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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Glcidstones Programm und Erfolge,

des dem neuen englischen Premier im Grnnde verhaßten Berliner Vertrags,
dann mit Erweiterung desselben, und zu diesem Unternehmen wurden nicht nur
Frankreich und Italien, sondern im stillen mich Rußland eingeladen. Die Er¬
folge dieser Politik aber waren für die Gladstoneschc Politik mit ihren Hinter¬
gedanken wenig befriedigender Art, Die Frage wegen Dnleigno wurde gegen
die Wünsche der englischen Regierung entschieden. Die Wiederholung der Flotten¬
demonstration an der albanischen Küste vor Smyrna, bei der man in London
vermuthlich an die Möglichkeit einer neuen Schlacht bei Navarino dachte, fiel
ins Wasser, Die von der Berliner Conferenz im Juni v, I. auf den Vorschlag
Englands und Frankreichs beschlossuc authentische Interpretation des 24. Artikels
des Berliner Vertrags wegen der Berichtigung der Nordgrenze Griechenlands,
nach welcher letztres Thessalien und Epirus mit Janina und Prcvesa erhalten
sollte, ist in aller Form und mit nvthgedrungner Einwilligung Englands sotÄ
gelegt worden, und das Berliner Protokoll vom 1, Juli 1880 hat nnr "och
historische Bedeutung, Der Verzicht auf dessen Bestimmungen war eine schwere
Niederlage für die englische Politik, die bis zuletzt das Cabinet in Athen in dem
Glauben, man werde britischerseits eine Ocmpation der in Berlin deu Grieche"
zugesprochnen Landstriche unterstützen, bestärkt und erhalten und dadurch die
kriegerische Haltung der hellenischen Regierung hervorgerufen hatte, und die sich
nun, von ihren Bundesgenossen verlassen, zur Abkehr von dem bisherige" Wege
genöthigt sah. Daß das von Frankreich erstrebte und erreichte Protectorat über
Tunis während des Gladstoncschcn Regiments ins Leben trat, ist in den Augen
der öffentliche" Meinung Englands schließlich auch keine Empfehlung jenes Regi¬
ments, obwohl lctzres daran weniger Schuld hat als das im vorigen Jahre
gestürzte Cabinet, welches 1878 die Franzosen geradezu zu diesem Unternehmen
ermunterte (Salisburys Depesche an Waddington) und sie durch die Besitznahme
Cyperns (wir sagen Besitznahme, obwohl das Kind einen andern Namen hat)
bewegen mußte, sich im Mittelmeer nach einem Object umzusehen, das jene Position
aufzuwiegen geeignet war.

Vor kurzem brachte der "Hamburger Correspondent" eine Correspondenz
aus England, die sich sehr ungünstig über die Leistungen Gladstones seit seinem
Wiedereintritt ins Amt und über die Stimmung äußerte, die er dadurch in weiten
Kreisen hervorgerufen habe. Es hieß darin u. a,:


"In den höhern Kreisen der Gesellschaft, ob sie nun der Tors- oder Whig¬
partei angehören, herrscht allgemein (?) die Meinung, daß die gegenwärtige Ver¬
waltung die unglücklichste, wenn nicht die unfähigste ist, welche seit vielen Jahren
das britische Reich regiert hat. Seit dem Augenblicke der Rückkehr Mr, Gladstones
zum Amte hat sich alles (?) gegen ihn gewandt, theils infolge seiner eignen un-
vorsichtigen Reden, theils aus übermäßigem Vertrauen zur Sache der Liberalen

Glcidstones Programm und Erfolge,

des dem neuen englischen Premier im Grnnde verhaßten Berliner Vertrags,
dann mit Erweiterung desselben, und zu diesem Unternehmen wurden nicht nur
Frankreich und Italien, sondern im stillen mich Rußland eingeladen. Die Er¬
folge dieser Politik aber waren für die Gladstoneschc Politik mit ihren Hinter¬
gedanken wenig befriedigender Art, Die Frage wegen Dnleigno wurde gegen
die Wünsche der englischen Regierung entschieden. Die Wiederholung der Flotten¬
demonstration an der albanischen Küste vor Smyrna, bei der man in London
vermuthlich an die Möglichkeit einer neuen Schlacht bei Navarino dachte, fiel
ins Wasser, Die von der Berliner Conferenz im Juni v, I. auf den Vorschlag
Englands und Frankreichs beschlossuc authentische Interpretation des 24. Artikels
des Berliner Vertrags wegen der Berichtigung der Nordgrenze Griechenlands,
nach welcher letztres Thessalien und Epirus mit Janina und Prcvesa erhalten
sollte, ist in aller Form und mit nvthgedrungner Einwilligung Englands sotÄ
gelegt worden, und das Berliner Protokoll vom 1, Juli 1880 hat nnr »och
historische Bedeutung, Der Verzicht auf dessen Bestimmungen war eine schwere
Niederlage für die englische Politik, die bis zuletzt das Cabinet in Athen in dem
Glauben, man werde britischerseits eine Ocmpation der in Berlin deu Grieche»
zugesprochnen Landstriche unterstützen, bestärkt und erhalten und dadurch die
kriegerische Haltung der hellenischen Regierung hervorgerufen hatte, und die sich
nun, von ihren Bundesgenossen verlassen, zur Abkehr von dem bisherige» Wege
genöthigt sah. Daß das von Frankreich erstrebte und erreichte Protectorat über
Tunis während des Gladstoncschcn Regiments ins Leben trat, ist in den Augen
der öffentliche» Meinung Englands schließlich auch keine Empfehlung jenes Regi¬
ments, obwohl lctzres daran weniger Schuld hat als das im vorigen Jahre
gestürzte Cabinet, welches 1878 die Franzosen geradezu zu diesem Unternehmen
ermunterte (Salisburys Depesche an Waddington) und sie durch die Besitznahme
Cyperns (wir sagen Besitznahme, obwohl das Kind einen andern Namen hat)
bewegen mußte, sich im Mittelmeer nach einem Object umzusehen, das jene Position
aufzuwiegen geeignet war.

Vor kurzem brachte der „Hamburger Correspondent" eine Correspondenz
aus England, die sich sehr ungünstig über die Leistungen Gladstones seit seinem
Wiedereintritt ins Amt und über die Stimmung äußerte, die er dadurch in weiten
Kreisen hervorgerufen habe. Es hieß darin u. a,:


„In den höhern Kreisen der Gesellschaft, ob sie nun der Tors- oder Whig¬
partei angehören, herrscht allgemein (?) die Meinung, daß die gegenwärtige Ver¬
waltung die unglücklichste, wenn nicht die unfähigste ist, welche seit vielen Jahren
das britische Reich regiert hat. Seit dem Augenblicke der Rückkehr Mr, Gladstones
zum Amte hat sich alles (?) gegen ihn gewandt, theils infolge seiner eignen un-
vorsichtigen Reden, theils aus übermäßigem Vertrauen zur Sache der Liberalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/395>, abgerufen am 23.07.2024.