Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Paul Heyse.

Aber unverkennbar bleibt, daß die Heiligenlegende für das Geschlecht von heute
Momente enthält, die mit keiner Kunst zu beleben sind lind daß dies, trotz der
ergreifenden Episoden (wie die Schilderung des furchtbaren Gewitters selbst,
welches den Märtyrertod der Heldin in der Arena abwendet) dein Ganzen den
Charakter einer gewissen Kälte und des Gemachtem aufprägt. Es ist mehr Bild
und mehr plastische Gruppe in dieser "Thekla" als die Dichtung, die nicht aka¬
demisch und alcxandrinisch sein will, erträgt. Denn die reine Sicherheit der
äußern Anschauung, das sinnlich treffende jeden Ausdrucks, die stimmungsvolle
Lebendigkeit der Beschreibungen und einzelne Laute einer tiefern Empfindung
zwingen uns doch nicht in die innere Welt hinein, welcher Thekla und Trhphon
augehören, weil der Dichter selbst nicht in ihr ist und nur hineinzublicken versucht.
Die Nebenfiguren des Staatsklugen skeptischen Prätors, dem es den Sinn ver¬
stört, daß im Augenblick der Sockel für ein unbestimmtes neues Kaiserbildnis!
leer steht, des paphlagonischen KriegShauptmauns Skyrou, des Goldschmieds
Hcrmogcnes wirken nieist unmittelbarer und lebensvoller als die Hmiptgcstcilte".
Je ernster und größer die Anlage des Gedichts ist, je mächtiger der Hintergrund,
auf dem sich die Handlung entfalten soll, umsomehr kommt dies zum Bewußt¬
sein. Nach einer ganz andern Richtung hin war auch die "Braut von Chperu"
(1856) ein Experiment, eines jener Werke, die gewissermaßen ans die Probe ge¬
schaffen wurde", wie weit das graziöse und unbefangne poetische Spiel noch zu
reizen und zu fesseln vermöge. Da es auch für den Dichter mir ein Spiel war,
so gehörte das Gedicht trotz seiner prächtigen Oktaven zu denjenigen Dichtungen
der Münchener Schule und Hehses, die einen tiefern Antheil nicht zu wecke"
vermochten und jedenfalls erwiesen, daß mit der reinen Freude am Geschehen,
am bunten Abenteuer so wenig mehr als mit der vollendete" Kunstform die
ganze poetische Wirkung zu erreichen ist. Im Geschehen und im Abenteuer wolle"
wir Leben von unserm Leben spüren, und der Satz, daß alles, was in der
Kunst einst echtes Leben gewesen ist, es wiederum werde" könne, hat nnr bedingte
Geltung, Und wenn Heyse späterhin im "Feenkind" (1868) zürnend ausrief:


Wer lebt, wird bessre Zeiten seh".
Ich, mögen kluge Leute wich verhöhne",
Kann nicht dem alten Zauber widerstehn,
Der Strophe des Ariost mich nicht entwöhnen.
Den Staub und Qualm, die mir das Haupt umwehn,
Spiel ich hinweg im Wellenbad des Schönen,
Und frei am Heerweg, trotz verhängter Strafen,
Enlgiirt ich mich und pliitschre in Octaven --

so wich er damit, wie er wohl selbst recht gut wußte, der eigentlichen Frage aus.
Nicht die Ariostscheu Strophe" focht man ihm und einige" poetischen Genossen


Paul Heyse.

