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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Sie Düsseldorfer Schule.

reiner, edelster Begeistrung, ohne die Absicht, jemanden zu kränken oder zu ver¬
letzen, entsprossen seine Schöpfungen, Aber gerade diese Begeistrung redete eine
so eindringliche, so allgemein verständliche Sprache, daß die blöde Menge sie in
tendenziösem Sinne auffaßte. Der Maler konnte es nicht hindern, daß sogar
communistische und socialdemokratische Agitatoren sich hinter seine Hussitenbilder
verschanzten und den, der sie geschaffen, für ihre Zwecke ausbeuteten. Was
Wunder, daß sich im engern Kreise der Kunstgenossen bald Spaltungen zeigten,
daß die Heißsporne "Hie Schadow! Hie Lessing!" riefen und daß sich der Meister
dem frühern Schüler, der seine Schwingen zu mächtigem Fluge erhoben, ent¬
fremdete. Diese Entfremdung kam auch nach außen hin zum Ausdruck, indem
Schadow den Verkehr mit dem Ketzermalev aufhob, ganz wie Cornelius später
gegen den entarteten Kaulbach verfuhr. Noch schärfer spitzten sich die Gegen¬
sätze zu, als Lessing, in der Zwischenzeit immer noch fleißig der Landschafts¬
malerei obliegend, der "Hussitenpredigt" im Jahre 1842 eine noch größere und
figurenreicherc Komposition "Huß vor dem Concil" folgen ließ. Der Streit,
den dieses neue Bild hervorrief, loderte in Frankfurt a, M zur hellen Flamme
auf. Die Administration des Städelschen Instituts kaufte das Bild ohne Zu¬
stimmung des Directors Philipp Veit für die Gemäldesammlung an, und Veit
legte, in seinen katholischen Empfindungen aufs tiefste gekränkt, sein Amt
nieder. Tiefer noch als seine religiösen mochten seine künstlerischen Anschauungen
verletzt sein. Immer siegreicher drang der Colorismus und mit ihm als treuer
Bundesgenosse der Realismus vor, und die große Menge jauchzte deu neuen
Sternen Beifall. Die alten gingen unter. Einsamer und einsamer ward es
"in das Triumvirat Cornelius, Overbeck und Veit, die da geglaubt hatten, mit
ihrer titanischen Kraft der Welt eine neue Kunstanschauung und -auffassung auf¬
zwingen und die Kunst zur ausschließlichen Dienerin der Religion machen zu
können.

Zu Anfange des Jahres 1843 legte Veit sein Amt nieder, in demselben
bedeutungsvollen Jahre, in welchem die beiden belgischen Bilder Gallaits "Ab¬
dankung Karls V." und de Biefves "Kompromiß des niederländischen Adels"
ihre Runde durch Europa machten und überall und insbesondre in Deutschland
eine gewaltige Revolution zu Gunsten des eoloristischen Realismus hervorriefen.
Wem, die heimischen Künstler nicht schon aus sich selbst heraus einen lebhaften
Impuls erhalten hätten, die Kritik würde sie aus ihrem Schlendrian herausge¬
trieben haben, welche die belgischen Bilder als nachahmungswürdige Muster hin¬
stellte. Lessing war wieder derjenige, der, allen voraus, der neuen Bewegung
am nächsten stand. Während seine Genossen noch in den Banden einer senti¬
mentalen Romantik gefesselt lagen, hatte er deu Traum seiner Jugend schon


Sie Düsseldorfer Schule.

reiner, edelster Begeistrung, ohne die Absicht, jemanden zu kränken oder zu ver¬
letzen, entsprossen seine Schöpfungen, Aber gerade diese Begeistrung redete eine
so eindringliche, so allgemein verständliche Sprache, daß die blöde Menge sie in
tendenziösem Sinne auffaßte. Der Maler konnte es nicht hindern, daß sogar
communistische und socialdemokratische Agitatoren sich hinter seine Hussitenbilder
verschanzten und den, der sie geschaffen, für ihre Zwecke ausbeuteten. Was
Wunder, daß sich im engern Kreise der Kunstgenossen bald Spaltungen zeigten,
daß die Heißsporne „Hie Schadow! Hie Lessing!" riefen und daß sich der Meister
dem frühern Schüler, der seine Schwingen zu mächtigem Fluge erhoben, ent¬
fremdete. Diese Entfremdung kam auch nach außen hin zum Ausdruck, indem
Schadow den Verkehr mit dem Ketzermalev aufhob, ganz wie Cornelius später
gegen den entarteten Kaulbach verfuhr. Noch schärfer spitzten sich die Gegen¬
sätze zu, als Lessing, in der Zwischenzeit immer noch fleißig der Landschafts¬
malerei obliegend, der „Hussitenpredigt" im Jahre 1842 eine noch größere und
figurenreicherc Komposition „Huß vor dem Concil" folgen ließ. Der Streit,
den dieses neue Bild hervorrief, loderte in Frankfurt a, M zur hellen Flamme
auf. Die Administration des Städelschen Instituts kaufte das Bild ohne Zu¬
stimmung des Directors Philipp Veit für die Gemäldesammlung an, und Veit
legte, in seinen katholischen Empfindungen aufs tiefste gekränkt, sein Amt
nieder. Tiefer noch als seine religiösen mochten seine künstlerischen Anschauungen
verletzt sein. Immer siegreicher drang der Colorismus und mit ihm als treuer
Bundesgenosse der Realismus vor, und die große Menge jauchzte deu neuen
Sternen Beifall. Die alten gingen unter. Einsamer und einsamer ward es
»in das Triumvirat Cornelius, Overbeck und Veit, die da geglaubt hatten, mit
ihrer titanischen Kraft der Welt eine neue Kunstanschauung und -auffassung auf¬
zwingen und die Kunst zur ausschließlichen Dienerin der Religion machen zu
können.

Zu Anfange des Jahres 1843 legte Veit sein Amt nieder, in demselben
bedeutungsvollen Jahre, in welchem die beiden belgischen Bilder Gallaits „Ab¬
dankung Karls V." und de Biefves „Kompromiß des niederländischen Adels"
ihre Runde durch Europa machten und überall und insbesondre in Deutschland
eine gewaltige Revolution zu Gunsten des eoloristischen Realismus hervorriefen.
Wem, die heimischen Künstler nicht schon aus sich selbst heraus einen lebhaften
Impuls erhalten hätten, die Kritik würde sie aus ihrem Schlendrian herausge¬
trieben haben, welche die belgischen Bilder als nachahmungswürdige Muster hin¬
stellte. Lessing war wieder derjenige, der, allen voraus, der neuen Bewegung
am nächsten stand. Während seine Genossen noch in den Banden einer senti¬
mentalen Romantik gefesselt lagen, hatte er deu Traum seiner Jugend schon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/31>, abgerufen am 23.07.2024.