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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Politische Briefe.

sprechen würde, die Erwiderung des Kanzlers war eine Improvisation, welche
den Reichthum seines Geistes und die Leichtigkeit, mit welcher er denselben be¬
herrscht, aufs neue bekundete gegeuüber der studirten und doch nur aus Ge¬
meinplätzen bestehenden Ausführung des Herrn v. Bennigsen. Fürst Bismarck
schlug einen warmen und herzlichen Ton an, wie er ihm zu Gebote steht, wie
er ihn aber sehr selten, und unseres Wissens im Parlamente noch gar nicht, hat
erklingen lassen. Der Reichskanzler bat Herrn v. Bennigsen, jene naturgemäße
Mitte des Staatslebens zu behaupten, wo sich die ungebundnen Kräfte mit dem
unabänderlichen Bedürfniß der Ordnung und der gesicherten Macht des Ganzen
gegen das Einzelne ausgleichen. Der Reichskanzler warnte Herrn v. Bennigsen,
sich nicht vom Linken umgarnen zu lassen, jenem wilden Jäger des Bürgerschen
Gedichts, der über alle Hindernisse der Natur und der Sitte athemlos hinweg¬
setzt, wie es der stets in die Revolution anschlagende Radicalismus thut. Herr
v. Bennigsen ist gewiß keine radicale Natur, aber der sichere Blick scheint ihm
zu fehlen, wo gegeuüber den Aufgaben der deutschen Staatsgründung die Grenz¬
linie liegt, jenseits deren die Preisgebung des deutschen Staats an den Radi-
calismus beginnt. Darum sprach der Kanzler .von einer Continuität deS linken
Flügels, der, unmittelbar hinter der Grenzlinie des rechten beginnend, im Ende
gar nicht abzusehen ist.

Der Reichskanzler steht im Begriff, über die von Idolen geblendeten und
bei dem Erfassenwollen dieser leeren Truggebilde taumelnden Parteien hinweg sich
einen neuen Mitarbeiterkreis von dem Instinct der Massen zu verschaffen. Es
giebt in den gebildeten Ständen Männer genug, welche aus Instinct oder klarer
Erkenntniß auf der Seite des Kanzlers stehen. Diesen das Abgeordnetcnmandat
durch das Volk zu verschaffen und den Cultus der schädlichen, hemmenden Idole
loszuwerden, ist die Aufgabe. Der Kanzler braucht bei diesem Versuche uicht
das Centrum, wie die Unklugheit meint. Wie er 1866 in den Kampf ging, ohne,
wie die damalige falsche Klugheit meinte, mit Napoleon verbündet zu sein, sondern
den lauernden Feind im Rücken, so wird er in den jetzigen Wahlkampf gehen,
ohne mit dem Centrum verbündet zu sein. Die Gefahr ist wahrlich nicht so groß
wie die von 1866, jetzt, wo man das Ergebniß der Wnhlschlacht nötigenfalls
durch eine sofortige Auflösung wieder ändern kann. Aber es ist von großer Be¬
deutung, ob der Kampf gegen den ganzen Liberalismus ohne Unterschied geführt
werden muß, um uns von den falschen Idolen zu befreien und einer freien Be¬
handlung der deutschen Dinge nach ihrer nun einmal gegebnen Eigenart Platz
zu macheu. Wenn es vom Liberalismus gar keine Brücke mehr geben sollte zu
einer nationalen Gestaltung der deutschen Politik, ohne die sie nicht länger vorwärts
komme" kann, so wäre dies um vieler werthvollen Kräfte willen, um eines ganzen


Politische Briefe.

sprechen würde, die Erwiderung des Kanzlers war eine Improvisation, welche
den Reichthum seines Geistes und die Leichtigkeit, mit welcher er denselben be¬
herrscht, aufs neue bekundete gegeuüber der studirten und doch nur aus Ge¬
meinplätzen bestehenden Ausführung des Herrn v. Bennigsen. Fürst Bismarck
schlug einen warmen und herzlichen Ton an, wie er ihm zu Gebote steht, wie
er ihn aber sehr selten, und unseres Wissens im Parlamente noch gar nicht, hat
erklingen lassen. Der Reichskanzler bat Herrn v. Bennigsen, jene naturgemäße
Mitte des Staatslebens zu behaupten, wo sich die ungebundnen Kräfte mit dem
unabänderlichen Bedürfniß der Ordnung und der gesicherten Macht des Ganzen
gegen das Einzelne ausgleichen. Der Reichskanzler warnte Herrn v. Bennigsen,
sich nicht vom Linken umgarnen zu lassen, jenem wilden Jäger des Bürgerschen
Gedichts, der über alle Hindernisse der Natur und der Sitte athemlos hinweg¬
setzt, wie es der stets in die Revolution anschlagende Radicalismus thut. Herr
v. Bennigsen ist gewiß keine radicale Natur, aber der sichere Blick scheint ihm
zu fehlen, wo gegeuüber den Aufgaben der deutschen Staatsgründung die Grenz¬
linie liegt, jenseits deren die Preisgebung des deutschen Staats an den Radi-
calismus beginnt. Darum sprach der Kanzler .von einer Continuität deS linken
Flügels, der, unmittelbar hinter der Grenzlinie des rechten beginnend, im Ende
gar nicht abzusehen ist.

