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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Laldoron,

unmittelbaren Erscheinung, sondern in einem idealem Lichte darzustellen, nicht
auf dem Befangnen und Beschränkten, sondern auf den höhern Lebensregungen der
Menschen zu verweilen/' In dieser Hinsicht könnte die spanische Lustspieldichtung,
natürlich nicht sclavisch copirt, sondern nur als Fingerzeig benutzt, höchst ver¬
edelnd und befruchtend auf die Bühnenproduction der Gegenwart einwirken und
derselben die Mittel weisen, um sich aus der schalen Lebensprosa zu einer
künstlerischen, idealistischen Haltung emporzuarbeiten.

Nicht fehlen dürfen in einem Gesammtbilde Calderons seine ^utos saera-
ill"zue>g.l68, obwohl dieselben unter allen seinen Werken ihrem ganzen Wesen
nach unsrer Zeit am fernsten stehen. Der Mitwelt des Dichters dagegen galten
sie als die Hauptpfeiler seines Ruhmes und ihm selbst, wie wir bereits sahen,
als das Werthvollste von allen seinen Schöpfungen, was von historischem Stand¬
puncte aus sich sehr wohl begreifen läßt. Die Glorification des Christenthums
und zwar speciell der Sacrcnnente ist der Zweck dieser allegorischen Dramen,
deren der Dichter während eines Zeitraums von 37 Jahren für die Feier des
Fronleichnamsfestes in Madrid und andern Städten nach Vera Tassis' Angabe
über hundert verfaßte, während Calderon selbst in dem oben berührten Briefe
nur 68 angiebt und die Sammlung des Apvntes 72 Titel aufweist. Auch inner¬
halb dieser Gattung fußt Calderon auf frühern Leistungen, namentlich auf seinem
großen Vorgänger Lope de Vega, aber erst ihm war es bestimmt, sie zu künstlerischer
Vollendung zu erheben. Ueberall freilich ist es auch ihm nicht gelungen, die abstracten
Gebilde der scholastischen Theologie mit poetischem Leben zu erfüllen, doch daß
auch allegorische Figuren ein individuelles Interesse, daß auch symbolische Hand¬
lungen auf der Bühne Spannung erregen können, davon liefert eilte beträchtliche
Anzahl dieser Autos glänzende Beweise, Der Glaube, die Schuld, die Gnade,
die Natur, der Verstand, der Wille (letztrer oft in der Rolle des Gracioso), die
verschiednen menschlichen Eigenschaften gehören zu den stehenden Figuren dieser
Gattung; bisweilen ist die Allegorie sogar eine doppelte, wie in "Amor und Psyche",
wo Amor Christus, Psyche deu Glauben vorstellt, oder im "Göttlichen Orpheus",
wo die menschliche Natur unter dem Bilde der Eurydike erlöst wird. Daß "Das
Leben ein Traum" in einem gleichnamigen Auto Calderons sein Gegenstück be¬
sitzt, ward bereits früher erwähnt; auch andre Stücke, wie "Der Maler seiner
Schande", erfahren in Autos symbolische Umbildung. Von gewaltiger Gestaltungs¬
kraft und auf großartige samische Wirkung angelegt ist unter denjenigen dieser
Dramen, die sich an ein bestimmtes Factum der biblischen Ueberlieferung anlehnen,
das "Mahl des Belsazar" (I^g. verm äg LÄtÄM). Mit seinen Weibern, deren
eines, die Idolatrie, er eben heimgeführt, feiert Belsazar seine Orgien, umsonst
gewarnt von Daniel und dem Tode, der in Gestalt eines Ritters sich unter die


Laldoron,

unmittelbaren Erscheinung, sondern in einem idealem Lichte darzustellen, nicht
auf dem Befangnen und Beschränkten, sondern auf den höhern Lebensregungen der
Menschen zu verweilen/' In dieser Hinsicht könnte die spanische Lustspieldichtung,
natürlich nicht sclavisch copirt, sondern nur als Fingerzeig benutzt, höchst ver¬
edelnd und befruchtend auf die Bühnenproduction der Gegenwart einwirken und
derselben die Mittel weisen, um sich aus der schalen Lebensprosa zu einer
künstlerischen, idealistischen Haltung emporzuarbeiten.

