Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Lalderon.

geliebten Gegenstand, bis zur Selbstverleugnung gehende Freundschaft und be¬
sonders unbedingte Ergebenheit gegen den Fürsten (Is^ita-ä), der jede andre Rück¬
sicht hintanstehen muß. Diese ein für allemal feststehenden, unverrückbaren
Begriffe, die Solger zutreffend eine abstracte Mythologie genannt hat, dieses
sorgfältigst ausgearbeitete System, das überall vorausgesetzt wird, unbedingte
Anerkennung fordert und sich in allen Handlungen abspiegelt, birgt freilich die
Gefahr in sich, zu einer conventionellen Darstellung des Lebens zu führen, den
berechnenden Verstand allzu sehr walten zu lassen und die psychologische Ver¬
tiefung zu beeinträchtigen, und in der That bietet die Geschichte des spanischen
Dramas Beispiele genug, daß selbst ungewöhnliche Talente dieser Gefahr nicht
entgingen. Um so mehr muß es Calderon zum Lobe gereichen, daß er, gestützt
auf eine reiche und tiefe Lebensanschauung, jene Begriffe nicht nur äußerlich
faßt, sondern fast immer aus ihrem innern Quell, dem menschlichen Herzen
herzuleiten und dadurch den Hörer auch innerlich zu ergreifen versteht.

Eine besondre Rolle spielen die Begriffe der Liebe und Ehre in den Lust¬
spielen, deren Stoffe der Dichter dem Leben seiner Zeit entnimmt und die nach
dem Costüm ihrer Hauptfiguren mit dem Namen "Mantel- und Dcgenstücke"
(oomsäms as og-xg, ^ LiMäs,) bezeichnet zu werden pflegen. Hier treten die
Anschauungen über ritterliche Ehre als ein äußerst subtiles, man möchte sagen
Reglement auf, und die Anlässe zu den Ehrenhändeln geben oft an Puerilität
den sogenannten Bestimmungsmensuren an deutschen Universitäten wenig nach.
Mit welcher Sophistik die spanischen Lustspielhelden, auch diejenigen Calderons,
in diesem Puncte zu Werke gehen, möge anstatt vieler ein Beispiel aus den
"Verwicklungen des Zufalls" (I^os öiuxeckos as rin g.vWo) veranschaulichen, wo
zwei Cavaliere, Don Diego und Don Juan, einen Don Felix zum Duell for¬
dern, ersterer, weil Don Felix, sein Rival, dem Diener des Don Juan einen
Brief an seine Dame abgenommen, Don Juan, weil Felix ihn beleidigt, indem
er, den Diener nicht ausreden lassend, in wessen Auftrag er gekommen, an seine,
Don Juans Adresse Drohungen gerichtet hat, und nun ein langer Streit darüber
entsteht, mit wem sich der Herausgeforderte zuerst zu schlagen habe, ein Problem,
an dessen Lösung sich sogar ein alter Herr auss eifrigste betheiligt. Die ko¬
mischen Verwicklungen und Situationen werden mehr durch den Zufall herbei¬
geführt, als daß sie sich aus den Charakteren ergeben, und überhaupt fällt der
Nachdruck zumeist auf die äußere Handlung, so daß die größte Zahl der Cal-
deronschen Komödien der Kategorie des Jntriguenlustspiels angehört. Die un¬
erschöpfliche Fülle konnscher Motive, die Kunst, mit welcher der Dichter die
Spannung des Hörers zu wecken und rege zu erhalten weiß, muß die höchste
Bewunderung für die universale Begabung eines Geistes hervorrufen, den wir auf


Lalderon.

geliebten Gegenstand, bis zur Selbstverleugnung gehende Freundschaft und be¬
sonders unbedingte Ergebenheit gegen den Fürsten (Is^ita-ä), der jede andre Rück¬
sicht hintanstehen muß. Diese ein für allemal feststehenden, unverrückbaren
Begriffe, die Solger zutreffend eine abstracte Mythologie genannt hat, dieses
sorgfältigst ausgearbeitete System, das überall vorausgesetzt wird, unbedingte
Anerkennung fordert und sich in allen Handlungen abspiegelt, birgt freilich die
Gefahr in sich, zu einer conventionellen Darstellung des Lebens zu führen, den
berechnenden Verstand allzu sehr walten zu lassen und die psychologische Ver¬
tiefung zu beeinträchtigen, und in der That bietet die Geschichte des spanischen
Dramas Beispiele genug, daß selbst ungewöhnliche Talente dieser Gefahr nicht
entgingen. Um so mehr muß es Calderon zum Lobe gereichen, daß er, gestützt
auf eine reiche und tiefe Lebensanschauung, jene Begriffe nicht nur äußerlich
faßt, sondern fast immer aus ihrem innern Quell, dem menschlichen Herzen
herzuleiten und dadurch den Hörer auch innerlich zu ergreifen versteht.

