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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Düsseldorfer Schule.

geworden. Unter ihnen steht obenan die herrliche von Santa Lucia in Neapel mit
dem flammenden Vesuv im Hintergründe, welche im Jahre 1879 vollendet wurde.

Wo Oswald Ueberhand in das Innere der italienischen Städte dringt, da
ist er ein Architekturmaler ersten Ranges, der zwar nicht Stein für Stein copirt,
gleichwohl aber das Charakteristische eines Bauwerks so klar und deutlich hervor¬
hebt, daß man gar nicht gewahr wird, daß die Architekturen nicht detaillirt,
sondern als Massen behandelt sind. Ein classisches Beispiel für diese Richtung
in seiner Kunst ist der "Marktplatz von Amalfi," welchen die Berliner National¬
galerie besitzt, 1876 gemalt. In greller Mittagssonne liegt der Platz mit seiner
ehrwürdigen Umgebung vor uns. Scharf und klar heben sich die ForMen der
Architektur vom Himmel ab: links vom Beschauer der schlanke Glockenthurm,
rechts die Kathedrale von San Andrea, zu der eine steinerne Treppe hinauf¬
führt, und im Hintergründe, gleichsam als Fortsetzung der Architektur, das terrassen¬
förmig emporsteigende Gebirge mit dem alten, verwitterten Thurm der Königin
Johanna, der mit den Felsen verwachsen zu sein scheint. Auf dem Marktplatz,
der sich in sanfter Steigung bis an die Kirchentreppe hinaufzieht, stehe" Obst¬
händler und hocken Maisvcrkciufer herum. Einer ist beschäftigt, einen Mais¬
haufen zusammenzukehren -- sonst absolute Trägheit und Ruhe, die mit der
umgebenden Natur im Einklang steht.

Oswald Ueberhand legt auf die Staffage einen noch größern Werth als
sein Bruder Andreas. Wenn man seine Figuren aus unmittelbarer Nähe be¬
trachtet, sieht man nur formlose, bunte Kleckse. Man ahnt ungefähr, daß diese
Farbenflecke ein gewichtiges Wort in der coloristischen Totalwirkung mitzureden
haben. Man begreift aber nicht, wie diese Flecke, je weiter man sich entfernt,
desto compacter und plastischer werden und schließlich zu völlig runden, körper¬
haften und lebensvollen Figuren werden. Welch eine Schärfe des Anges, welch
eine Sicherheit der Berechnung, welch eine Festigkeit der Hand setzt das voraus!
Professor Wiegmann hat in seinem vortrefflichen Werke "Die königliche Kunst¬
akademie zu Düsseldorf und die Düsseldorfer Künstler" (Düsseldorf 1856) bei
aller Anerkennung "der geistreich und lebendig erfundnen Figureustaffage" die
ftizzenhafte Behandlung derselben getadelt. Wiegmann war noch zu sehr an die
streng zeichnerische Durchführung der Figuren in den Lessingschen Landschaften
gewöhnt, um die Bedeutung dieser specifisch malerischen Behandlungsweise unbe¬
fangen würdigen zu könne,?. Oswald Ueberhand begnügt sich selten mit wenigen
Figuren; er zeigt uns eine Cavalcade, eine Schaar von Landleuten zu Pferde,
Esel und Wagen, galoppirende Reiter, eine Procession, eine Gesellschaft vornehmer
Fvrcstieri in glänzenden Carossen, Burschen und Dirnen bei Spiel und Tanz
oder wohl gar ein ganzes Volksfest oder eine Genrescene von selbständiger Be-


Die Düsseldorfer Schule.

geworden. Unter ihnen steht obenan die herrliche von Santa Lucia in Neapel mit
dem flammenden Vesuv im Hintergründe, welche im Jahre 1879 vollendet wurde.

Wo Oswald Ueberhand in das Innere der italienischen Städte dringt, da
ist er ein Architekturmaler ersten Ranges, der zwar nicht Stein für Stein copirt,
gleichwohl aber das Charakteristische eines Bauwerks so klar und deutlich hervor¬
hebt, daß man gar nicht gewahr wird, daß die Architekturen nicht detaillirt,
sondern als Massen behandelt sind. Ein classisches Beispiel für diese Richtung
in seiner Kunst ist der „Marktplatz von Amalfi," welchen die Berliner National¬
galerie besitzt, 1876 gemalt. In greller Mittagssonne liegt der Platz mit seiner
ehrwürdigen Umgebung vor uns. Scharf und klar heben sich die ForMen der
Architektur vom Himmel ab: links vom Beschauer der schlanke Glockenthurm,
rechts die Kathedrale von San Andrea, zu der eine steinerne Treppe hinauf¬
führt, und im Hintergründe, gleichsam als Fortsetzung der Architektur, das terrassen¬
förmig emporsteigende Gebirge mit dem alten, verwitterten Thurm der Königin
Johanna, der mit den Felsen verwachsen zu sein scheint. Auf dem Marktplatz,
der sich in sanfter Steigung bis an die Kirchentreppe hinaufzieht, stehe« Obst¬
händler und hocken Maisvcrkciufer herum. Einer ist beschäftigt, einen Mais¬
haufen zusammenzukehren — sonst absolute Trägheit und Ruhe, die mit der
umgebenden Natur im Einklang steht.

