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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Talloyrand auf den" wiener Longreß,

klärt hatten, daß sie nie darauf verzichten würden, muß es ihnen in der That pein¬
lich sein, zwei Dritteln dieses Königreiches entsagen zu sollen. Aber ohne die
Unterstützung Rußlands werden sie keinen Widerstand leisten, und Kaiser Alexander,
der in Polen erreicht hat, was er wollte, der an der Sache nur durch seine Eigen¬
liebe betheiligt ist, wird den Preußen allem Anschein nach rathen, auf die ihnen
gemachten Vorschläge einzugehen; man darf deshalb glauben, daß dieselben mit ge¬
ringen Veränderungen in der That angenommen werden.

Am 28. Februar konnte Talleyrand melden, daß Preußen die ihm gemachten
Vorschläge beantwortet habe.

Der Kern ihrer Antwort ist, daß sie annehmen. Sie werden weder Luxem¬
burg noch Mainz bekommen. Die Weisungen Ew. Majestät schreiben uns vor,
dahin zu wirke", daß sie den letzter" Platz uicht erhielten; sie werden auch den
erstern nicht erhalten.

Dieser Tage werden die über Polen, Preußen und Sachsen vereinbarten Ab¬
machungen zur Unterzeichnung und Aufnahme in das Protokoll in die Form von
Artikeln gebracht werden.

Wir können hier schließen. Die Hauptpunkte des fertigen Programms, mit
welchem der Botschafter des besiegten Staates vor die Minister der siegreichen,
aber in sich gespaltnen und nur noch äußerlich zusammenhaltenden Koalition
trat, waren zu Gunsten Frankreichs entschieden. Talleyrands diplomatischer
Kunst war es gelungen, den Riß unter den vier Großmächten zu erweitern und
eine Tripelallianz zu begründen, die seine weitern Forderungen unterstützen mußte.

Auf die übrigen Briefe brauchen wir nicht einzugehen, so viele witzige Be¬
merkungen und geistreiche Charakteristiken sie auch enthalten, und so interessant
es auch ist, zu sehen, wie der ehemalige revolutionäre Bischof dem Gottesgnaden-
thum Weihrauch streut, wie er in salbungsvollen Tone König Ludwig um¬
schmeichelt, wie er als "ehrlicher Makler" unter dem Deckmantel des neumodischen
Princips die eigennützigste Politik verfolgt und wie er wohlgefällig sich mit den
Triumphen seiner hinterlistigen Politik brüstet. Nur folgender Brief, den der
Fürst am 17. October 1814 an Ludwig XVIII. richtete, sei noch herausgehoben.

In Deutschland sind überall revolutionäre Gährungsstvffe verbreitet; der Ja¬
kobinismus herrscht hier nicht wie bei uns in Frankreich vor 25 Jahren in den
mittlern und untern Klassen, sondern in dem höchsten und reichsten Adel; ein Unter¬
schied, der bewirkt, daß der Gang einer in Deutschland etwa ausbrechenden Revo¬
lution nicht "ach dem Gange der unsrigen berechnet werden kann. Die, welche
dnrch die Auflösung des Reichs und die Rheinbundacte von dem Range der Dy¬
nasten zu der Klasse der Unterthanen herabgestiegen sind, ertragen mit Ungeduld
die Herrschaft derjenigen, die ihresgleichen wirklich oder ihrer Meinung nach waren;
sie trachte", eine Ordnung umzustürzen, die ihren Stolz empört, und alle Regie¬
rungen dieses Landes durch eine einzige zu ersetzen. Mit ihnen im Bunde sind
die Männer der Universitäten, die von ihren Theorien erfüllte Jngend, und die,
welche der Kleinstaaterei Deutschlands die Leiden zuschreiben, die sie durch so viele
Kriege, deren beständiger Schauplatz es ist, über das Land ergossen haben. Die


Talloyrand auf den» wiener Longreß,

klärt hatten, daß sie nie darauf verzichten würden, muß es ihnen in der That pein¬
lich sein, zwei Dritteln dieses Königreiches entsagen zu sollen. Aber ohne die
Unterstützung Rußlands werden sie keinen Widerstand leisten, und Kaiser Alexander,
der in Polen erreicht hat, was er wollte, der an der Sache nur durch seine Eigen¬
liebe betheiligt ist, wird den Preußen allem Anschein nach rathen, auf die ihnen
gemachten Vorschläge einzugehen; man darf deshalb glauben, daß dieselben mit ge¬
ringen Veränderungen in der That angenommen werden.

Am 28. Februar konnte Talleyrand melden, daß Preußen die ihm gemachten
Vorschläge beantwortet habe.

Der Kern ihrer Antwort ist, daß sie annehmen. Sie werden weder Luxem¬
burg noch Mainz bekommen. Die Weisungen Ew. Majestät schreiben uns vor,
dahin zu wirke», daß sie den letzter» Platz uicht erhielten; sie werden auch den
erstern nicht erhalten.

Dieser Tage werden die über Polen, Preußen und Sachsen vereinbarten Ab¬
machungen zur Unterzeichnung und Aufnahme in das Protokoll in die Form von
Artikeln gebracht werden.

Wir können hier schließen. Die Hauptpunkte des fertigen Programms, mit
welchem der Botschafter des besiegten Staates vor die Minister der siegreichen,
aber in sich gespaltnen und nur noch äußerlich zusammenhaltenden Koalition
trat, waren zu Gunsten Frankreichs entschieden. Talleyrands diplomatischer
Kunst war es gelungen, den Riß unter den vier Großmächten zu erweitern und
eine Tripelallianz zu begründen, die seine weitern Forderungen unterstützen mußte.