Aber unverkennbar bleibt, daß die Heiligenlegende für das Geschlecht von heute
Momente enthält, die mit keiner Kunst zu beleben sind lind daß dies, trotz der
ergreifenden Episoden (wie die Schilderung des furchtbaren Gewitters selbst,
welches den Märtyrertod der Heldin in der Arena abwendet) dein Ganzen den
Charakter einer gewissen Kälte und des Gemachtem aufprägt. Es ist mehr Bild
und mehr plastische Gruppe in dieser „Thekla" als die Dichtung, die nicht aka¬
demisch und alcxandrinisch sein will, erträgt. Denn die reine Sicherheit der
äußern Anschauung, das sinnlich treffende jeden Ausdrucks, die stimmungsvolle
Lebendigkeit der Beschreibungen und einzelne Laute einer tiefern Empfindung
zwingen uns doch nicht in die innere Welt hinein, welcher Thekla und Trhphon
augehören, weil der Dichter selbst nicht in ihr ist und nur hineinzublicken versucht.
Die Nebenfiguren des Staatsklugen skeptischen Prätors, dem es den Sinn ver¬
stört, daß im Augenblick der Sockel für ein unbestimmtes neues Kaiserbildnis!
leer steht, des paphlagonischen KriegShauptmauns Skyrou, des Goldschmieds
Hcrmogcnes wirken nieist unmittelbarer und lebensvoller als die Hmiptgcstcilte».
Je ernster und größer die Anlage des Gedichts ist, je mächtiger der Hintergrund,
auf dem sich die Handlung entfalten soll, umsomehr kommt dies zum Bewußt¬
sein. Nach einer ganz andern Richtung hin war auch die „Braut von Chperu"
(1856) ein Experiment, eines jener Werke, die gewissermaßen ans die Probe ge¬
schaffen wurde», wie weit das graziöse und unbefangne poetische Spiel noch zu
reizen und zu fesseln vermöge. Da es auch für den Dichter mir ein Spiel war,
so gehörte das Gedicht trotz seiner prächtigen Oktaven zu denjenigen Dichtungen
der Münchener Schule und Hehses, die einen tiefern Antheil nicht zu wecke»
vermochten und jedenfalls erwiesen, daß mit der reinen Freude am Geschehen,
am bunten Abenteuer so wenig mehr als mit der vollendete» Kunstform die
ganze poetische Wirkung zu erreichen ist. Im Geschehen und im Abenteuer wolle»
wir Leben von unserm Leben spüren, und der Satz, daß alles, was in der
Kunst einst echtes Leben gewesen ist, es wiederum werde» könne, hat nnr bedingte
Geltung, Und wenn Heyse späterhin im „Feenkind" (1868) zürnend ausrief:


Wer lebt, wird bessre Zeiten seh».
Ich, mögen kluge Leute wich verhöhne»,
Kann nicht dem alten Zauber widerstehn,
Der Strophe des Ariost mich nicht entwöhnen.
Den Staub und Qualm, die mir das Haupt umwehn,
Spiel ich hinweg im Wellenbad des Schönen,
Und frei am Heerweg, trotz verhängter Strafen,
Enlgiirt ich mich und pliitschre in Octaven —