Eine besondre Rolle spielen die Begriffe der Liebe und Ehre in den Lust¬
spielen, deren Stoffe der Dichter dem Leben seiner Zeit entnimmt und die nach
dem Costüm ihrer Hauptfiguren mit dem Namen „Mantel- und Dcgenstücke"
(oomsäms as og-xg, ^ LiMäs,) bezeichnet zu werden pflegen. Hier treten die
Anschauungen über ritterliche Ehre als ein äußerst subtiles, man möchte sagen
Reglement auf, und die Anlässe zu den Ehrenhändeln geben oft an Puerilität
den sogenannten Bestimmungsmensuren an deutschen Universitäten wenig nach.
Mit welcher Sophistik die spanischen Lustspielhelden, auch diejenigen Calderons,
in diesem Puncte zu Werke gehen, möge anstatt vieler ein Beispiel aus den
„Verwicklungen des Zufalls" (I^os öiuxeckos as rin g.vWo) veranschaulichen, wo
zwei Cavaliere, Don Diego und Don Juan, einen Don Felix zum Duell for¬
dern, ersterer, weil Don Felix, sein Rival, dem Diener des Don Juan einen
Brief an seine Dame abgenommen, Don Juan, weil Felix ihn beleidigt, indem
er, den Diener nicht ausreden lassend, in wessen Auftrag er gekommen, an seine,
Don Juans Adresse Drohungen gerichtet hat, und nun ein langer Streit darüber
entsteht, mit wem sich der Herausgeforderte zuerst zu schlagen habe, ein Problem,
an dessen Lösung sich sogar ein alter Herr auss eifrigste betheiligt. Die ko¬
mischen Verwicklungen und Situationen werden mehr durch den Zufall herbei¬
geführt, als daß sie sich aus den Charakteren ergeben, und überhaupt fällt der
Nachdruck zumeist auf die äußere Handlung, so daß die größte Zahl der Cal-
deronschen Komödien der Kategorie des Jntriguenlustspiels angehört. Die un¬
erschöpfliche Fülle konnscher Motive, die Kunst, mit welcher der Dichter die
Spannung des Hörers zu wecken und rege zu erhalten weiß, muß die höchste
Bewunderung für die universale Begabung eines Geistes hervorrufen, den wir auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149892"/>
          <fw type="header" place="top"> Lalderon.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1068" prev="#ID_1067"> geliebten Gegenstand, bis zur Selbstverleugnung gehende Freundschaft und be¬<lb/>
sonders unbedingte Ergebenheit gegen den Fürsten (Is^ita-ä), der jede andre Rück¬<lb/>
sicht hintanstehen muß. Diese ein für allemal feststehenden, unverrückbaren<lb/>
Begriffe, die Solger zutreffend eine abstracte Mythologie genannt hat, dieses<lb/>
sorgfältigst ausgearbeitete System, das überall vorausgesetzt wird, unbedingte<lb/>
Anerkennung fordert und sich in allen Handlungen abspiegelt, birgt freilich die<lb/>
Gefahr in sich, zu einer conventionellen Darstellung des Lebens zu führen, den<lb/>
berechnenden Verstand allzu sehr walten zu lassen und die psychologische Ver¬<lb/>
tiefung zu beeinträchtigen, und in der That bietet die Geschichte des spanischen<lb/>
Dramas Beispiele genug, daß selbst ungewöhnliche Talente dieser Gefahr nicht<lb/>
entgingen. Um so mehr muß es Calderon zum Lobe gereichen, daß er, gestützt<lb/>
auf eine reiche und tiefe Lebensanschauung, jene Begriffe nicht nur äußerlich<lb/>
faßt, sondern fast immer aus ihrem innern Quell, dem menschlichen Herzen<lb/>
herzuleiten und dadurch den Hörer auch innerlich zu ergreifen versteht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1069" next="#ID_1070"> Eine besondre Rolle spielen die Begriffe der Liebe und Ehre in den Lust¬<lb/>
spielen, deren Stoffe der Dichter dem Leben seiner Zeit entnimmt und die nach<lb/>
dem Costüm ihrer Hauptfiguren mit dem Namen &#x201E;Mantel- und Dcgenstücke"<lb/>
(oomsäms as og-xg, ^ LiMäs,) bezeichnet zu werden pflegen. Hier treten die<lb/>
Anschauungen über ritterliche Ehre als ein äußerst subtiles, man möchte sagen<lb/>
Reglement auf, und die Anlässe zu den Ehrenhändeln geben oft an Puerilität<lb/>
den sogenannten Bestimmungsmensuren an deutschen Universitäten wenig nach.<lb/>
Mit welcher Sophistik die spanischen Lustspielhelden, auch diejenigen Calderons,<lb/>
in diesem Puncte zu Werke gehen, möge anstatt vieler ein Beispiel aus den<lb/>
&#x201E;Verwicklungen des Zufalls" (I^os öiuxeckos as rin g.vWo) veranschaulichen, wo<lb/>
zwei Cavaliere, Don Diego und Don Juan, einen Don Felix zum Duell for¬<lb/>