Der Reichskanzler steht im Begriff, über die von Idolen geblendeten und
bei dem Erfassenwollen dieser leeren Truggebilde taumelnden Parteien hinweg sich
einen neuen Mitarbeiterkreis von dem Instinct der Massen zu verschaffen. Es
giebt in den gebildeten Ständen Männer genug, welche aus Instinct oder klarer
Erkenntniß auf der Seite des Kanzlers stehen. Diesen das Abgeordnetcnmandat
durch das Volk zu verschaffen und den Cultus der schädlichen, hemmenden Idole
loszuwerden, ist die Aufgabe. Der Kanzler braucht bei diesem Versuche uicht
das Centrum, wie die Unklugheit meint. Wie er 1866 in den Kampf ging, ohne,
wie die damalige falsche Klugheit meinte, mit Napoleon verbündet zu sein, sondern
den lauernden Feind im Rücken, so wird er in den jetzigen Wahlkampf gehen,
ohne mit dem Centrum verbündet zu sein. Die Gefahr ist wahrlich nicht so groß
wie die von 1866, jetzt, wo man das Ergebniß der Wnhlschlacht nötigenfalls
durch eine sofortige Auflösung wieder ändern kann. Aber es ist von großer Be¬
deutung, ob der Kampf gegen den ganzen Liberalismus ohne Unterschied geführt
werden muß, um uns von den falschen Idolen zu befreien und einer freien Be¬
handlung der deutschen Dinge nach ihrer nun einmal gegebnen Eigenart Platz
zu macheu. Wenn es vom Liberalismus gar keine Brücke mehr geben sollte zu
einer nationalen Gestaltung der deutschen Politik, ohne die sie nicht länger vorwärts
komme» kann, so wäre dies um vieler werthvollen Kräfte willen, um eines ganzen


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[0259] Politische Briefe. sprechen würde, die Erwiderung des Kanzlers war eine Improvisation, welche den Reichthum seines Geistes und die Leichtigkeit, mit welcher er denselben be¬ herrscht, aufs neue bekundete gegeuüber der studirten und doch nur aus Ge¬ meinplätzen bestehenden Ausführung des Herrn v. Bennigsen. Fürst Bismarck schlug einen warmen und herzlichen Ton an, wie er ihm zu Gebote steht, wie er ihn aber sehr selten, und unseres Wissens im Parlamente noch gar nicht, hat erklingen lassen. Der Reichskanzler bat Herrn v. Bennigsen, jene naturgemäße Mitte des Staatslebens zu behaupten, wo sich die ungebundnen Kräfte mit dem unabänderlichen Bedürfniß der Ordnung und der gesicherten Macht des Ganzen gegen das Einzelne ausgleichen. Der Reichskanzler warnte Herrn v. Bennigsen, sich nicht vom Linken umgarnen zu lassen, jenem wilden Jäger des Bürgerschen Gedichts, der über alle Hindernisse der Natur und der Sitte athemlos hinweg¬ setzt, wie es der stets in die Revolution anschlagende Radicalismus thut. Herr v. Bennigsen ist gewiß keine radicale Natur, aber der sichere Blick scheint ihm zu fehlen, wo gegeuüber den Aufgaben der deutschen Staatsgründung die Grenz¬ linie liegt, jenseits deren die Preisgebung des deutschen Staats an den Radi- calismus beginnt. Darum sprach der Kanzler .von einer Continuität deS linken Flügels, der, unmittelbar hinter der Grenzlinie des rechten beginnend, im Ende gar nicht abzusehen ist. Der Reichskanzler steht im Begriff, über die von Idolen geblendeten und bei dem Erfassenwollen dieser leeren Truggebilde taumelnden Parteien hinweg sich einen neuen Mitarbeiterkreis von dem Instinct der Massen zu verschaffen. Es giebt in den gebildeten Ständen Männer genug, welche aus Instinct oder klarer Erkenntniß auf der Seite des Kanzlers stehen. Diesen das Abgeordnetcnmandat durch das Volk zu verschaffen und den Cultus der schädlichen, hemmenden Idole loszuwerden, ist die Aufgabe. Der Kanzler braucht bei diesem Versuche uicht das Centrum, wie die Unklugheit meint. Wie er 1866 in den Kampf ging, ohne, wie die damalige falsche Klugheit meinte, mit Napoleon verbündet zu sein, sondern den lauernden Feind im Rücken, so wird er in den jetzigen Wahlkampf gehen, ohne mit dem Centrum verbündet zu sein. Die Gefahr ist wahrlich nicht so groß wie die von 1866, jetzt, wo man das Ergebniß der Wnhlschlacht nötigenfalls durch eine sofortige Auflösung wieder ändern kann. Aber es ist von großer Be¬ deutung, ob der Kampf gegen den ganzen Liberalismus ohne Unterschied geführt werden muß, um uns von den falschen Idolen zu befreien und einer freien Be¬ handlung der deutschen Dinge nach ihrer nun einmal gegebnen Eigenart Platz zu macheu. Wenn es vom Liberalismus gar keine Brücke mehr geben sollte zu einer nationalen Gestaltung der deutschen Politik, ohne die sie nicht länger vorwärts komme» kann, so wäre dies um vieler werthvollen Kräfte willen, um eines ganzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/259>, abgerufen am 01.07.2024.