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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Calderon.

Originalen in dieser Beziehung die trefflichen Uebersetzungen ins Schwedische
kommen, die Theodor Hagberg von drei Calderonschen Schauspielen geliefert hat")
und in denen das sonore nordische Idiom sehr glücklich mit dem musikalischen
Reize des spanischen wetteifert.

Wenn man mit Recht vom dramatischen Dichter fordert, daß seine Schöpfungen
nicht nur dem Leser Genuß bereiten, sondern vor allem auf der Bühne fesseln
und wirken, so muß Calderon auch in dieser Beziehung den Größten aller Zeiten
beigezählt werden. Auch er liefert einen schlagenden Beweis dafür, daß der
Dramatiker mir dann lebensfähig wird, wenn er den Anforderungen der realen
Bühne Rechnung trägt. In keinen: seiner Stücke hat Calderon dies verabsäumt.
Gleich Shakespeare nahm er die Bühncnvcrhältnisse seiner Zeit als etwas ge¬
gebenes hin und war weit entfernt sich über dieselben hinwegzusetzen, wodurch
so manche hoffnungsvolle Kraft in alter und neuer Zeit gescheitert ist. Calderons
Stücke sind nicht bloß Buchdramen, sie sind durchaus "bretterrecht", wie Goethe
sagt, und "es ist in ihnen kein Zug, der nicht für die beabsichtigte Wirkung
calculirt wäre. Calderon ist dasjenige Genie, das zugleich den größten Verstand
hatte." ^) Aehnlich äußert sich A. W. Schlegel^): "Die Erscheinung auf der
Bühne ist ihm das Erste, aber diese sonst beschränkende Rücksicht wird bei ihm
durchaus positiv. Ich weiß keinen Dramatiker, der den Effect so zu poeti-
siren gewußt hätte, der zugleich so sinnlich kräftig und so ätherisch wäre." Jenes
"Bretterrechte" seiner Compositionswcise aber, eine Eigenschaft, die, wie das
moderne französische Schauspiel und seine Nachahmungen zeigen, auch solchen
erreichbar ist, denen alle und jede poetische Anlage abgeht, hemmt Calderon nirgends
in der Entfaltung dessen, was das Drama nicht vermissen lassen darf, wofern
es nicht auf die Bedeutung eines dichterischen Kunstwerks verzichten und sich
damit begnügen Null, die Bravour eines geschickten Schachspiels zu entwickeln.
Auf die Tiefe der dramatischen Grundgedanken in Calderons Stücken, auf seine
geniale Lösung der schwierigsten psychologischen Probleme braucht nach dem be¬
reits gesagten nicht nochmals hingewiesen zu werden; Wohl aber ist es hier am
Platze hervorzuheben, daß Calderon sich in seinen Dramen zugleich als einen
der gewaltigsten Lyriker aller Zeiten bewährt, dem nicht nur jede Stimmung
des Menschen Herzens, sondern auch alle Geheimnisse der Natur vertraut sind,
die ihm in verschwenderischer Fülle die erhabensten Bilder liefert und die er mit
einer wahrhaft spanischen Beredsamkeit verherrlicht. Und so vereinigt sich alles,





1'rouus Dramor se von ?vam (ZMgrou (1s ig, Lkros,. .1 LvnnsK ösvorMwivx, vx-
Mio. 1870.
"*) Eckermann I, 175.
Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur III, SSS.
Calderon.

Originalen in dieser Beziehung die trefflichen Uebersetzungen ins Schwedische
kommen, die Theodor Hagberg von drei Calderonschen Schauspielen geliefert hat")
und in denen das sonore nordische Idiom sehr glücklich mit dem musikalischen
Reize des spanischen wetteifert.

