Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

und den Thron mit republicanischen Institutionen umgeben wollten. Während des
polnischen Aufstcindes und unmittelbar nach demselben beherrschten die National¬
fanatiker Katkvff und Scnnariu die öffentliche Meinung und den öffentlichen Willen
mit fast unumschränkter Gewalt, und suchten die, welche überhaupt zum Worte
kamen, einander an antideutschen, antipolnischen und antieuropäischen Formeln zu
überbieten. Damals wurde die Saat des seitdem so üppig ins Kraut geschossuen
Nihilismus mit vollen Händen ausgestreut, alle überkommne Autorität, alle tradi¬
tionelle Bildungsform als nicht auf russischem Boden gewachsen, nicht national, nicht
angestaunt für todeswürdig erklärt und ein Zerstörungswerk angerichtet, das dem
heranwachsenden Geschlechte allen Boden unter den Füßen wegzog. Die alten west¬
europäischen Ordnungen in Polen und Lithauen wurden ins Herz getroffen; ein
neues .nationales' Leben zu schaffen, waren die Zerstörer völlig außer Stande. Die
von ihnen veranlaßten unsinnigen Gesetze, die zum Theil noch heute gelten, geben
uns einen Vorgeschmack dessen, was man zu erwarten haben würde, wenn die,nationale.
Gesinnungstüchtigkeit< durch eine russische Nationalversammlung wieder ans Ruder
gelaugte. Und als die Eventualität des letzten Türkenkriegs auftauchte, behielten
die pauslavistischen Schreier wieder Recht, und Rußland wurde zu einem Feldzuge
gedrängt, ans den es nicht genügend vorbereitet war. So lauge es schief ging,
schimpften die wahren Urheber deS Kriegs auf die Führung und erklärten keck, sie
hätten ein solches voreiliges Vorgehen nicht gewollt, und Aksakoff machte Miene,
die Befehlshaber vor ein Volksgericht zu stellen. Als das Blatt sich wendete, ver¬
wandelten sich die Lästrer der Armee in geschwollne Renommisten, welche in blinder
Ueberschätzung des Geleisteten die Wegnahme von Konstantin opel und eiuen Kreuz¬
zug gegen den gesammten Westen verlangten. "Hat es," so fragt der Aufsatz
dann, "irgendwelchen Sinn, denjenigen, die sich so schwerer, so unverzeihlicher Thor¬
heiten schuldig gemacht, die bei jeder Probe gezeigt haben, daß sie zu Besonnenheit,
Selbstkritik und Mäßigung unfähig sind -- hat es irgendwelchen Sinn, solchen
Leuten die Fähigkeit zu constitutionellen und Parlamentarischen Leistungen zuzu¬
trauen?"

Zum Schlüsse noch eins. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, eine der ersten
Reformen, die dem neuen Kaiser oblägen, wäre Verbesserung des Looses der Bauern.
