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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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peint Heyse,

verräth es, daß diese Partien aus lebendigster Vorstellung und Mitempfindung
entströmt sind, und wenn im dramatischen Kunstwerk in der That nur das eine
Hauptmotiv mit voller Gewalt und Stärke wirkte und alles andre darüber gleich-
giltig und zum bloßen Beiwerk würde, so müßte die Tragödie unsern besten hinzu¬
gezählt werden. Allein das gerade Gegentheil ist der Fall, jede Voraussetzung
und Nebenhandlung spricht bei der Totalwirkung mit, und so konnte die Macht
der poetischen Entwicklung hier nicht die widrige Voraussetzung überwinden, welche
für uns in dem römischen Räubernest, in dem brutalen Frauenraube und dem
nachherigen Auftreten der Römer liegt. Mit Recht könnte sich freilich der Dichter
darauf berufen, daß eben in dieser allzu prononcirten Abneigung gegen die rauhe
und rohe Natürlichkeit, gegen die Brutalität der ursprünglichen und energischen
Lebensgefühle ein Hauptgrund liege, warum das Drama unter uns nicht gedeihen
wolle., Dem ist so, aber der lebendig Schaffende darf sich auch einem härtesten
Gesetz seiner Zeit und Culturwelt nicht entziehen, wenn es nur ein Gesetz, nicht
eine äußerliche Laune ist.

Indeß waren es Irrthümer einer Kraft und einer reichen, naturgemäßen
Entwicklung, von denen wir hier sprechen. Nur bei der wahrhaften Produc-
tivität ist überhaupt der Anlaß gegeben, das Verhältniß der einzelnen Werte
zur eigensten Natur des Schaffenden und das Verhältniß dieser Natur zur
allgemeinen Kunst zu erörtern. Das Gold des Reichen wird auf Gepräge,
Mischung und Vollgcwicht geprüft, die Scheidemünze des Armen, so sie nicht
geradezu Blech ist, geht unbesehen von Hand zu Hand. Es ist ein ungeheurer
Unterschied, ob im großen Zuge einer freien poetischen Entwicklung und eines
unablässigen Schaffens ein paar minder gelungne Werke, einzelne Vorwürfe und
Ausführungen erscheinen, bei denen sich der Dichter über die Vorbedingungen
des ergriffnen Stoffes oder über den Wärmegrad seines innern Mitlebens ge-
tünscht hat, oder ob diese minder gelungner Werke Producte gequälter und müh¬
samer Reflexion sind. Niemand wird es entgehen, daß Heyse im einzelnen viel
künstlerische Bewußtheit besitzt. Aber es ist jene Bewußtheit, die in den Pansen
des poetischen Schaffens als eine Art Gewissen den Künstler im stillen mächtig
fördert, in der Stunde des Schaffens jedoch dem Müssen der Natur weicht
und nie hindert, daß Gestalt und Bild, Gedanke und Stimmung die ganze
Seele füllen, wenigstens füllen können. Dieser freie und ganze Zug der Natur
ist es, welcher es schwierig macht, die Werke unsers Dichters nach Perioden zu
gruppiren. Im allgemeinen läßt sich wohl sagen und nachweisen, daß in seiner
ersten Periode eine sonnige, glückstrahlende Heiterkeit überwiegt, daß ihn das
Vollgefühl der Jugend wie auf glänzenden Wogen trägt und rasch über jene
einzelnen Klippen und Riffe hinwegführt, die jedem Sehenden und Fühlenden


peint Heyse,

verräth es, daß diese Partien aus lebendigster Vorstellung und Mitempfindung
entströmt sind, und wenn im dramatischen Kunstwerk in der That nur das eine
Hauptmotiv mit voller Gewalt und Stärke wirkte und alles andre darüber gleich-
giltig und zum bloßen Beiwerk würde, so müßte die Tragödie unsern besten hinzu¬
gezählt werden. Allein das gerade Gegentheil ist der Fall, jede Voraussetzung
und Nebenhandlung spricht bei der Totalwirkung mit, und so konnte die Macht
der poetischen Entwicklung hier nicht die widrige Voraussetzung überwinden, welche
für uns in dem römischen Räubernest, in dem brutalen Frauenraube und dem
nachherigen Auftreten der Römer liegt. Mit Recht könnte sich freilich der Dichter
darauf berufen, daß eben in dieser allzu prononcirten Abneigung gegen die rauhe
und rohe Natürlichkeit, gegen die Brutalität der ursprünglichen und energischen
Lebensgefühle ein Hauptgrund liege, warum das Drama unter uns nicht gedeihen
wolle., Dem ist so, aber der lebendig Schaffende darf sich auch einem härtesten
Gesetz seiner Zeit und Culturwelt nicht entziehen, wenn es nur ein Gesetz, nicht
eine äußerliche Laune ist.

