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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Talleyrand auf dem Wiener Longreß.

Die Forderung des portugiesischen Botschafters Palmella, ebenfalls zu den
Sitzungen zugelassen zu werden, wurde zunächst verlesen. Natürlich sand sie
bei Talleyrand und Labrador bereitwillige Unterstützung.

Der Zweck der heutigen Conferenz, sagte mir Lord Castlereagh, ist, Sie in
Kenntniß von dem zu setzen, was die vier Höfe gethan haben, seit wir hier sind.
Tann wandte er sich an Metternich und sagte: Sie haben das Protokoll. Metternich
überreichte mir darauf ein von ihm, Graf Nesselrode, Lord Castlereagh und Fürst
Hardenberg unterzeichnetes Schriftstück, in welchem sich der Ausdruck Verbündete in
jedem Paragraphen vorfand. Ich nahm Anstoß an diesem Ausdruck; ich sagte, der¬
selbe nöthigte mich zu fragen, wo wir eigentlich wären, ob etwa noch in Chau-
mont oder in Laon, ob kein Friede geschlossen wäre, ob eine Feindseligkeit bestehe
und gegen wen? Alle erwiderten mir, daß sie mit dem Ausdruck Verbündete keinen
dem Stand unsrer gegenwärtigen Beziehungen widersprechenden Sinn verbünden
und daß sie ihn nur der Kürze wegen gewählt hätten. Worauf ich bemerkte, daß,
wie groß auch der Werth der Kürze sei, man dieselbe doch nicht auf Kosten der
Genauigkeit erkaufen dürfe. Was den Inhalt des Protokolls betrifft, so war es
ein Gewebe metaphysischer Schlußfolgerungen, um Ansprüche zur Geltung zu bringen,
die man noch dazu auf uns unbekannte Verträge begründete.

Da sich der Fürst gegenüber diesem Protokoll vollständig ablehnend ver¬
hielt, so wurde es sofort zurückgezogen. Darauf wurde ein Entwurf vorgelegt
mit der Bestimmung, daß die von dem Congreß zu regelnden Gegenstände in
zwei Klassen getheilt werden sollten; für jede derselben solle ein Ausschuß ge¬
bildet werden, an deu sich die betheiligten Staaten wenden könnten; nach Be¬
endigung der ganzen Arbeit durch die beiden Ausschüsse werde dann zum ersten
Male der Congreß zusammentreten, dessen Genehmigung alles unterbreitet werden
sollte.

Dieser Entwurf bezweckte offenbar, die vier Mächte, die sich Verbündete nennen,
zu unbeschränkten Herren aller Maßnahmen des Congresses zumachen; denn wenn
die sechs Großmächte über die Zusammensetzung des Congresses, über die zu regelnden
Gegenstände, über die BeHandlungsweise derselben, über die Reihenfolge der Rege¬
lung entscheiden und allein und ohne Controle die Ausschüsse, welche alles vor¬
bereiten würden, ernennen sollen, so würden Frankreich und Spanien, selbst voraus¬
gesetzt, daß sie in allen Fragen immer einverstanden wären, doch immer nur zwei
gegen vier sein.

Der Botschafter Frankreichs bekämpfte daher auf das heftigste diesen Ent¬
wurf, und man vertagte die Konferenz. Nun richtete Talleyrand am 1. October
eine Note an die Vertreter der fünf andern Mächte, in welcher er verlangte,
daß die acht Regierungen, die den Vertrag vom 30. Mai unterzeichnet Hütten,
völlig geeignet seien, eine Commission zu bilden, welche die von dem Congreß
vor allen andern zu entscheidenden Fragen vorbereiten würde.

Diese Commission solle zugleich die Bildung der Ausschüsse, deren Einsetzung
man für zweckmäßig halte, nud die Namen ihrer Mitglieder vorschlagen. Weiter
aber dürfe ihre Competenz nicht gehen; denn die acht Mächte seien nicht der Cor-


Talleyrand auf dem Wiener Longreß.