Wir sind der Meinung, daß dies mit andern Worten heiße, man müsse ihnen Privat¬
eigenthum, persönlichen und vererbbarem Grundbesitz geben. Jetzt, wo die Feld¬
mark Gescunmtbesitz des Dorfes ist, der von Zeit zu Zeit neu vertheilt wird, hat
der Trunkenbold und Faulenzer dasselbe Recht wie der fleißige Mann, der nicht
in der Schenke liegt. Die Sammtgemeinde muß aufhören. Die aber, welche die
Revolution wollen, welche darnach streben, den Bauer vom Kaiser zu trennen,
kämpfen für Beibehaltung dieses Communismus, wie für ein Palladium. Er soll
echt national, alt- und nrrussisch sein. Die Herren bekunden aber damit eine crasse
Unwissenheit. Der Gemeinbesitz der Feldmark war anch im größten Theile Frank¬
reichs bis auf die erste Revolution, desgleichen fast in ganz Deutschland bis auf


und den Thron mit republicanischen Institutionen umgeben wollten. Während des
polnischen Aufstcindes und unmittelbar nach demselben beherrschten die National¬
fanatiker Katkvff und Scnnariu die öffentliche Meinung und den öffentlichen Willen
mit fast unumschränkter Gewalt, und suchten die, welche überhaupt zum Worte
kamen, einander an antideutschen, antipolnischen und antieuropäischen Formeln zu
überbieten. Damals wurde die Saat des seitdem so üppig ins Kraut geschossuen
Nihilismus mit vollen Händen ausgestreut, alle überkommne Autorität, alle tradi¬
tionelle Bildungsform als nicht auf russischem Boden gewachsen, nicht national, nicht
angestaunt für todeswürdig erklärt und ein Zerstörungswerk angerichtet, das dem
heranwachsenden Geschlechte allen Boden unter den Füßen wegzog. Die alten west¬
europäischen Ordnungen in Polen und Lithauen wurden ins Herz getroffen; ein
neues .nationales' Leben zu schaffen, waren die Zerstörer völlig außer Stande. Die
von ihnen veranlaßten unsinnigen Gesetze, die zum Theil noch heute gelten, geben
uns einen Vorgeschmack dessen, was man zu erwarten haben würde, wenn die,nationale.
Gesinnungstüchtigkeit< durch eine russische Nationalversammlung wieder ans Ruder
gelaugte. Und als die Eventualität des letzten Türkenkriegs auftauchte, behielten
die pauslavistischen Schreier wieder Recht, und Rußland wurde zu einem Feldzuge
gedrängt, ans den es nicht genügend vorbereitet war. So lauge es schief ging,
schimpften die wahren Urheber deS Kriegs auf die Führung und erklärten keck, sie
hätten ein solches voreiliges Vorgehen nicht gewollt, und Aksakoff machte Miene,
die Befehlshaber vor ein Volksgericht zu stellen. Als das Blatt sich wendete, ver¬
wandelten sich die Lästrer der Armee in geschwollne Renommisten, welche in blinder
Ueberschätzung des Geleisteten die Wegnahme von Konstantin opel und eiuen Kreuz¬
zug gegen den gesammten Westen verlangten. „Hat es," so fragt der Aufsatz
dann, „irgendwelchen Sinn, denjenigen, die sich so schwerer, so unverzeihlicher Thor¬
heiten schuldig gemacht, die bei jeder Probe gezeigt haben, daß sie zu Besonnenheit,
Selbstkritik und Mäßigung unfähig sind — hat es irgendwelchen Sinn, solchen
Leuten die Fähigkeit zu constitutionellen und Parlamentarischen Leistungen zuzu¬
trauen?"

Zum Schlüsse noch eins. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, eine der ersten
Reformen, die dem neuen Kaiser oblägen, wäre Verbesserung des Looses der Bauern.
Wir sind der Meinung, daß dies mit andern Worten heiße, man müsse ihnen Privat¬
eigenthum, persönlichen und vererbbarem Grundbesitz geben. Jetzt, wo die Feld¬
mark Gescunmtbesitz des Dorfes ist, der von Zeit zu Zeit neu vertheilt wird, hat
der Trunkenbold und Faulenzer dasselbe Recht wie der fleißige Mann, der nicht
in der Schenke liegt. Die Sammtgemeinde muß aufhören. Die aber, welche die
Revolution wollen, welche darnach streben, den Bauer vom Kaiser zu trennen,