Indeß waren es Irrthümer einer Kraft und einer reichen, naturgemäßen
Entwicklung, von denen wir hier sprechen. Nur bei der wahrhaften Produc-
tivität ist überhaupt der Anlaß gegeben, das Verhältniß der einzelnen Werte
zur eigensten Natur des Schaffenden und das Verhältniß dieser Natur zur
allgemeinen Kunst zu erörtern. Das Gold des Reichen wird auf Gepräge,
Mischung und Vollgcwicht geprüft, die Scheidemünze des Armen, so sie nicht
geradezu Blech ist, geht unbesehen von Hand zu Hand. Es ist ein ungeheurer
Unterschied, ob im großen Zuge einer freien poetischen Entwicklung und eines
unablässigen Schaffens ein paar minder gelungne Werke, einzelne Vorwürfe und
Ausführungen erscheinen, bei denen sich der Dichter über die Vorbedingungen
des ergriffnen Stoffes oder über den Wärmegrad seines innern Mitlebens ge-
tünscht hat, oder ob diese minder gelungner Werke Producte gequälter und müh¬
samer Reflexion sind. Niemand wird es entgehen, daß Heyse im einzelnen viel
künstlerische Bewußtheit besitzt. Aber es ist jene Bewußtheit, die in den Pansen
des poetischen Schaffens als eine Art Gewissen den Künstler im stillen mächtig
fördert, in der Stunde des Schaffens jedoch dem Müssen der Natur weicht
und nie hindert, daß Gestalt und Bild, Gedanke und Stimmung die ganze
Seele füllen, wenigstens füllen können. Dieser freie und ganze Zug der Natur
ist es, welcher es schwierig macht, die Werke unsers Dichters nach Perioden zu
gruppiren. Im allgemeinen läßt sich wohl sagen und nachweisen, daß in seiner
ersten Periode eine sonnige, glückstrahlende Heiterkeit überwiegt, daß ihn das
Vollgefühl der Jugend wie auf glänzenden Wogen trägt und rasch über jene
einzelnen Klippen und Riffe hinwegführt, die jedem Sehenden und Fühlenden


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[0428] peint Heyse, verräth es, daß diese Partien aus lebendigster Vorstellung und Mitempfindung entströmt sind, und wenn im dramatischen Kunstwerk in der That nur das eine Hauptmotiv mit voller Gewalt und Stärke wirkte und alles andre darüber gleich- giltig und zum bloßen Beiwerk würde, so müßte die Tragödie unsern besten hinzu¬ gezählt werden. Allein das gerade Gegentheil ist der Fall, jede Voraussetzung und Nebenhandlung spricht bei der Totalwirkung mit, und so konnte die Macht der poetischen Entwicklung hier nicht die widrige Voraussetzung überwinden, welche für uns in dem römischen Räubernest, in dem brutalen Frauenraube und dem nachherigen Auftreten der Römer liegt. Mit Recht könnte sich freilich der Dichter darauf berufen, daß eben in dieser allzu prononcirten Abneigung gegen die rauhe und rohe Natürlichkeit, gegen die Brutalität der ursprünglichen und energischen Lebensgefühle ein Hauptgrund liege, warum das Drama unter uns nicht gedeihen wolle., Dem ist so, aber der lebendig Schaffende darf sich auch einem härtesten Gesetz seiner Zeit und Culturwelt nicht entziehen, wenn es nur ein Gesetz, nicht eine äußerliche Laune ist. Indeß waren es Irrthümer einer Kraft und einer reichen, naturgemäßen Entwicklung, von denen wir hier sprechen. Nur bei der wahrhaften Produc- tivität ist überhaupt der Anlaß gegeben, das Verhältniß der einzelnen Werte zur eigensten Natur des Schaffenden und das Verhältniß dieser Natur zur allgemeinen Kunst zu erörtern. Das Gold des Reichen wird auf Gepräge, Mischung und Vollgcwicht geprüft, die Scheidemünze des Armen, so sie nicht geradezu Blech ist, geht unbesehen von Hand zu Hand. Es ist ein ungeheurer Unterschied, ob im großen Zuge einer freien poetischen Entwicklung und eines unablässigen Schaffens ein paar minder gelungne Werke, einzelne Vorwürfe und Ausführungen erscheinen, bei denen sich der Dichter über die Vorbedingungen des ergriffnen Stoffes oder über den Wärmegrad seines innern Mitlebens ge- tünscht hat, oder ob diese minder gelungner Werke Producte gequälter und müh¬ samer Reflexion sind. Niemand wird es entgehen, daß Heyse im einzelnen viel künstlerische Bewußtheit besitzt. Aber es ist jene Bewußtheit, die in den Pansen des poetischen Schaffens als eine Art Gewissen den Künstler im stillen mächtig fördert, in der Stunde des Schaffens jedoch dem Müssen der Natur weicht und nie hindert, daß Gestalt und Bild, Gedanke und Stimmung die ganze Seele füllen, wenigstens füllen können. Dieser freie und ganze Zug der Natur ist es, welcher es schwierig macht, die Werke unsers Dichters nach Perioden zu gruppiren. Im allgemeinen läßt sich wohl sagen und nachweisen, daß in seiner ersten Periode eine sonnige, glückstrahlende Heiterkeit überwiegt, daß ihn das Vollgefühl der Jugend wie auf glänzenden Wogen trägt und rasch über jene einzelnen Klippen und Riffe hinwegführt, die jedem Sehenden und Fühlenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/428>, abgerufen am 25.08.2024.