Wenn man mit Recht vom dramatischen Dichter fordert, daß seine Schöpfungen
nicht nur dem Leser Genuß bereiten, sondern vor allem auf der Bühne fesseln
und wirken, so muß Calderon auch in dieser Beziehung den Größten aller Zeiten
beigezählt werden. Auch er liefert einen schlagenden Beweis dafür, daß der
Dramatiker mir dann lebensfähig wird, wenn er den Anforderungen der realen
Bühne Rechnung trägt. In keinen: seiner Stücke hat Calderon dies verabsäumt.
Gleich Shakespeare nahm er die Bühncnvcrhältnisse seiner Zeit als etwas ge¬
gebenes hin und war weit entfernt sich über dieselben hinwegzusetzen, wodurch
so manche hoffnungsvolle Kraft in alter und neuer Zeit gescheitert ist. Calderons
Stücke sind nicht bloß Buchdramen, sie sind durchaus „bretterrecht", wie Goethe
sagt, und „es ist in ihnen kein Zug, der nicht für die beabsichtigte Wirkung
calculirt wäre. Calderon ist dasjenige Genie, das zugleich den größten Verstand
hatte." ^) Aehnlich äußert sich A. W. Schlegel^): „Die Erscheinung auf der
Bühne ist ihm das Erste, aber diese sonst beschränkende Rücksicht wird bei ihm
durchaus positiv. Ich weiß keinen Dramatiker, der den Effect so zu poeti-
siren gewußt hätte, der zugleich so sinnlich kräftig und so ätherisch wäre." Jenes
„Bretterrechte" seiner Compositionswcise aber, eine Eigenschaft, die, wie das
moderne französische Schauspiel und seine Nachahmungen zeigen, auch solchen
erreichbar ist, denen alle und jede poetische Anlage abgeht, hemmt Calderon nirgends
in der Entfaltung dessen, was das Drama nicht vermissen lassen darf, wofern
es nicht auf die Bedeutung eines dichterischen Kunstwerks verzichten und sich
damit begnügen Null, die Bravour eines geschickten Schachspiels zu entwickeln.
Auf die Tiefe der dramatischen Grundgedanken in Calderons Stücken, auf seine
geniale Lösung der schwierigsten psychologischen Probleme braucht nach dem be¬
reits gesagten nicht nochmals hingewiesen zu werden; Wohl aber ist es hier am
Platze hervorzuheben, daß Calderon sich in seinen Dramen zugleich als einen
der gewaltigsten Lyriker aller Zeiten bewährt, dem nicht nur jede Stimmung
des Menschen Herzens, sondern auch alle Geheimnisse der Natur vertraut sind,
die ihm in verschwenderischer Fülle die erhabensten Bilder liefert und die er mit
einer wahrhaft spanischen Beredsamkeit verherrlicht. Und so vereinigt sich alles,





1'rouus Dramor se von ?vam (ZMgrou (1s ig, Lkros,. .1 LvnnsK ösvorMwivx, vx-
Mio. 1870.
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[0326] Calderon. Originalen in dieser Beziehung die trefflichen Uebersetzungen ins Schwedische kommen, die Theodor Hagberg von drei Calderonschen Schauspielen geliefert hat") und in denen das sonore nordische Idiom sehr glücklich mit dem musikalischen Reize des spanischen wetteifert. Wenn man mit Recht vom dramatischen Dichter fordert, daß seine Schöpfungen nicht nur dem Leser Genuß bereiten, sondern vor allem auf der Bühne fesseln und wirken, so muß Calderon auch in dieser Beziehung den Größten aller Zeiten beigezählt werden. Auch er liefert einen schlagenden Beweis dafür, daß der Dramatiker mir dann lebensfähig wird, wenn er den Anforderungen der realen Bühne Rechnung trägt. In keinen: seiner Stücke hat Calderon dies verabsäumt. Gleich Shakespeare nahm er die Bühncnvcrhältnisse seiner Zeit als etwas ge¬ gebenes hin und war weit entfernt sich über dieselben hinwegzusetzen, wodurch so manche hoffnungsvolle Kraft in alter und neuer Zeit gescheitert ist. Calderons Stücke sind nicht bloß Buchdramen, sie sind durchaus „bretterrecht", wie Goethe sagt, und „es ist in ihnen kein Zug, der nicht für die beabsichtigte Wirkung calculirt wäre. Calderon ist dasjenige Genie, das zugleich den größten Verstand hatte." ^) Aehnlich äußert sich A. W. Schlegel^): „Die Erscheinung auf der Bühne ist ihm das Erste, aber diese sonst beschränkende Rücksicht wird bei ihm durchaus positiv. Ich weiß keinen Dramatiker, der den Effect so zu poeti- siren gewußt hätte, der zugleich so sinnlich kräftig und so ätherisch wäre." Jenes „Bretterrechte" seiner Compositionswcise aber, eine Eigenschaft, die, wie das moderne französische Schauspiel und seine Nachahmungen zeigen, auch solchen erreichbar ist, denen alle und jede poetische Anlage abgeht, hemmt Calderon nirgends in der Entfaltung dessen, was das Drama nicht vermissen lassen darf, wofern es nicht auf die Bedeutung eines dichterischen Kunstwerks verzichten und sich damit begnügen Null, die Bravour eines geschickten Schachspiels zu entwickeln. Auf die Tiefe der dramatischen Grundgedanken in Calderons Stücken, auf seine geniale Lösung der schwierigsten psychologischen Probleme braucht nach dem be¬ reits gesagten nicht nochmals hingewiesen zu werden; Wohl aber ist es hier am Platze hervorzuheben, daß Calderon sich in seinen Dramen zugleich als einen der gewaltigsten Lyriker aller Zeiten bewährt, dem nicht nur jede Stimmung des Menschen Herzens, sondern auch alle Geheimnisse der Natur vertraut sind, die ihm in verschwenderischer Fülle die erhabensten Bilder liefert und die er mit einer wahrhaft spanischen Beredsamkeit verherrlicht. Und so vereinigt sich alles, 1'rouus Dramor se von ?vam (ZMgrou (1s ig, Lkros,. .1 LvnnsK ösvorMwivx, vx- Mio. 1870. »*) Eckermann I, 175. Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur III, SSS.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/326>, abgerufen am 25.08.2024.