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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Düsseldorfer Schule,

wieder abgeschüttelt und hatte sein festgefugtes Fahrzeug den stürmischen Wogen
des Realismus anvertraut. Mehr oder minder schnell folgten die andern dem
kühnen Piloten, Dieser war auf seinem zweiten Hußbilde von 1842 den Belgiern
schon auf halbem Wege entgegengekommen. In acht Jahren, als die Huß-
trilogie mit der großen Composition "Huß auf dem Scheiterhaufen" ihren er¬
greifenden Abschluß fand, war Lessing in kühnem Fluge den Belgiern schon weit
vorausgeeilt, indem er zugleich die Wege vorzeichnete, auf welchen sich die deutsche
Historienmalerei, deren Mittelpunkt nunmehr München wurde, in den nächsten
Decennien weiter entwickeln sollte.

Die Freunde, welche in Düsseldorf neben Lessing schufen, hatten inzwischen
auch für ihren Ruhm gesorgt, wenn auch keiner von ihnen mit seinen Werken
so lebhafte Discussionen hervorrief wie Lessing, Carl Sohn und Theodor
Hildebrandt, welche schon in deu dreißiger Jahren ein Lehramt an der Akademie
übernahmen und dadurch auf die technische Ausbildung zahlreicher Schüler einen
großen, bis in unsre Zeit hereinreichenden Einfluß gewannen, waren keine Historien¬
maler im eigentlichen Sinne, Ihr lyrisch-romantisches Naturell führte sie zur
Poesie und zur Mythe: aus den Dichtern und Fabulisten schöpften sie ihre In¬
spirationen, denen sie mit Hilfe ihres glänzenden, saftigen Colorits eine gefällige,
leicht faßliche Gestalt verliehen. Bei der Wahl ihrer Stoffe fragten sie nicht:
Was ist malerisch? sondern: Was ist poetisch? was ist rührend? Tragisches
Pathos war ihnen völlig versagt. So läßt selbst Hildcbrandts berühmtes Bild
"Die Söhne Eduards'' (1836), welches zu den Haupttreffern der ältern Düssel¬
dorfer Schule gehört, das Tragische der Situation an und für sich gnr nicht
errathen. Wir sehen ein schlafendes Kinderpaar von lieblicher Schönheit an¬
muthig gruppirt auf einem Bette liegen. Selbst die Mörder scheinen durch
diesen Anblick gerührt, und über die Rührung kommt auch die Stimmung des
Beschauers nicht hinaus. Der stoffliche Reiz sicherte jedoch sowohl Hildebrandts
Gemälden wie den Hauptwerken Sohns ("Der Raub des Hylas," "Die beiden
Leonoren," "Romeo lind Julia") eine große Popularität, die nur nicht lange
vorhielt. Heute sind beide, wie die meisten ihrer Kunstgenossen, "historische
Größen," die einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Düsseldorfer Schule
einnehmen, die es aber nicht verstanden haben, auch nur einer einzigen ihrer
Schöpfungen einen Theil von jener Lebenskraft einzuhauchen, welche die Jahr¬
hunderte oder wenigstens die Jahrzehnte überdauert. Beide Künstler waren auch
sehr geschätzt als Portraitmaler, Sohn als der erklärte Maler der Frauenwelt,
immer geneigt zum Jdealisiren, Hildebrandt kraftvoller und energischer und des¬
halb glücklicher im männlichen Bildniß. Sie kamen dem Zeitgeschmack sehr ge¬
fällig entgegen, und daraus erklärt sich ihr enormer Erfolg, den wir heute nicht


Die Düsseldorfer Schule,

wieder abgeschüttelt und hatte sein festgefugtes Fahrzeug den stürmischen Wogen
des Realismus anvertraut. Mehr oder minder schnell folgten die andern dem
kühnen Piloten, Dieser war auf seinem zweiten Hußbilde von 1842 den Belgiern
schon auf halbem Wege entgegengekommen. In acht Jahren, als die Huß-
trilogie mit der großen Composition „Huß auf dem Scheiterhaufen" ihren er¬
greifenden Abschluß fand, war Lessing in kühnem Fluge den Belgiern schon weit
vorausgeeilt, indem er zugleich die Wege vorzeichnete, auf welchen sich die deutsche
Historienmalerei, deren Mittelpunkt nunmehr München wurde, in den nächsten
Decennien weiter entwickeln sollte.