so wich er damit, wie er wohl selbst recht gut wußte, der eigentlichen Frage aus.
Nicht die Ariostscheu Strophe» focht man ihm und einige» poetischen Genossen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149998"/>
          <fw type="header" place="top"> Paul Heyse.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1427" prev="#ID_1426"> Aber unverkennbar bleibt, daß die Heiligenlegende für das Geschlecht von heute<lb/>
Momente enthält, die mit keiner Kunst zu beleben sind lind daß dies, trotz der<lb/>
ergreifenden Episoden (wie die Schilderung des furchtbaren Gewitters selbst,<lb/>
welches den Märtyrertod der Heldin in der Arena abwendet) dein Ganzen den<lb/>
Charakter einer gewissen Kälte und des Gemachtem aufprägt. Es ist mehr Bild<lb/>
und mehr plastische Gruppe in dieser &#x201E;Thekla" als die Dichtung, die nicht aka¬<lb/>
demisch und alcxandrinisch sein will, erträgt. Denn die reine Sicherheit der<lb/>
äußern Anschauung, das sinnlich treffende jeden Ausdrucks, die stimmungsvolle<lb/>
Lebendigkeit der Beschreibungen und einzelne Laute einer tiefern Empfindung<lb/>
zwingen uns doch nicht in die innere Welt hinein, welcher Thekla und Trhphon<lb/>
augehören, weil der Dichter selbst nicht in ihr ist und nur hineinzublicken versucht.<lb/>
Die Nebenfiguren des Staatsklugen skeptischen Prätors, dem es den Sinn ver¬<lb/>
stört, daß im Augenblick der Sockel für ein unbestimmtes neues Kaiserbildnis!<lb/>
leer steht, des paphlagonischen KriegShauptmauns Skyrou, des Goldschmieds<lb/>
Hcrmogcnes wirken nieist unmittelbarer und lebensvoller als die Hmiptgcstcilte».<lb/>
Je ernster und größer die Anlage des Gedichts ist, je mächtiger der Hintergrund,<lb/>
auf dem sich die Handlung entfalten soll, umsomehr kommt dies zum Bewußt¬<lb/>
sein. Nach einer ganz andern Richtung hin war auch die &#x201E;Braut von Chperu"<lb/>
(1856) ein Experiment, eines jener Werke, die gewissermaßen ans die Probe ge¬<lb/>
schaffen wurde», wie weit das graziöse und unbefangne poetische Spiel noch zu<lb/>
reizen und zu fesseln vermöge. Da es auch für den Dichter mir ein Spiel war,<lb/>
so gehörte das Gedicht trotz seiner prächtigen Oktaven zu denjenigen Dichtungen<lb/>
der Münchener Schule und Hehses, die einen tiefern Antheil nicht zu wecke»<lb/>
vermochten und jedenfalls erwiesen, daß mit der reinen Freude am Geschehen,<lb/>
am bunten Abenteuer so wenig mehr als mit der vollendete» Kunstform die<lb/>
ganze poetische Wirkung zu erreichen ist. Im Geschehen und im Abenteuer wolle»<lb/>
wir Leben von unserm Leben spüren, und der Satz, daß alles, was in der<lb/>
Kunst einst echtes Leben gewesen ist, es wiederum werde» könne, hat nnr bedingte<lb/>
Geltung,  Und wenn Heyse späterhin im &#x201E;Feenkind" (1868) zürnend ausrief:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_31" type="poem">
              <l> Wer lebt, wird bessre Zeiten seh».<lb/>
Ich, mögen kluge Leute wich verhöhne»,<lb/>
Kann nicht dem alten Zauber widerstehn,<lb/>
Der Strophe des Ariost mich nicht entwöhnen.<lb/>
Den Staub und Qualm, die mir das Haupt umwehn,<lb/>
Spiel ich hinweg im Wellenbad des Schönen,<lb/>
Und frei am Heerweg, trotz verhängter Strafen,<lb/>
Enlgiirt ich mich und pliitschre in Octaven &#x2014;</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1428" next="#ID_1429"> so wich er damit, wie er wohl selbst recht gut wußte, der eigentlichen Frage aus.<lb/>
Nicht die Ariostscheu Strophe» focht man ihm und einige» poetischen Genossen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0426] Paul Heyse. Aber unverkennbar bleibt, daß die Heiligenlegende für das Geschlecht von heute Momente enthält, die mit keiner Kunst zu beleben sind lind daß dies, trotz der ergreifenden Episoden (wie die Schilderung des furchtbaren Gewitters selbst, welches den Märtyrertod der Heldin in der Arena abwendet) dein Ganzen den Charakter einer gewissen Kälte und des Gemachtem aufprägt. Es ist mehr Bild und mehr plastische Gruppe in dieser „Thekla" als die Dichtung, die nicht aka¬ demisch und alcxandrinisch sein will, erträgt. Denn die reine Sicherheit der äußern Anschauung, das sinnlich treffende jeden Ausdrucks, die stimmungsvolle Lebendigkeit der Beschreibungen und einzelne Laute einer tiefern Empfindung zwingen uns doch nicht in die innere Welt hinein, welcher Thekla und Trhphon augehören, weil der Dichter selbst nicht in ihr ist und nur hineinzublicken versucht. Die Nebenfiguren des Staatsklugen skeptischen Prätors, dem es den Sinn ver¬ stört, daß im Augenblick der Sockel für ein unbestimmtes neues Kaiserbildnis! leer steht, des paphlagonischen KriegShauptmauns Skyrou, des Goldschmieds Hcrmogcnes wirken nieist unmittelbarer und lebensvoller als die Hmiptgcstcilte». Je ernster und größer die Anlage des Gedichts ist, je mächtiger der Hintergrund, auf dem sich die Handlung entfalten soll, umsomehr kommt dies zum Bewußt¬ sein. Nach einer ganz andern Richtung hin war auch die „Braut von Chperu" (1856) ein Experiment, eines jener Werke, die gewissermaßen ans die Probe ge¬ schaffen wurde», wie weit das graziöse und unbefangne poetische Spiel noch zu reizen und zu fesseln vermöge. Da es auch für den Dichter mir ein Spiel war, so gehörte das Gedicht trotz seiner prächtigen Oktaven zu denjenigen Dichtungen der Münchener Schule und Hehses, die einen tiefern Antheil nicht zu wecke» vermochten und jedenfalls erwiesen, daß mit der reinen Freude am Geschehen, am bunten Abenteuer so wenig mehr als mit der vollendete» Kunstform die ganze poetische Wirkung zu erreichen ist. Im Geschehen und im Abenteuer wolle» wir Leben von unserm Leben spüren, und der Satz, daß alles, was in der Kunst einst echtes Leben gewesen ist, es wiederum werde» könne, hat nnr bedingte Geltung, Und wenn Heyse späterhin im „Feenkind" (1868) zürnend ausrief: Wer lebt, wird bessre Zeiten seh». Ich, mögen kluge Leute wich verhöhne», Kann nicht dem alten Zauber widerstehn, Der Strophe des Ariost mich nicht entwöhnen. Den Staub und Qualm, die mir das Haupt umwehn, Spiel ich hinweg im Wellenbad des Schönen, Und frei am Heerweg, trotz verhängter Strafen, Enlgiirt ich mich und pliitschre in Octaven — so wich er damit, wie er wohl selbst recht gut wußte, der eigentlichen Frage aus. Nicht die Ariostscheu Strophe» focht man ihm und einige» poetischen Genossen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/426
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/426>, abgerufen am 23.07.2024.