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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Fürst Bismarck und Berlin,

radicalen Sippe, Mu" lese die Reden des Pariser Polizeipräfeeten in der Kammer
mit vor seinen Wählern in Arbresle bei Lyon, Es geht ans denselben hervor,
daß verständige und charaktervolle Männer auch in Republiken kein absolutes
Selfgovernment, wie es unser Fortschrittsklüugel in seinem Interesse fordert, ge¬
währen wollen. Man behauptete von Seiten des Pariser Gemeinderaths, der
Präfect habe zu viel Gewalt und er gebrauche sie maßlos, er sei nur als Ber-
waltungsbeamter ohne Nnftrag vom Volke zu betrachten, welches Volk natürlich
die radicale Partei war, wie es in Berlin die Fortschrittspartei ist. Man er¬
klärte mit dem üblichen Pathos, er müsse zurücktreten oder seines Postens ent¬
hoben werden. Der Minister Constans aber nahm entschieden für den Verklagten
Partei, Er sprach dem Gemeinderath das Recht zu, über örtliche Vorkommnisse
Auskunft zu verlangen, nannte es dagegen Uebertreibung, wenn er sich in allge¬
meine Verwaltungsfragen mischen zu dürfen verlange. Die Sicherheit von Paris
könne keine Frage der Gemeinde sein. Von rcidicaler Seite wurde darauf ver¬
langt, daß der Polizeipräfeet dem Gemeinderäthe verantwortlich gemacht werde,
womit man die obige Anklage des Rathes der Berliner Polizeidireetivn ver¬
gleichen wolle. Der Präfect selbst erklärte dann in seiner Vertheidigung, er habe
nur Rechtsüberschreitungen des Genieinderaths abgewehrt. Es habe sich darum
gehandelt, ob der Staat über der Gemeinde stehe, und Redner glaubt "die Re¬
gierung des Landes durch das Laud" um Gegensah gegen die Regierung des
Landes durch Paris, durch den hier herrschende", in der Mehrheit des Gemeindc-
raths verkörperten Geist, der 1871 die Commune erzeugte) vertheidigt zu haben,
als er den Zumuthungen der mdiealen Stadtvertretuug widerstanden.

Kehren wir nach Preußen zurück und betrachten wir eine andre Frage, welche
der Reichskanzler neulich angesichts der in Berlin grassirenden Demagogensenche
aufgeworfen hat. Wenn er andeutete, daß es gut sein würde, den Reichstag
von Berlin wegzuverlegeu, so haben die geistesverwandten fortschrittlichen und
seeessionistischen Journale in dem bei ihnen herkömmlichen ordinäre" Stile eine
Fluch von Spott und Hohn ausgeleert, und ihre hmiswnrstelnden College" in
den Witzblättern habe" ihnen mit Bockssprüugeu in Prosa und Versen dabei
fecundirt. Aber auch die Organe andrer Parteien zweifeln einerseits an der
Möglichkeit, diesen Gedanke" zu verwirkliche!!, andrerseits daran, daß eine Ver-
wirklichung desselben nützlich für das Reich und dessen Volksvertretung sein werde.
Indeß sind es doch meist Berliner Stimmen, welche diese Zweifel geltend zu
machen versuchen, und es fehlt nicht an andern, welche die Andeutungen des
Fürsten Bismarck billigen und unterstützen. Der "Schwäbische Merkur," ein
gewiß nicht illiberales Blatt und eins der angesehensten und Verbreitetsien in Süd¬
deutschland, sagt in Betreff der Sache: "Es muß weit gekommen sein mit den


Fürst Bismarck und Berlin,

radicalen Sippe, Mu» lese die Reden des Pariser Polizeipräfeeten in der Kammer
mit vor seinen Wählern in Arbresle bei Lyon, Es geht ans denselben hervor,
daß verständige und charaktervolle Männer auch in Republiken kein absolutes
Selfgovernment, wie es unser Fortschrittsklüugel in seinem Interesse fordert, ge¬
währen wollen. Man behauptete von Seiten des Pariser Gemeinderaths, der
Präfect habe zu viel Gewalt und er gebrauche sie maßlos, er sei nur als Ber-
waltungsbeamter ohne Nnftrag vom Volke zu betrachten, welches Volk natürlich
die radicale Partei war, wie es in Berlin die Fortschrittspartei ist. Man er¬
klärte mit dem üblichen Pathos, er müsse zurücktreten oder seines Postens ent¬
hoben werden. Der Minister Constans aber nahm entschieden für den Verklagten
Partei, Er sprach dem Gemeinderath das Recht zu, über örtliche Vorkommnisse
Auskunft zu verlangen, nannte es dagegen Uebertreibung, wenn er sich in allge¬
meine Verwaltungsfragen mischen zu dürfen verlange. Die Sicherheit von Paris
könne keine Frage der Gemeinde sein. Von rcidicaler Seite wurde darauf ver¬
langt, daß der Polizeipräfeet dem Gemeinderäthe verantwortlich gemacht werde,
womit man die obige Anklage des Rathes der Berliner Polizeidireetivn ver¬
gleichen wolle. Der Präfect selbst erklärte dann in seiner Vertheidigung, er habe
nur Rechtsüberschreitungen des Genieinderaths abgewehrt. Es habe sich darum
gehandelt, ob der Staat über der Gemeinde stehe, und Redner glaubt „die Re¬
gierung des Landes durch das Laud" um Gegensah gegen die Regierung des
Landes durch Paris, durch den hier herrschende«, in der Mehrheit des Gemeindc-
raths verkörperten Geist, der 1871 die Commune erzeugte) vertheidigt zu haben,
als er den Zumuthungen der mdiealen Stadtvertretuug widerstanden.