kämpfen für Beibehaltung dieses Communismus, wie für ein Palladium. Er soll
echt national, alt- und nrrussisch sein. Die Herren bekunden aber damit eine crasse
Unwissenheit. Der Gemeinbesitz der Feldmark war anch im größten Theile Frank¬
reichs bis auf die erste Revolution, desgleichen fast in ganz Deutschland bis auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149887"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1058" prev="#ID_1057"> und den Thron mit republicanischen Institutionen umgeben wollten. Während des<lb/>
polnischen Aufstcindes und unmittelbar nach demselben beherrschten die National¬<lb/>
fanatiker Katkvff und Scnnariu die öffentliche Meinung und den öffentlichen Willen<lb/>
mit fast unumschränkter Gewalt, und suchten die, welche überhaupt zum Worte<lb/>
kamen, einander an antideutschen, antipolnischen und antieuropäischen Formeln zu<lb/>
überbieten. Damals wurde die Saat des seitdem so üppig ins Kraut geschossuen<lb/>
Nihilismus mit vollen Händen ausgestreut, alle überkommne Autorität, alle tradi¬<lb/>
tionelle Bildungsform als nicht auf russischem Boden gewachsen, nicht national, nicht<lb/>
angestaunt für todeswürdig erklärt und ein Zerstörungswerk angerichtet, das dem<lb/>
heranwachsenden Geschlechte allen Boden unter den Füßen wegzog. Die alten west¬<lb/>
europäischen Ordnungen in Polen und Lithauen wurden ins Herz getroffen; ein<lb/>
neues .nationales' Leben zu schaffen, waren die Zerstörer völlig außer Stande. Die<lb/>
von ihnen veranlaßten unsinnigen Gesetze, die zum Theil noch heute gelten, geben<lb/>
uns einen Vorgeschmack dessen, was man zu erwarten haben würde, wenn die,nationale.<lb/>
Gesinnungstüchtigkeit&lt; durch eine russische Nationalversammlung wieder ans Ruder<lb/>
gelaugte. Und als die Eventualität des letzten Türkenkriegs auftauchte, behielten<lb/>
die pauslavistischen Schreier wieder Recht, und Rußland wurde zu einem Feldzuge<lb/>
gedrängt, ans den es nicht genügend vorbereitet war. So lauge es schief ging,<lb/>
schimpften die wahren Urheber deS Kriegs auf die Führung und erklärten keck, sie<lb/>
hätten ein solches voreiliges Vorgehen nicht gewollt, und Aksakoff machte Miene,<lb/>
die Befehlshaber vor ein Volksgericht zu stellen. Als das Blatt sich wendete, ver¬<lb/>
wandelten sich die Lästrer der Armee in geschwollne Renommisten, welche in blinder<lb/>
Ueberschätzung des Geleisteten die Wegnahme von Konstantin opel und eiuen Kreuz¬<lb/>
zug gegen den gesammten Westen verlangten. &#x201E;Hat es," so fragt der Aufsatz<lb/>
dann, &#x201E;irgendwelchen Sinn, denjenigen, die sich so schwerer, so unverzeihlicher Thor¬<lb/>
heiten schuldig gemacht, die bei jeder Probe gezeigt haben, daß sie zu Besonnenheit,<lb/>
Selbstkritik und Mäßigung unfähig sind &#x2014; hat es irgendwelchen Sinn, solchen<lb/>
Leuten die Fähigkeit zu constitutionellen und Parlamentarischen Leistungen zuzu¬<lb/>
trauen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1059" next="#ID_1060"> Zum Schlüsse noch eins. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, eine der ersten<lb/>
Reformen, die dem neuen Kaiser oblägen, wäre Verbesserung des Looses der Bauern.<lb/>
Wir sind der Meinung, daß dies mit andern Worten heiße, man müsse ihnen Privat¬<lb/>
eigenthum, persönlichen und vererbbarem Grundbesitz geben. Jetzt, wo die Feld¬<lb/>
mark Gescunmtbesitz des Dorfes ist, der von Zeit zu Zeit neu vertheilt wird, hat<lb/>
der Trunkenbold und Faulenzer dasselbe Recht wie der fleißige Mann, der nicht<lb/>
in der Schenke liegt. Die Sammtgemeinde muß aufhören. Die aber, welche die<lb/>
Revolution wollen, welche darnach streben, den Bauer vom Kaiser zu trennen,<lb/>