dern, ersterer, weil Don Felix, sein Rival, dem Diener des Don Juan einen<lb/>
Brief an seine Dame abgenommen, Don Juan, weil Felix ihn beleidigt, indem<lb/>
er, den Diener nicht ausreden lassend, in wessen Auftrag er gekommen, an seine,<lb/>
Don Juans Adresse Drohungen gerichtet hat, und nun ein langer Streit darüber<lb/>
entsteht, mit wem sich der Herausgeforderte zuerst zu schlagen habe, ein Problem,<lb/>
an dessen Lösung sich sogar ein alter Herr auss eifrigste betheiligt. Die ko¬<lb/>
mischen Verwicklungen und Situationen werden mehr durch den Zufall herbei¬<lb/>
geführt, als daß sie sich aus den Charakteren ergeben, und überhaupt fällt der<lb/>
Nachdruck zumeist auf die äußere Handlung, so daß die größte Zahl der Cal-<lb/>
deronschen Komödien der Kategorie des Jntriguenlustspiels angehört. Die un¬<lb/>
erschöpfliche Fülle konnscher Motive, die Kunst, mit welcher der Dichter die<lb/>
Spannung des Hörers zu wecken und rege zu erhalten weiß, muß die höchste<lb/>
Bewunderung für die universale Begabung eines Geistes hervorrufen, den wir auf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] Lalderon. geliebten Gegenstand, bis zur Selbstverleugnung gehende Freundschaft und be¬ sonders unbedingte Ergebenheit gegen den Fürsten (Is^ita-ä), der jede andre Rück¬ sicht hintanstehen muß. Diese ein für allemal feststehenden, unverrückbaren Begriffe, die Solger zutreffend eine abstracte Mythologie genannt hat, dieses sorgfältigst ausgearbeitete System, das überall vorausgesetzt wird, unbedingte Anerkennung fordert und sich in allen Handlungen abspiegelt, birgt freilich die Gefahr in sich, zu einer conventionellen Darstellung des Lebens zu führen, den berechnenden Verstand allzu sehr walten zu lassen und die psychologische Ver¬ tiefung zu beeinträchtigen, und in der That bietet die Geschichte des spanischen Dramas Beispiele genug, daß selbst ungewöhnliche Talente dieser Gefahr nicht entgingen. Um so mehr muß es Calderon zum Lobe gereichen, daß er, gestützt auf eine reiche und tiefe Lebensanschauung, jene Begriffe nicht nur äußerlich faßt, sondern fast immer aus ihrem innern Quell, dem menschlichen Herzen herzuleiten und dadurch den Hörer auch innerlich zu ergreifen versteht. Eine besondre Rolle spielen die Begriffe der Liebe und Ehre in den Lust¬ spielen, deren Stoffe der Dichter dem Leben seiner Zeit entnimmt und die nach dem Costüm ihrer Hauptfiguren mit dem Namen „Mantel- und Dcgenstücke" (oomsäms as og-xg, ^ LiMäs,) bezeichnet zu werden pflegen. Hier treten die Anschauungen über ritterliche Ehre als ein äußerst subtiles, man möchte sagen Reglement auf, und die Anlässe zu den Ehrenhändeln geben oft an Puerilität den sogenannten Bestimmungsmensuren an deutschen Universitäten wenig nach. Mit welcher Sophistik die spanischen Lustspielhelden, auch diejenigen Calderons, in diesem Puncte zu Werke gehen, möge anstatt vieler ein Beispiel aus den „Verwicklungen des Zufalls" (I^os öiuxeckos as rin g.vWo) veranschaulichen, wo zwei Cavaliere, Don Diego und Don Juan, einen Don Felix zum Duell for¬ dern, ersterer, weil Don Felix, sein Rival, dem Diener des Don Juan einen Brief an seine Dame abgenommen, Don Juan, weil Felix ihn beleidigt, indem er, den Diener nicht ausreden lassend, in wessen Auftrag er gekommen, an seine, Don Juans Adresse Drohungen gerichtet hat, und nun ein langer Streit darüber entsteht, mit wem sich der Herausgeforderte zuerst zu schlagen habe, ein Problem, an dessen Lösung sich sogar ein alter Herr auss eifrigste betheiligt. Die ko¬ mischen Verwicklungen und Situationen werden mehr durch den Zufall herbei¬ geführt, als daß sie sich aus den Charakteren ergeben, und überhaupt fällt der Nachdruck zumeist auf die äußere Handlung, so daß die größte Zahl der Cal- deronschen Komödien der Kategorie des Jntriguenlustspiels angehört. Die un¬ erschöpfliche Fülle konnscher Motive, die Kunst, mit welcher der Dichter die Spannung des Hörers zu wecken und rege zu erhalten weiß, muß die höchste Bewunderung für die universale Begabung eines Geistes hervorrufen, den wir auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/320>, abgerufen am 23.07.2024.