Kehren wir nach Preußen zurück und betrachten wir eine andre Frage, welche
der Reichskanzler neulich angesichts der in Berlin grassirenden Demagogensenche
aufgeworfen hat. Wenn er andeutete, daß es gut sein würde, den Reichstag
von Berlin wegzuverlegeu, so haben die geistesverwandten fortschrittlichen und
seeessionistischen Journale in dem bei ihnen herkömmlichen ordinäre» Stile eine
Fluch von Spott und Hohn ausgeleert, und ihre hmiswnrstelnden College» in
den Witzblättern habe» ihnen mit Bockssprüugeu in Prosa und Versen dabei
fecundirt. Aber auch die Organe andrer Parteien zweifeln einerseits an der
Möglichkeit, diesen Gedanke» zu verwirkliche!!, andrerseits daran, daß eine Ver-
wirklichung desselben nützlich für das Reich und dessen Volksvertretung sein werde.
Indeß sind es doch meist Berliner Stimmen, welche diese Zweifel geltend zu
machen versuchen, und es fehlt nicht an andern, welche die Andeutungen des
Fürsten Bismarck billigen und unterstützen. Der „Schwäbische Merkur," ein
gewiß nicht illiberales Blatt und eins der angesehensten und Verbreitetsien in Süd¬
deutschland, sagt in Betreff der Sache: „Es muß weit gekommen sein mit den


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[0297] Fürst Bismarck und Berlin, radicalen Sippe, Mu» lese die Reden des Pariser Polizeipräfeeten in der Kammer mit vor seinen Wählern in Arbresle bei Lyon, Es geht ans denselben hervor, daß verständige und charaktervolle Männer auch in Republiken kein absolutes Selfgovernment, wie es unser Fortschrittsklüugel in seinem Interesse fordert, ge¬ währen wollen. Man behauptete von Seiten des Pariser Gemeinderaths, der Präfect habe zu viel Gewalt und er gebrauche sie maßlos, er sei nur als Ber- waltungsbeamter ohne Nnftrag vom Volke zu betrachten, welches Volk natürlich die radicale Partei war, wie es in Berlin die Fortschrittspartei ist. Man er¬ klärte mit dem üblichen Pathos, er müsse zurücktreten oder seines Postens ent¬ hoben werden. Der Minister Constans aber nahm entschieden für den Verklagten Partei, Er sprach dem Gemeinderath das Recht zu, über örtliche Vorkommnisse Auskunft zu verlangen, nannte es dagegen Uebertreibung, wenn er sich in allge¬ meine Verwaltungsfragen mischen zu dürfen verlange. Die Sicherheit von Paris könne keine Frage der Gemeinde sein. Von rcidicaler Seite wurde darauf ver¬ langt, daß der Polizeipräfeet dem Gemeinderäthe verantwortlich gemacht werde, womit man die obige Anklage des Rathes der Berliner Polizeidireetivn ver¬ gleichen wolle. Der Präfect selbst erklärte dann in seiner Vertheidigung, er habe nur Rechtsüberschreitungen des Genieinderaths abgewehrt. Es habe sich darum gehandelt, ob der Staat über der Gemeinde stehe, und Redner glaubt „die Re¬ gierung des Landes durch das Laud" um Gegensah gegen die Regierung des Landes durch Paris, durch den hier herrschende«, in der Mehrheit des Gemeindc- raths verkörperten Geist, der 1871 die Commune erzeugte) vertheidigt zu haben, als er den Zumuthungen der mdiealen Stadtvertretuug widerstanden. Kehren wir nach Preußen zurück und betrachten wir eine andre Frage, welche der Reichskanzler neulich angesichts der in Berlin grassirenden Demagogensenche aufgeworfen hat. Wenn er andeutete, daß es gut sein würde, den Reichstag von Berlin wegzuverlegeu, so haben die geistesverwandten fortschrittlichen und seeessionistischen Journale in dem bei ihnen herkömmlichen ordinäre» Stile eine Fluch von Spott und Hohn ausgeleert, und ihre hmiswnrstelnden College» in den Witzblättern habe» ihnen mit Bockssprüugeu in Prosa und Versen dabei fecundirt. Aber auch die Organe andrer Parteien zweifeln einerseits an der Möglichkeit, diesen Gedanke» zu verwirkliche!!, andrerseits daran, daß eine Ver- wirklichung desselben nützlich für das Reich und dessen Volksvertretung sein werde. Indeß sind es doch meist Berliner Stimmen, welche diese Zweifel geltend zu machen versuchen, und es fehlt nicht an andern, welche die Andeutungen des Fürsten Bismarck billigen und unterstützen. Der „Schwäbische Merkur," ein gewiß nicht illiberales Blatt und eins der angesehensten und Verbreitetsien in Süd¬ deutschland, sagt in Betreff der Sache: „Es muß weit gekommen sein mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/297>, abgerufen am 23.07.2024.