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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der Ausgang des türkisch-griechischen Grenzstreits,

auf den Gedanken der Vermittlung zurück, so ist nichts natürlicher, als daß man
derjenigen Macht am nieisten Vertrauen schenkt und die erste Rolle bei der Mediation
und dem Auffinden jenes billigen Ausgleichs zuerkennt, deren Parteilosigkeit und
Objektivität um wenigsten bestritten und angezweifelt werden kann. Hiernach konnte
man es nur mit aufrichtiger Genugthuung begrüßen, daß Deutschland sich zu werk¬
thätigerer Mitarbeit an der in Rede stehenden Unterhandlaug entschlossen hatte.
Seitdem dürfte sich die Verantwortung für deu Theil der streitenden Hauptparteien,
an dessen Widerspruch die friedliche Entscheidung der Sache gescheitert wäre. Weder
die Pforte noch die griechische Regierung konnte Deutschland der Voreingenommen¬
heit beschuldigen, und gelang es der Thätigkeit des letztern nicht, einen Vergleich
zu Staude zu bringen, so war auch für Europa der Beweis erbracht, daß die Ver¬
ständigung nicht an der objectiven Lage der Verhältnisse, sondern an der Unge-
fügigkcit und Verblendung des einen oder des andern zunächst betheiligten gescheitert
war. Sodann hat der Fürst Bismarck das Ansehen Deutschlands in Kvnstnntinvpel
zwar benutzt, aber nicht abgenutzt. In der glücklichen Lage, anch hin und wieder
wenig verstündiges und praktisches geschehen lassen zu können, da die etwaigen
Folgen desselben sich nicht wohl auf Deutschland erstrecken konnten, hat er weder
der Türkei noch Europa seine Meinung aufgedrängt, sondern mit seinen Rathschlägen
nur leise und kaum merklich geführt. In Konstantinopel richtete Graf Hatzfeld
immer nur wohlgemeinte Warnungen an die Regierung des Sultans, und auch
diese nur, wenn und soweit es nothwendig erschien, im Sinne der Erhaltung des
Friedens zu sprechen. Auch dadurch wurde er zum einflußreichsten unter seineu.
College" in Konstantinopel.

Die Thätigkeit unsers Botschafters in der Stadt am Goldner Horn ist denu
auch in der Presse Europas und namentlich in den großen Blättern Wiens lebhaft
anerkannt und gerühmt worden. Das dortige "Fremdcnblatt" hat hervorgehoben,
daß der allgemein befriedigende Verlauf des türkisch-griechischen Grenzstreites vor
allen Dingen Deutschland, seinem Kaiser und seinein Kanzler zu verdanken sei. Die
besonnene, staatskluge und Vertragstreue Haltung des neuen Herrschers in Rußland
kam hinzu, um den Umschwung in Koustinopel zu beschleunigen und zu befestigen.
Mit ruhiger Zuversicht, so sagt das Blatt weiter, könne man heute der fernern
Entwicklung der Dinge anch nach andern Richtungen hin entgegensehen. Die An¬
näherung Rußlands an Deutschland und Oesterreich-Ungarn, welche sich unter
Alexander III. vollziehe, biete eine weitre Bürgschaft dafür, daß die friedlichen
Tendenzen, welche der österreichisch-deutschen Freundschaft als Grundlage dienten,
durch das europäische Concert ihre Verwirklichung finden würde". Auch die "Neue
Freie Presse" giebt dem Fürsten Bismarck die ihm in der Sache gebührende Ehre,
indem sie sagt: "Man muß mit dem Türken Geduld haben, wenn man Einfluß
auf thu gewinnen und behalten will, muß von ihm Geduld lernen, um sicher auf
ihn zu wirken. Die europäischen Staatsmänner, welche sich über diese Regel hin¬
wegsetzten, haben jeder Zeit von Konstantinopel diplomatische Mißerfolge heimtragen