Nicht fehlen dürfen in einem Gesammtbilde Calderons seine ^utos saera-
ill«zue>g.l68, obwohl dieselben unter allen seinen Werken ihrem ganzen Wesen
nach unsrer Zeit am fernsten stehen. Der Mitwelt des Dichters dagegen galten
sie als die Hauptpfeiler seines Ruhmes und ihm selbst, wie wir bereits sahen,
als das Werthvollste von allen seinen Schöpfungen, was von historischem Stand¬
puncte aus sich sehr wohl begreifen läßt. Die Glorification des Christenthums
und zwar speciell der Sacrcnnente ist der Zweck dieser allegorischen Dramen,
deren der Dichter während eines Zeitraums von 37 Jahren für die Feier des
Fronleichnamsfestes in Madrid und andern Städten nach Vera Tassis' Angabe
über hundert verfaßte, während Calderon selbst in dem oben berührten Briefe
nur 68 angiebt und die Sammlung des Apvntes 72 Titel aufweist. Auch inner¬
halb dieser Gattung fußt Calderon auf frühern Leistungen, namentlich auf seinem
großen Vorgänger Lope de Vega, aber erst ihm war es bestimmt, sie zu künstlerischer
Vollendung zu erheben. Ueberall freilich ist es auch ihm nicht gelungen, die abstracten
Gebilde der scholastischen Theologie mit poetischem Leben zu erfüllen, doch daß
auch allegorische Figuren ein individuelles Interesse, daß auch symbolische Hand¬
lungen auf der Bühne Spannung erregen können, davon liefert eilte beträchtliche
Anzahl dieser Autos glänzende Beweise, Der Glaube, die Schuld, die Gnade,
die Natur, der Verstand, der Wille (letztrer oft in der Rolle des Gracioso), die
verschiednen menschlichen Eigenschaften gehören zu den stehenden Figuren dieser
Gattung; bisweilen ist die Allegorie sogar eine doppelte, wie in „Amor und Psyche",
wo Amor Christus, Psyche deu Glauben vorstellt, oder im „Göttlichen Orpheus",
wo die menschliche Natur unter dem Bilde der Eurydike erlöst wird. Daß „Das
Leben ein Traum" in einem gleichnamigen Auto Calderons sein Gegenstück be¬
sitzt, ward bereits früher erwähnt; auch andre Stücke, wie „Der Maler seiner
Schande", erfahren in Autos symbolische Umbildung. Von gewaltiger Gestaltungs¬
kraft und auf großartige samische Wirkung angelegt ist unter denjenigen dieser
Dramen, die sich an ein bestimmtes Factum der biblischen Ueberlieferung anlehnen,
das „Mahl des Belsazar" (I^g. verm äg LÄtÄM). Mit seinen Weibern, deren
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[0322] Laldoron, unmittelbaren Erscheinung, sondern in einem idealem Lichte darzustellen, nicht auf dem Befangnen und Beschränkten, sondern auf den höhern Lebensregungen der Menschen zu verweilen/' In dieser Hinsicht könnte die spanische Lustspieldichtung, natürlich nicht sclavisch copirt, sondern nur als Fingerzeig benutzt, höchst ver¬ edelnd und befruchtend auf die Bühnenproduction der Gegenwart einwirken und derselben die Mittel weisen, um sich aus der schalen Lebensprosa zu einer künstlerischen, idealistischen Haltung emporzuarbeiten. Nicht fehlen dürfen in einem Gesammtbilde Calderons seine ^utos saera- ill«zue>g.l68, obwohl dieselben unter allen seinen Werken ihrem ganzen Wesen nach unsrer Zeit am fernsten stehen. Der Mitwelt des Dichters dagegen galten sie als die Hauptpfeiler seines Ruhmes und ihm selbst, wie wir bereits sahen, als das Werthvollste von allen seinen Schöpfungen, was von historischem Stand¬ puncte aus sich sehr wohl begreifen läßt. Die Glorification des Christenthums und zwar speciell der Sacrcnnente ist der Zweck dieser allegorischen Dramen, deren der Dichter während eines Zeitraums von 37 Jahren für die Feier des Fronleichnamsfestes in Madrid und andern Städten nach Vera Tassis' Angabe über hundert verfaßte, während Calderon selbst in dem oben berührten Briefe nur 68 angiebt und die Sammlung des Apvntes 72 Titel aufweist. Auch inner¬ halb dieser Gattung fußt Calderon auf frühern Leistungen, namentlich auf seinem großen Vorgänger Lope de Vega, aber erst ihm war es bestimmt, sie zu künstlerischer Vollendung zu erheben. Ueberall freilich ist es auch ihm nicht gelungen, die abstracten Gebilde der scholastischen Theologie mit poetischem Leben zu erfüllen, doch daß auch allegorische Figuren ein individuelles Interesse, daß auch symbolische Hand¬ lungen auf der Bühne Spannung erregen können, davon liefert eilte beträchtliche Anzahl dieser Autos glänzende Beweise, Der Glaube, die Schuld, die Gnade, die Natur, der Verstand, der Wille (letztrer oft in der Rolle des Gracioso), die verschiednen menschlichen Eigenschaften gehören zu den stehenden Figuren dieser Gattung; bisweilen ist die Allegorie sogar eine doppelte, wie in „Amor und Psyche", wo Amor Christus, Psyche deu Glauben vorstellt, oder im „Göttlichen Orpheus", wo die menschliche Natur unter dem Bilde der Eurydike erlöst wird. Daß „Das Leben ein Traum" in einem gleichnamigen Auto Calderons sein Gegenstück be¬ sitzt, ward bereits früher erwähnt; auch andre Stücke, wie „Der Maler seiner Schande", erfahren in Autos symbolische Umbildung. Von gewaltiger Gestaltungs¬ kraft und auf großartige samische Wirkung angelegt ist unter denjenigen dieser Dramen, die sich an ein bestimmtes Factum der biblischen Ueberlieferung anlehnen, das „Mahl des Belsazar" (I^g. verm äg LÄtÄM). Mit seinen Weibern, deren eines, die Idolatrie, er eben heimgeführt, feiert Belsazar seine Orgien, umsonst gewarnt von Daniel und dem Tode, der in Gestalt eines Ritters sich unter die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/322>, abgerufen am 23.07.2024.