kämpfen für Beibehaltung dieses Communismus, wie für ein Palladium. Er soll<lb/>
echt national, alt- und nrrussisch sein. Die Herren bekunden aber damit eine crasse<lb/>
Unwissenheit. Der Gemeinbesitz der Feldmark war anch im größten Theile Frank¬<lb/>
reichs bis auf die erste Revolution, desgleichen fast in ganz Deutschland bis auf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] und den Thron mit republicanischen Institutionen umgeben wollten. Während des polnischen Aufstcindes und unmittelbar nach demselben beherrschten die National¬ fanatiker Katkvff und Scnnariu die öffentliche Meinung und den öffentlichen Willen mit fast unumschränkter Gewalt, und suchten die, welche überhaupt zum Worte kamen, einander an antideutschen, antipolnischen und antieuropäischen Formeln zu überbieten. Damals wurde die Saat des seitdem so üppig ins Kraut geschossuen Nihilismus mit vollen Händen ausgestreut, alle überkommne Autorität, alle tradi¬ tionelle Bildungsform als nicht auf russischem Boden gewachsen, nicht national, nicht angestaunt für todeswürdig erklärt und ein Zerstörungswerk angerichtet, das dem heranwachsenden Geschlechte allen Boden unter den Füßen wegzog. Die alten west¬ europäischen Ordnungen in Polen und Lithauen wurden ins Herz getroffen; ein neues .nationales' Leben zu schaffen, waren die Zerstörer völlig außer Stande. Die von ihnen veranlaßten unsinnigen Gesetze, die zum Theil noch heute gelten, geben uns einen Vorgeschmack dessen, was man zu erwarten haben würde, wenn die,nationale. Gesinnungstüchtigkeit< durch eine russische Nationalversammlung wieder ans Ruder gelaugte. Und als die Eventualität des letzten Türkenkriegs auftauchte, behielten die pauslavistischen Schreier wieder Recht, und Rußland wurde zu einem Feldzuge gedrängt, ans den es nicht genügend vorbereitet war. So lauge es schief ging, schimpften die wahren Urheber deS Kriegs auf die Führung und erklärten keck, sie hätten ein solches voreiliges Vorgehen nicht gewollt, und Aksakoff machte Miene, die Befehlshaber vor ein Volksgericht zu stellen. Als das Blatt sich wendete, ver¬ wandelten sich die Lästrer der Armee in geschwollne Renommisten, welche in blinder Ueberschätzung des Geleisteten die Wegnahme von Konstantin opel und eiuen Kreuz¬ zug gegen den gesammten Westen verlangten. „Hat es," so fragt der Aufsatz dann, „irgendwelchen Sinn, denjenigen, die sich so schwerer, so unverzeihlicher Thor¬ heiten schuldig gemacht, die bei jeder Probe gezeigt haben, daß sie zu Besonnenheit, Selbstkritik und Mäßigung unfähig sind — hat es irgendwelchen Sinn, solchen Leuten die Fähigkeit zu constitutionellen und Parlamentarischen Leistungen zuzu¬ trauen?" Zum Schlüsse noch eins. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, eine der ersten Reformen, die dem neuen Kaiser oblägen, wäre Verbesserung des Looses der Bauern. Wir sind der Meinung, daß dies mit andern Worten heiße, man müsse ihnen Privat¬ eigenthum, persönlichen und vererbbarem Grundbesitz geben. Jetzt, wo die Feld¬ mark Gescunmtbesitz des Dorfes ist, der von Zeit zu Zeit neu vertheilt wird, hat der Trunkenbold und Faulenzer dasselbe Recht wie der fleißige Mann, der nicht in der Schenke liegt. Die Sammtgemeinde muß aufhören. Die aber, welche die Revolution wollen, welche darnach streben, den Bauer vom Kaiser zu trennen, kämpfen für Beibehaltung dieses Communismus, wie für ein Palladium. Er soll echt national, alt- und nrrussisch sein. Die Herren bekunden aber damit eine crasse Unwissenheit. Der Gemeinbesitz der Feldmark war anch im größten Theile Frank¬ reichs bis auf die erste Revolution, desgleichen fast in ganz Deutschland bis auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/315>, abgerufen am 23.07.2024.