben kam,
er sei der einzig bedeutende Mann auf Erden. Von dieseni Gesichtspunkte aus
betrachtet, erlangt der Briefwechsel zwischen beiden Männern doch eine höhere
Bedeutung, als er durch die spärlichen in ihm erhaltnen literarischen Notizen
zu beanspruchen scheint: er zeigt das Zusammentreffen, Nebeneinandergehen und
allmähliche Loslösen zweier Naturen lind zweier Anschauungen, die für die Cultur
des 18. Jahrhunderts charakteristisch siud.


Ludwig Geiger.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150024"/>
            <fw type="header" place="top"> Gleim ein Bertuch,</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1510" prev="#ID_1509"> und der ihm zu Theil werdenden Anerkennung nie zufriedner Gleim: es ist<lb/>
geradezu komisch, wie er fast in einem Athem spricht, Buchhändler oder Bevoll¬<lb/>
mächtigter kleiner Höfe zu werden, als wenn zur Betreibung dieses oder jenes<lb/>
Geschäftes nicht Vorbereitung oder Ausbildung gehörte. Bemerkenswerth ist<lb/>
ferner in Brief 3 die sonderbare Lust Gleims, sein eigner Verleger zu werden,<lb/>
eine Lust, von der bekanntlich auch Lessing nicht frei war, und der mit dieser<lb/>
Lust zusammenhängende Haß gegen die Buchhändler, in der er unter seinen schrift¬<lb/>
stellerischen Genossen manche Uebereinstimmung fand. Dagegen sind die Briefe 6<lb/>
und 7, welche schon wegen der Mittheilungen über bedeutende Persönlichkeiten,<lb/>
die sie enthalten, nicht unwichtig sind, ein hübsches Zeichen für Gleims Streben,<lb/>
junge Talente zu befördern, ideale Zwecke zu unterstützen und neidlos sich den<lb/>
Entscheidungen andrer zu fügen. Endlich führen die beiden letzten Brieffrag¬<lb/>
mente trefflich in die Stimmung ein, die sich des alten Gleim und mit ihm gar<lb/>
vieler Altgewordnen bei Betrachtung der französischen Revolution und der lite¬<lb/>
rarischen Umwälzungen bemächtigt hatte, welche durch Schillers und Goethes<lb/>
Xenien hervorgerufen worden waren. Freilich Vater Gleim gewinnt nichts durch<lb/>
solche Enthüllungen, er zeigt eben nur, daß er sich überlebt hatte und doch so<lb/>
gern den Glauben in sich nährte und andern beibringen wollte, er besäße noch<lb/>
die &#x201E;Kraft und Schnelle des alten Peleus." In dem Weimarer Schmollwinkel<lb/>
mochte Bertuch vielleicht ähnliche Gedanken hegen, wie sein bewährter Jugend¬<lb/>
freund, der in Halberstadt hauste, aber Bertuch war nicht bloß Literat, sondern<lb/>
er war ein Geschäftsmann von wunderbarer Vielseitigkeit und genialer Schaffens¬<lb/>
lust und Schöpferkraft, ein Gelehrter oder wenigstens ein für gelehrte Bestrebungen<lb/>
Empfänglicher, ein Mann des öffentlichen Lebens, der bei aller Selbstachtung<lb/>
doch selten in Ueberschätzung gerieth und niemals zu dem naiven Glauben kam,<lb/>
er sei der einzig bedeutende Mann auf Erden. Von dieseni Gesichtspunkte aus<lb/>
betrachtet, erlangt der Briefwechsel zwischen beiden Männern doch eine höhere<lb/>
Bedeutung, als er durch die spärlichen in ihm erhaltnen literarischen Notizen<lb/>
zu beanspruchen scheint: er zeigt das Zusammentreffen, Nebeneinandergehen und<lb/>
allmähliche Loslösen zweier Naturen lind zweier Anschauungen, die für die Cultur<lb/>
des 18. Jahrhunderts charakteristisch siud.</p><lb/>
            <note type="byline"> Ludwig Geiger.</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] Gleim ein Bertuch, und der ihm zu Theil werdenden Anerkennung nie zufriedner Gleim: es ist geradezu komisch, wie er fast in einem Athem spricht, Buchhändler oder Bevoll¬ mächtigter kleiner Höfe zu werden, als wenn zur Betreibung dieses oder jenes Geschäftes nicht Vorbereitung oder Ausbildung gehörte. Bemerkenswerth ist ferner in Brief 3 die sonderbare Lust Gleims, sein eigner Verleger zu werden, eine Lust, von der bekanntlich auch Lessing nicht frei war, und der mit dieser Lust zusammenhängende Haß gegen die Buchhändler, in der er unter seinen schrift¬ stellerischen Genossen manche Uebereinstimmung fand. Dagegen sind die Briefe 6 und 7, welche schon wegen der Mittheilungen über bedeutende Persönlichkeiten, die sie enthalten, nicht unwichtig sind, ein hübsches Zeichen für Gleims Streben, junge Talente zu befördern, ideale Zwecke zu unterstützen und neidlos sich den Entscheidungen andrer zu fügen. Endlich führen die beiden letzten Brieffrag¬ mente trefflich in die Stimmung ein, die sich des alten Gleim und mit ihm gar vieler Altgewordnen bei Betrachtung der französischen Revolution und der lite¬ rarischen Umwälzungen bemächtigt hatte, welche durch Schillers und Goethes Xenien hervorgerufen worden waren. Freilich Vater Gleim gewinnt nichts durch solche Enthüllungen, er zeigt eben nur, daß er sich überlebt hatte und doch so gern den Glauben in sich nährte und andern beibringen wollte, er besäße noch die „Kraft und Schnelle des alten Peleus." In dem Weimarer Schmollwinkel mochte Bertuch vielleicht ähnliche Gedanken hegen, wie sein bewährter Jugend¬ freund, der in Halberstadt hauste, aber Bertuch war nicht bloß Literat, sondern er war ein Geschäftsmann von wunderbarer Vielseitigkeit und genialer Schaffens¬ lust und Schöpferkraft, ein Gelehrter oder wenigstens ein für gelehrte Bestrebungen Empfänglicher, ein Mann des öffentlichen Lebens, der bei aller Selbstachtung doch selten in Ueberschätzung gerieth und niemals zu dem naiven Glauben kam, er sei der einzig bedeutende Mann auf Erden. Von dieseni Gesichtspunkte aus betrachtet, erlangt der Briefwechsel zwischen beiden Männern doch eine höhere Bedeutung, als er durch die spärlichen in ihm erhaltnen literarischen Notizen zu beanspruchen scheint: er zeigt das Zusammentreffen, Nebeneinandergehen und allmähliche Loslösen zweier Naturen lind zweier Anschauungen, die für die Cultur des 18. Jahrhunderts charakteristisch siud. Ludwig Geiger.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/452>, abgerufen am 01.07.2024.