Oswald Ueberhand legt auf die Staffage einen noch größern Werth als
sein Bruder Andreas. Wenn man seine Figuren aus unmittelbarer Nähe be¬
trachtet, sieht man nur formlose, bunte Kleckse. Man ahnt ungefähr, daß diese
Farbenflecke ein gewichtiges Wort in der coloristischen Totalwirkung mitzureden
haben. Man begreift aber nicht, wie diese Flecke, je weiter man sich entfernt,
desto compacter und plastischer werden und schließlich zu völlig runden, körper¬
haften und lebensvollen Figuren werden. Welch eine Schärfe des Anges, welch
eine Sicherheit der Berechnung, welch eine Festigkeit der Hand setzt das voraus!
Professor Wiegmann hat in seinem vortrefflichen Werke „Die königliche Kunst¬
akademie zu Düsseldorf und die Düsseldorfer Künstler" (Düsseldorf 1856) bei
aller Anerkennung „der geistreich und lebendig erfundnen Figureustaffage" die
ftizzenhafte Behandlung derselben getadelt. Wiegmann war noch zu sehr an die
streng zeichnerische Durchführung der Figuren in den Lessingschen Landschaften
gewöhnt, um die Bedeutung dieser specifisch malerischen Behandlungsweise unbe¬
fangen würdigen zu könne,?. Oswald Ueberhand begnügt sich selten mit wenigen
Figuren; er zeigt uns eine Cavalcade, eine Schaar von Landleuten zu Pferde,
Esel und Wagen, galoppirende Reiter, eine Procession, eine Gesellschaft vornehmer
Fvrcstieri in glänzenden Carossen, Burschen und Dirnen bei Spiel und Tanz
oder wohl gar ein ganzes Volksfest oder eine Genrescene von selbständiger Be-


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[0339] Die Düsseldorfer Schule. geworden. Unter ihnen steht obenan die herrliche von Santa Lucia in Neapel mit dem flammenden Vesuv im Hintergründe, welche im Jahre 1879 vollendet wurde. Wo Oswald Ueberhand in das Innere der italienischen Städte dringt, da ist er ein Architekturmaler ersten Ranges, der zwar nicht Stein für Stein copirt, gleichwohl aber das Charakteristische eines Bauwerks so klar und deutlich hervor¬ hebt, daß man gar nicht gewahr wird, daß die Architekturen nicht detaillirt, sondern als Massen behandelt sind. Ein classisches Beispiel für diese Richtung in seiner Kunst ist der „Marktplatz von Amalfi," welchen die Berliner National¬ galerie besitzt, 1876 gemalt. In greller Mittagssonne liegt der Platz mit seiner ehrwürdigen Umgebung vor uns. Scharf und klar heben sich die ForMen der Architektur vom Himmel ab: links vom Beschauer der schlanke Glockenthurm, rechts die Kathedrale von San Andrea, zu der eine steinerne Treppe hinauf¬ führt, und im Hintergründe, gleichsam als Fortsetzung der Architektur, das terrassen¬ förmig emporsteigende Gebirge mit dem alten, verwitterten Thurm der Königin Johanna, der mit den Felsen verwachsen zu sein scheint. Auf dem Marktplatz, der sich in sanfter Steigung bis an die Kirchentreppe hinaufzieht, stehe« Obst¬ händler und hocken Maisvcrkciufer herum. Einer ist beschäftigt, einen Mais¬ haufen zusammenzukehren — sonst absolute Trägheit und Ruhe, die mit der umgebenden Natur im Einklang steht. Oswald Ueberhand legt auf die Staffage einen noch größern Werth als sein Bruder Andreas. Wenn man seine Figuren aus unmittelbarer Nähe be¬ trachtet, sieht man nur formlose, bunte Kleckse. Man ahnt ungefähr, daß diese Farbenflecke ein gewichtiges Wort in der coloristischen Totalwirkung mitzureden haben. Man begreift aber nicht, wie diese Flecke, je weiter man sich entfernt, desto compacter und plastischer werden und schließlich zu völlig runden, körper¬ haften und lebensvollen Figuren werden. Welch eine Schärfe des Anges, welch eine Sicherheit der Berechnung, welch eine Festigkeit der Hand setzt das voraus! Professor Wiegmann hat in seinem vortrefflichen Werke „Die königliche Kunst¬ akademie zu Düsseldorf und die Düsseldorfer Künstler" (Düsseldorf 1856) bei aller Anerkennung „der geistreich und lebendig erfundnen Figureustaffage" die ftizzenhafte Behandlung derselben getadelt. Wiegmann war noch zu sehr an die streng zeichnerische Durchführung der Figuren in den Lessingschen Landschaften gewöhnt, um die Bedeutung dieser specifisch malerischen Behandlungsweise unbe¬ fangen würdigen zu könne,?. Oswald Ueberhand begnügt sich selten mit wenigen Figuren; er zeigt uns eine Cavalcade, eine Schaar von Landleuten zu Pferde, Esel und Wagen, galoppirende Reiter, eine Procession, eine Gesellschaft vornehmer Fvrcstieri in glänzenden Carossen, Burschen und Dirnen bei Spiel und Tanz oder wohl gar ein ganzes Volksfest oder eine Genrescene von selbständiger Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/339>, abgerufen am 23.07.2024.