Der Ausgang des türkisch-griechischen Grenzstreits,

auf den Gedanken der Vermittlung zurück, so ist nichts natürlicher, als daß man
derjenigen Macht am nieisten Vertrauen schenkt und die erste Rolle bei der Mediation
und dem Auffinden jenes billigen Ausgleichs zuerkennt, deren Parteilosigkeit und
Objektivität um wenigsten bestritten und angezweifelt werden kann. Hiernach konnte
man es nur mit aufrichtiger Genugthuung begrüßen, daß Deutschland sich zu werk¬
thätigerer Mitarbeit an der in Rede stehenden Unterhandlaug entschlossen hatte.
Seitdem dürfte sich die Verantwortung für deu Theil der streitenden Hauptparteien,
an dessen Widerspruch die friedliche Entscheidung der Sache gescheitert wäre. Weder
die Pforte noch die griechische Regierung konnte Deutschland der Voreingenommen¬
heit beschuldigen, und gelang es der Thätigkeit des letztern nicht, einen Vergleich
zu Staude zu bringen, so war auch für Europa der Beweis erbracht, daß die Ver¬
ständigung nicht an der objectiven Lage der Verhältnisse, sondern an der Unge-
fügigkcit und Verblendung des einen oder des andern zunächst betheiligten gescheitert
war. Sodann hat der Fürst Bismarck das Ansehen Deutschlands in Kvnstnntinvpel
zwar benutzt, aber nicht abgenutzt. In der glücklichen Lage, anch hin und wieder
wenig verstündiges und praktisches geschehen lassen zu können, da die etwaigen
Folgen desselben sich nicht wohl auf Deutschland erstrecken konnten, hat er weder
der Türkei noch Europa seine Meinung aufgedrängt, sondern mit seinen Rathschlägen
nur leise und kaum merklich geführt. In Konstantinopel richtete Graf Hatzfeld
immer nur wohlgemeinte Warnungen an die Regierung des Sultans, und auch
diese nur, wenn und soweit es nothwendig erschien, im Sinne der Erhaltung des
Friedens zu sprechen. Auch dadurch wurde er zum einflußreichsten unter seineu.
College» in Konstantinopel.

Die Thätigkeit unsers Botschafters in der Stadt am Goldner Horn ist denu
auch in der Presse Europas und namentlich in den großen Blättern Wiens lebhaft
anerkannt und gerühmt worden. Das dortige „Fremdcnblatt" hat hervorgehoben,
daß der allgemein befriedigende Verlauf des türkisch-griechischen Grenzstreites vor
allen Dingen Deutschland, seinem Kaiser und seinein Kanzler zu verdanken sei. Die
besonnene, staatskluge und Vertragstreue Haltung des neuen Herrschers in Rußland
kam hinzu, um den Umschwung in Koustinopel zu beschleunigen und zu befestigen.
Mit ruhiger Zuversicht, so sagt das Blatt weiter, könne man heute der fernern
Entwicklung der Dinge anch nach andern Richtungen hin entgegensehen. Die An¬
näherung Rußlands an Deutschland und Oesterreich-Ungarn, welche sich unter
Alexander III. vollziehe, biete eine weitre Bürgschaft dafür, daß die friedlichen
Tendenzen, welche der österreichisch-deutschen Freundschaft als Grundlage dienten,
durch das europäische Concert ihre Verwirklichung finden würde». Auch die „Neue
Freie Presse" giebt dem Fürsten Bismarck die ihm in der Sache gebührende Ehre,
indem sie sagt: „Man muß mit dem Türken Geduld haben, wenn man Einfluß
auf thu gewinnen und behalten will, muß von ihm Geduld lernen, um sicher auf
ihn zu wirken. Die europäischen Staatsmänner, welche sich über diese Regel hin¬
wegsetzten, haben jeder Zeit von Konstantinopel diplomatische Mißerfolge heimtragen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/360>, abgerufen am 23.07.2024.