Auf die übrigen Briefe brauchen wir nicht einzugehen, so viele witzige Be¬
merkungen und geistreiche Charakteristiken sie auch enthalten, und so interessant
es auch ist, zu sehen, wie der ehemalige revolutionäre Bischof dem Gottesgnaden-
thum Weihrauch streut, wie er in salbungsvollen Tone König Ludwig um¬
schmeichelt, wie er als „ehrlicher Makler" unter dem Deckmantel des neumodischen
Princips die eigennützigste Politik verfolgt und wie er wohlgefällig sich mit den
Triumphen seiner hinterlistigen Politik brüstet. Nur folgender Brief, den der
Fürst am 17. October 1814 an Ludwig XVIII. richtete, sei noch herausgehoben.

In Deutschland sind überall revolutionäre Gährungsstvffe verbreitet; der Ja¬
kobinismus herrscht hier nicht wie bei uns in Frankreich vor 25 Jahren in den
mittlern und untern Klassen, sondern in dem höchsten und reichsten Adel; ein Unter¬
schied, der bewirkt, daß der Gang einer in Deutschland etwa ausbrechenden Revo¬
lution nicht «ach dem Gange der unsrigen berechnet werden kann. Die, welche
dnrch die Auflösung des Reichs und die Rheinbundacte von dem Range der Dy¬
nasten zu der Klasse der Unterthanen herabgestiegen sind, ertragen mit Ungeduld
die Herrschaft derjenigen, die ihresgleichen wirklich oder ihrer Meinung nach waren;
sie trachte«, eine Ordnung umzustürzen, die ihren Stolz empört, und alle Regie¬
rungen dieses Landes durch eine einzige zu ersetzen. Mit ihnen im Bunde sind
die Männer der Universitäten, die von ihren Theorien erfüllte Jngend, und die,
welche der Kleinstaaterei Deutschlands die Leiden zuschreiben, die sie durch so viele
Kriege, deren beständiger Schauplatz es ist, über das Land ergossen haben. Die


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[0409] Talloyrand auf den» wiener Longreß, klärt hatten, daß sie nie darauf verzichten würden, muß es ihnen in der That pein¬ lich sein, zwei Dritteln dieses Königreiches entsagen zu sollen. Aber ohne die Unterstützung Rußlands werden sie keinen Widerstand leisten, und Kaiser Alexander, der in Polen erreicht hat, was er wollte, der an der Sache nur durch seine Eigen¬ liebe betheiligt ist, wird den Preußen allem Anschein nach rathen, auf die ihnen gemachten Vorschläge einzugehen; man darf deshalb glauben, daß dieselben mit ge¬ ringen Veränderungen in der That angenommen werden. Am 28. Februar konnte Talleyrand melden, daß Preußen die ihm gemachten Vorschläge beantwortet habe. Der Kern ihrer Antwort ist, daß sie annehmen. Sie werden weder Luxem¬ burg noch Mainz bekommen. Die Weisungen Ew. Majestät schreiben uns vor, dahin zu wirke», daß sie den letzter» Platz uicht erhielten; sie werden auch den erstern nicht erhalten. Dieser Tage werden die über Polen, Preußen und Sachsen vereinbarten Ab¬ machungen zur Unterzeichnung und Aufnahme in das Protokoll in die Form von Artikeln gebracht werden. Wir können hier schließen. Die Hauptpunkte des fertigen Programms, mit welchem der Botschafter des besiegten Staates vor die Minister der siegreichen, aber in sich gespaltnen und nur noch äußerlich zusammenhaltenden Koalition trat, waren zu Gunsten Frankreichs entschieden. Talleyrands diplomatischer Kunst war es gelungen, den Riß unter den vier Großmächten zu erweitern und eine Tripelallianz zu begründen, die seine weitern Forderungen unterstützen mußte. Auf die übrigen Briefe brauchen wir nicht einzugehen, so viele witzige Be¬ merkungen und geistreiche Charakteristiken sie auch enthalten, und so interessant es auch ist, zu sehen, wie der ehemalige revolutionäre Bischof dem Gottesgnaden- thum Weihrauch streut, wie er in salbungsvollen Tone König Ludwig um¬ schmeichelt, wie er als „ehrlicher Makler" unter dem Deckmantel des neumodischen Princips die eigennützigste Politik verfolgt und wie er wohlgefällig sich mit den Triumphen seiner hinterlistigen Politik brüstet. Nur folgender Brief, den der Fürst am 17. October 1814 an Ludwig XVIII. richtete, sei noch herausgehoben. In Deutschland sind überall revolutionäre Gährungsstvffe verbreitet; der Ja¬ kobinismus herrscht hier nicht wie bei uns in Frankreich vor 25 Jahren in den mittlern und untern Klassen, sondern in dem höchsten und reichsten Adel; ein Unter¬ schied, der bewirkt, daß der Gang einer in Deutschland etwa ausbrechenden Revo¬ lution nicht «ach dem Gange der unsrigen berechnet werden kann. Die, welche dnrch die Auflösung des Reichs und die Rheinbundacte von dem Range der Dy¬ nasten zu der Klasse der Unterthanen herabgestiegen sind, ertragen mit Ungeduld die Herrschaft derjenigen, die ihresgleichen wirklich oder ihrer Meinung nach waren; sie trachte«, eine Ordnung umzustürzen, die ihren Stolz empört, und alle Regie¬ rungen dieses Landes durch eine einzige zu ersetzen. Mit ihnen im Bunde sind die Männer der Universitäten, die von ihren Theorien erfüllte Jngend, und die, welche der Kleinstaaterei Deutschlands die Leiden zuschreiben, die sie durch so viele Kriege, deren beständiger Schauplatz es ist, über das Land ergossen haben. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/409>, abgerufen am 23.07.2024.