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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Bildnisse Goethes.

in ihm ein liebenswürdiges, jedem Eindruck offnes Gemüth gefunden, einen
Mann, den man kindlich lieben muß, dem man sich ganz vertrauen möchte. Er
ist eine gewiß einzige Natur.... Er ist ein glücklich von der Natur mit Gaben
überschüttetes Wesen, das sie schön von sich strahlt und nicht stolz darauf ist,
das Gefäß für solchen Inhalt zu sein." Und Deinhardstein, der den Dichter
1830 sah, schrieb über ihn: "Goethe hat alles Ehrwürdige des Greisenalters
und noch bedeutende Reste vou der Kraft früherer Jahre. Seine Haltung ist
vollkommen gerade, sein Blick voll Feuer und Leben. Ein besonders gutmüthiges
Wohlwollen, fern von jeder Affectation, herrscht in seinem Benehmen vor. . .
Sein Kopf ist ganz der eines Jupiters; die Stirne gewölbt und edel, das Auge
voll Glanz und Kraft, und eine unnachahmliche Hoheit um den Mund. Alles
an ihm ist Ordnung und Ebenmaß."

Diesen und vielen andern Zeugnissen treten nnn über hundert Original¬
porträts Goethes (ungerechnet die zahlreichen, im ganzen über 300 zählenden
Reproductionen derselben) an die Seite. Jedem unsrer Leser, der nnr zehn oder
zwölf davon gesehen -- und um so viele erinnert sich wohl jeder -- steht die
große Verschiedenheit derselben auch da, wo sichs um Bildnisse aus derselben
Lebensperiode handelt, vor der Seele. Von manchen kann man jn nun wohl
sagen, daß sie überhaupt wenig Aehnlichkeit werden gehabt haben. Aber auch
die, welche die Bürgschaft der Aehnlichkeit zu bieten scheinen, unterscheiden sich,
einmal durch die Mannichfaltigkeit der künstlerischen Auffassung, sodann durch
jene Abweichungen, die auf ganz natürliche Weise, durch körperliches Befinden,
durch die Art der Thätigkeit, durch Stimmung und Laune in der äußern Er¬
scheinung jedes Menschen, selbst innerhalb kurzer Zeiträume hervortreten und
auch bei der vbjcetivstcn künstlerischen Auffassung zum Ausdrucke kommen müssen.
Wie verschieden sind oft drei, vier Photographien einer Person aus ein und
demselben Jahre, und doch bietet die Photographie eine rein mechanische Wieder¬
gabe der Natur, ohne alle subjective Zuthat!

Einzelne Künstler haben bekanntlich versucht, aus einer Reihe von Bild¬
nissen Goethes eine ideale Mitte zu construiren. Bei der Errichtung von Goethe¬
denkmälern, auch bei der Herstellung von neuern Gvctheporträts ist dies wiederholt
geschehen. Das Resultat solcher durch eine Art von arithmetischen Mittel ent¬
standenen Idealgestalten ist stets ein unbefriedigendes für den, dem es nicht bloß
um einen "schönen Kopf", sondern um Treue und Wahrheit zu thun ist. Zu
einer möglichst lebendigen Idee von Goethes äußerer Erscheinung kann man
nur durch eine längere Reihe authentischer Bildnisse gelangen, die aus den ver¬
schiedenste" Perioden seines Lebens stammen. Solch eine Sammlung aber, be¬
gleitet von einem ausführlichen Texte, der über die Entstehung und die Geschichte


Grenzwten II. 1881. 52
Die Bildnisse Goethes.

in ihm ein liebenswürdiges, jedem Eindruck offnes Gemüth gefunden, einen
Mann, den man kindlich lieben muß, dem man sich ganz vertrauen möchte. Er
ist eine gewiß einzige Natur.... Er ist ein glücklich von der Natur mit Gaben
überschüttetes Wesen, das sie schön von sich strahlt und nicht stolz darauf ist,
das Gefäß für solchen Inhalt zu sein." Und Deinhardstein, der den Dichter
1830 sah, schrieb über ihn: „Goethe hat alles Ehrwürdige des Greisenalters
und noch bedeutende Reste vou der Kraft früherer Jahre. Seine Haltung ist
vollkommen gerade, sein Blick voll Feuer und Leben. Ein besonders gutmüthiges
Wohlwollen, fern von jeder Affectation, herrscht in seinem Benehmen vor. . .
Sein Kopf ist ganz der eines Jupiters; die Stirne gewölbt und edel, das Auge
voll Glanz und Kraft, und eine unnachahmliche Hoheit um den Mund. Alles
an ihm ist Ordnung und Ebenmaß."