Die Forderung des portugiesischen Botschafters Palmella, ebenfalls zu den
Sitzungen zugelassen zu werden, wurde zunächst verlesen. Natürlich sand sie
bei Talleyrand und Labrador bereitwillige Unterstützung.

Der Zweck der heutigen Conferenz, sagte mir Lord Castlereagh, ist, Sie in
Kenntniß von dem zu setzen, was die vier Höfe gethan haben, seit wir hier sind.
Tann wandte er sich an Metternich und sagte: Sie haben das Protokoll. Metternich
überreichte mir darauf ein von ihm, Graf Nesselrode, Lord Castlereagh und Fürst
Hardenberg unterzeichnetes Schriftstück, in welchem sich der Ausdruck Verbündete in
jedem Paragraphen vorfand. Ich nahm Anstoß an diesem Ausdruck; ich sagte, der¬
selbe nöthigte mich zu fragen, wo wir eigentlich wären, ob etwa noch in Chau-
mont oder in Laon, ob kein Friede geschlossen wäre, ob eine Feindseligkeit bestehe
und gegen wen? Alle erwiderten mir, daß sie mit dem Ausdruck Verbündete keinen
dem Stand unsrer gegenwärtigen Beziehungen widersprechenden Sinn verbünden
und daß sie ihn nur der Kürze wegen gewählt hätten. Worauf ich bemerkte, daß,
wie groß auch der Werth der Kürze sei, man dieselbe doch nicht auf Kosten der
Genauigkeit erkaufen dürfe. Was den Inhalt des Protokolls betrifft, so war es
ein Gewebe metaphysischer Schlußfolgerungen, um Ansprüche zur Geltung zu bringen,
die man noch dazu auf uns unbekannte Verträge begründete.

Da sich der Fürst gegenüber diesem Protokoll vollständig ablehnend ver¬
hielt, so wurde es sofort zurückgezogen. Darauf wurde ein Entwurf vorgelegt
mit der Bestimmung, daß die von dem Congreß zu regelnden Gegenstände in
zwei Klassen getheilt werden sollten; für jede derselben solle ein Ausschuß ge¬
bildet werden, an deu sich die betheiligten Staaten wenden könnten; nach Be¬
endigung der ganzen Arbeit durch die beiden Ausschüsse werde dann zum ersten
Male der Congreß zusammentreten, dessen Genehmigung alles unterbreitet werden
sollte.

Dieser Entwurf bezweckte offenbar, die vier Mächte, die sich Verbündete nennen,
zu unbeschränkten Herren aller Maßnahmen des Congresses zumachen; denn wenn
die sechs Großmächte über die Zusammensetzung des Congresses, über die zu regelnden
Gegenstände, über die BeHandlungsweise derselben, über die Reihenfolge der Rege¬
lung entscheiden und allein und ohne Controle die Ausschüsse, welche alles vor¬
bereiten würden, ernennen sollen, so würden Frankreich und Spanien, selbst voraus¬
gesetzt, daß sie in allen Fragen immer einverstanden wären, doch immer nur zwei
gegen vier sein.

Der Botschafter Frankreichs bekämpfte daher auf das heftigste diesen Ent¬
wurf, und man vertagte die Konferenz. Nun richtete Talleyrand am 1. October
eine Note an die Vertreter der fünf andern Mächte, in welcher er verlangte,
daß die acht Regierungen, die den Vertrag vom 30. Mai unterzeichnet Hütten,
völlig geeignet seien, eine Commission zu bilden, welche die von dem Congreß
vor allen andern zu entscheidenden Fragen vorbereiten würde.