Die Freunde, welche in Düsseldorf neben Lessing schufen, hatten inzwischen
auch für ihren Ruhm gesorgt, wenn auch keiner von ihnen mit seinen Werken
so lebhafte Discussionen hervorrief wie Lessing, Carl Sohn und Theodor
Hildebrandt, welche schon in deu dreißiger Jahren ein Lehramt an der Akademie
übernahmen und dadurch auf die technische Ausbildung zahlreicher Schüler einen
großen, bis in unsre Zeit hereinreichenden Einfluß gewannen, waren keine Historien¬
maler im eigentlichen Sinne, Ihr lyrisch-romantisches Naturell führte sie zur
Poesie und zur Mythe: aus den Dichtern und Fabulisten schöpften sie ihre In¬
spirationen, denen sie mit Hilfe ihres glänzenden, saftigen Colorits eine gefällige,
leicht faßliche Gestalt verliehen. Bei der Wahl ihrer Stoffe fragten sie nicht:
Was ist malerisch? sondern: Was ist poetisch? was ist rührend? Tragisches
Pathos war ihnen völlig versagt. So läßt selbst Hildcbrandts berühmtes Bild
„Die Söhne Eduards'' (1836), welches zu den Haupttreffern der ältern Düssel¬
dorfer Schule gehört, das Tragische der Situation an und für sich gnr nicht
errathen. Wir sehen ein schlafendes Kinderpaar von lieblicher Schönheit an¬
muthig gruppirt auf einem Bette liegen. Selbst die Mörder scheinen durch
diesen Anblick gerührt, und über die Rührung kommt auch die Stimmung des
Beschauers nicht hinaus. Der stoffliche Reiz sicherte jedoch sowohl Hildebrandts
Gemälden wie den Hauptwerken Sohns („Der Raub des Hylas," „Die beiden
Leonoren," „Romeo lind Julia") eine große Popularität, die nur nicht lange
vorhielt. Heute sind beide, wie die meisten ihrer Kunstgenossen, „historische
Größen," die einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Düsseldorfer Schule
einnehmen, die es aber nicht verstanden haben, auch nur einer einzigen ihrer
Schöpfungen einen Theil von jener Lebenskraft einzuhauchen, welche die Jahr¬
hunderte oder wenigstens die Jahrzehnte überdauert. Beide Künstler waren auch
sehr geschätzt als Portraitmaler, Sohn als der erklärte Maler der Frauenwelt,
immer geneigt zum Jdealisiren, Hildebrandt kraftvoller und energischer und des¬
halb glücklicher im männlichen Bildniß. Sie kamen dem Zeitgeschmack sehr ge¬
fällig entgegen, und daraus erklärt sich ihr enormer Erfolg, den wir heute nicht


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[0032] Die Düsseldorfer Schule, wieder abgeschüttelt und hatte sein festgefugtes Fahrzeug den stürmischen Wogen des Realismus anvertraut. Mehr oder minder schnell folgten die andern dem kühnen Piloten, Dieser war auf seinem zweiten Hußbilde von 1842 den Belgiern schon auf halbem Wege entgegengekommen. In acht Jahren, als die Huß- trilogie mit der großen Composition „Huß auf dem Scheiterhaufen" ihren er¬ greifenden Abschluß fand, war Lessing in kühnem Fluge den Belgiern schon weit vorausgeeilt, indem er zugleich die Wege vorzeichnete, auf welchen sich die deutsche Historienmalerei, deren Mittelpunkt nunmehr München wurde, in den nächsten Decennien weiter entwickeln sollte. Die Freunde, welche in Düsseldorf neben Lessing schufen, hatten inzwischen auch für ihren Ruhm gesorgt, wenn auch keiner von ihnen mit seinen Werken so lebhafte Discussionen hervorrief wie Lessing, Carl Sohn und Theodor Hildebrandt, welche schon in deu dreißiger Jahren ein Lehramt an der Akademie übernahmen und dadurch auf die technische Ausbildung zahlreicher Schüler einen großen, bis in unsre Zeit hereinreichenden Einfluß gewannen, waren keine Historien¬ maler im eigentlichen Sinne, Ihr lyrisch-romantisches Naturell führte sie zur Poesie und zur Mythe: aus den Dichtern und Fabulisten schöpften sie ihre In¬ spirationen, denen sie mit Hilfe ihres glänzenden, saftigen Colorits eine gefällige, leicht faßliche Gestalt verliehen. Bei der Wahl ihrer Stoffe fragten sie nicht: Was ist malerisch? sondern: Was ist poetisch? was ist rührend? Tragisches Pathos war ihnen völlig versagt. So läßt selbst Hildcbrandts berühmtes Bild „Die Söhne Eduards'' (1836), welches zu den Haupttreffern der ältern Düssel¬ dorfer Schule gehört, das Tragische der Situation an und für sich gnr nicht errathen. Wir sehen ein schlafendes Kinderpaar von lieblicher Schönheit an¬ muthig gruppirt auf einem Bette liegen. Selbst die Mörder scheinen durch diesen Anblick gerührt, und über die Rührung kommt auch die Stimmung des Beschauers nicht hinaus. Der stoffliche Reiz sicherte jedoch sowohl Hildebrandts Gemälden wie den Hauptwerken Sohns („Der Raub des Hylas," „Die beiden Leonoren," „Romeo lind Julia") eine große Popularität, die nur nicht lange vorhielt. Heute sind beide, wie die meisten ihrer Kunstgenossen, „historische Größen," die einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Düsseldorfer Schule einnehmen, die es aber nicht verstanden haben, auch nur einer einzigen ihrer Schöpfungen einen Theil von jener Lebenskraft einzuhauchen, welche die Jahr¬ hunderte oder wenigstens die Jahrzehnte überdauert. Beide Künstler waren auch sehr geschätzt als Portraitmaler, Sohn als der erklärte Maler der Frauenwelt, immer geneigt zum Jdealisiren, Hildebrandt kraftvoller und energischer und des¬ halb glücklicher im männlichen Bildniß. Sie kamen dem Zeitgeschmack sehr ge¬ fällig entgegen, und daraus erklärt sich ihr enormer Erfolg, den wir heute nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/32>, abgerufen am 23.07.2024.