Diesen und vielen andern Zeugnissen treten nnn über hundert Original¬
porträts Goethes (ungerechnet die zahlreichen, im ganzen über 300 zählenden
Reproductionen derselben) an die Seite. Jedem unsrer Leser, der nnr zehn oder
zwölf davon gesehen — und um so viele erinnert sich wohl jeder — steht die
große Verschiedenheit derselben auch da, wo sichs um Bildnisse aus derselben
Lebensperiode handelt, vor der Seele. Von manchen kann man jn nun wohl
sagen, daß sie überhaupt wenig Aehnlichkeit werden gehabt haben. Aber auch
die, welche die Bürgschaft der Aehnlichkeit zu bieten scheinen, unterscheiden sich,
einmal durch die Mannichfaltigkeit der künstlerischen Auffassung, sodann durch
jene Abweichungen, die auf ganz natürliche Weise, durch körperliches Befinden,
durch die Art der Thätigkeit, durch Stimmung und Laune in der äußern Er¬
scheinung jedes Menschen, selbst innerhalb kurzer Zeiträume hervortreten und
auch bei der vbjcetivstcn künstlerischen Auffassung zum Ausdrucke kommen müssen.
Wie verschieden sind oft drei, vier Photographien einer Person aus ein und
demselben Jahre, und doch bietet die Photographie eine rein mechanische Wieder¬
gabe der Natur, ohne alle subjective Zuthat!

Einzelne Künstler haben bekanntlich versucht, aus einer Reihe von Bild¬
nissen Goethes eine ideale Mitte zu construiren. Bei der Errichtung von Goethe¬
denkmälern, auch bei der Herstellung von neuern Gvctheporträts ist dies wiederholt
geschehen. Das Resultat solcher durch eine Art von arithmetischen Mittel ent¬
standenen Idealgestalten ist stets ein unbefriedigendes für den, dem es nicht bloß
um einen „schönen Kopf", sondern um Treue und Wahrheit zu thun ist. Zu
einer möglichst lebendigen Idee von Goethes äußerer Erscheinung kann man
nur durch eine längere Reihe authentischer Bildnisse gelangen, die aus den ver¬
schiedenste» Perioden seines Lebens stammen. Solch eine Sammlung aber, be¬
gleitet von einem ausführlichen Texte, der über die Entstehung und die Geschichte


Grenzwten II. 1881. 52
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[0413] Die Bildnisse Goethes. in ihm ein liebenswürdiges, jedem Eindruck offnes Gemüth gefunden, einen Mann, den man kindlich lieben muß, dem man sich ganz vertrauen möchte. Er ist eine gewiß einzige Natur.... Er ist ein glücklich von der Natur mit Gaben überschüttetes Wesen, das sie schön von sich strahlt und nicht stolz darauf ist, das Gefäß für solchen Inhalt zu sein." Und Deinhardstein, der den Dichter 1830 sah, schrieb über ihn: „Goethe hat alles Ehrwürdige des Greisenalters und noch bedeutende Reste vou der Kraft früherer Jahre. Seine Haltung ist vollkommen gerade, sein Blick voll Feuer und Leben. Ein besonders gutmüthiges Wohlwollen, fern von jeder Affectation, herrscht in seinem Benehmen vor. . . Sein Kopf ist ganz der eines Jupiters; die Stirne gewölbt und edel, das Auge voll Glanz und Kraft, und eine unnachahmliche Hoheit um den Mund. Alles an ihm ist Ordnung und Ebenmaß." Diesen und vielen andern Zeugnissen treten nnn über hundert Original¬ porträts Goethes (ungerechnet die zahlreichen, im ganzen über 300 zählenden Reproductionen derselben) an die Seite. Jedem unsrer Leser, der nnr zehn oder zwölf davon gesehen — und um so viele erinnert sich wohl jeder — steht die große Verschiedenheit derselben auch da, wo sichs um Bildnisse aus derselben Lebensperiode handelt, vor der Seele. Von manchen kann man jn nun wohl sagen, daß sie überhaupt wenig Aehnlichkeit werden gehabt haben. Aber auch die, welche die Bürgschaft der Aehnlichkeit zu bieten scheinen, unterscheiden sich, einmal durch die Mannichfaltigkeit der künstlerischen Auffassung, sodann durch jene Abweichungen, die auf ganz natürliche Weise, durch körperliches Befinden, durch die Art der Thätigkeit, durch Stimmung und Laune in der äußern Er¬ scheinung jedes Menschen, selbst innerhalb kurzer Zeiträume hervortreten und auch bei der vbjcetivstcn künstlerischen Auffassung zum Ausdrucke kommen müssen. Wie verschieden sind oft drei, vier Photographien einer Person aus ein und demselben Jahre, und doch bietet die Photographie eine rein mechanische Wieder¬ gabe der Natur, ohne alle subjective Zuthat! Einzelne Künstler haben bekanntlich versucht, aus einer Reihe von Bild¬ nissen Goethes eine ideale Mitte zu construiren. Bei der Errichtung von Goethe¬ denkmälern, auch bei der Herstellung von neuern Gvctheporträts ist dies wiederholt geschehen. Das Resultat solcher durch eine Art von arithmetischen Mittel ent¬ standenen Idealgestalten ist stets ein unbefriedigendes für den, dem es nicht bloß um einen „schönen Kopf", sondern um Treue und Wahrheit zu thun ist. Zu einer möglichst lebendigen Idee von Goethes äußerer Erscheinung kann man nur durch eine längere Reihe authentischer Bildnisse gelangen, die aus den ver¬ schiedenste» Perioden seines Lebens stammen. Solch eine Sammlung aber, be¬ gleitet von einem ausführlichen Texte, der über die Entstehung und die Geschichte Grenzwten II. 1881. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/413>, abgerufen am 23.07.2024.