Diese Commission solle zugleich die Bildung der Ausschüsse, deren Einsetzung
man für zweckmäßig halte, nud die Namen ihrer Mitglieder vorschlagen. Weiter
aber dürfe ihre Competenz nicht gehen; denn die acht Mächte seien nicht der Cor-


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[0404] Talleyrand auf dem Wiener Longreß. Die Forderung des portugiesischen Botschafters Palmella, ebenfalls zu den Sitzungen zugelassen zu werden, wurde zunächst verlesen. Natürlich sand sie bei Talleyrand und Labrador bereitwillige Unterstützung. Der Zweck der heutigen Conferenz, sagte mir Lord Castlereagh, ist, Sie in Kenntniß von dem zu setzen, was die vier Höfe gethan haben, seit wir hier sind. Tann wandte er sich an Metternich und sagte: Sie haben das Protokoll. Metternich überreichte mir darauf ein von ihm, Graf Nesselrode, Lord Castlereagh und Fürst Hardenberg unterzeichnetes Schriftstück, in welchem sich der Ausdruck Verbündete in jedem Paragraphen vorfand. Ich nahm Anstoß an diesem Ausdruck; ich sagte, der¬ selbe nöthigte mich zu fragen, wo wir eigentlich wären, ob etwa noch in Chau- mont oder in Laon, ob kein Friede geschlossen wäre, ob eine Feindseligkeit bestehe und gegen wen? Alle erwiderten mir, daß sie mit dem Ausdruck Verbündete keinen dem Stand unsrer gegenwärtigen Beziehungen widersprechenden Sinn verbünden und daß sie ihn nur der Kürze wegen gewählt hätten. Worauf ich bemerkte, daß, wie groß auch der Werth der Kürze sei, man dieselbe doch nicht auf Kosten der Genauigkeit erkaufen dürfe. Was den Inhalt des Protokolls betrifft, so war es ein Gewebe metaphysischer Schlußfolgerungen, um Ansprüche zur Geltung zu bringen, die man noch dazu auf uns unbekannte Verträge begründete. Da sich der Fürst gegenüber diesem Protokoll vollständig ablehnend ver¬ hielt, so wurde es sofort zurückgezogen. Darauf wurde ein Entwurf vorgelegt mit der Bestimmung, daß die von dem Congreß zu regelnden Gegenstände in zwei Klassen getheilt werden sollten; für jede derselben solle ein Ausschuß ge¬ bildet werden, an deu sich die betheiligten Staaten wenden könnten; nach Be¬ endigung der ganzen Arbeit durch die beiden Ausschüsse werde dann zum ersten Male der Congreß zusammentreten, dessen Genehmigung alles unterbreitet werden sollte. Dieser Entwurf bezweckte offenbar, die vier Mächte, die sich Verbündete nennen, zu unbeschränkten Herren aller Maßnahmen des Congresses zumachen; denn wenn die sechs Großmächte über die Zusammensetzung des Congresses, über die zu regelnden Gegenstände, über die BeHandlungsweise derselben, über die Reihenfolge der Rege¬ lung entscheiden und allein und ohne Controle die Ausschüsse, welche alles vor¬ bereiten würden, ernennen sollen, so würden Frankreich und Spanien, selbst voraus¬ gesetzt, daß sie in allen Fragen immer einverstanden wären, doch immer nur zwei gegen vier sein. Der Botschafter Frankreichs bekämpfte daher auf das heftigste diesen Ent¬ wurf, und man vertagte die Konferenz. Nun richtete Talleyrand am 1. October eine Note an die Vertreter der fünf andern Mächte, in welcher er verlangte, daß die acht Regierungen, die den Vertrag vom 30. Mai unterzeichnet Hütten, völlig geeignet seien, eine Commission zu bilden, welche die von dem Congreß vor allen andern zu entscheidenden Fragen vorbereiten würde. Diese Commission solle zugleich die Bildung der Ausschüsse, deren Einsetzung man für zweckmäßig halte, nud die Namen ihrer Mitglieder vorschlagen. Weiter aber dürfe ihre Competenz nicht gehen; denn die acht Mächte seien nicht der Cor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/404>, abgerufen am 23.07.2024.